Fr 29. April 2022

14:30-15:30

Marko Kölbl  Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, mdw

 

Kulturelle Handlungsmacht im Fluchtkontext.
Anmerkungen zu afghanischer Musik in Wien abseits romantisierender Empowermenterzählungen.

 

Ethnisch markierten Musik- und Tanztraditionen wird in der ethnographischen Fluchtforschung oft eine hohe Effektivität in Bezug auf Resilienz und Empowerment zugesprochen, was sich gut in eine dekoloniale und solidarische Selbstsicht der Forschenden einfügen lässt: Musik als Zeugnis eines menschlichen Grundbedürfnisses nach kultureller Selbstgewissheit, als Gegenpol zu den lebensbedrohlichen Effekten des europäischen Migrationsregimes. Auch wenn Musik und Tanz für die kulturelle Identität und diasporische Verortung Geflüchteter zentral sind – die Kraft der Musik scheint allzu idealisiert vis-á-vis direkter Auswirkungen von antimuslimischem Rassismus und asylpolitischer Diskriminierung. Basierend auf fünf Jahren Feldforschung mit Afghan*innen in Wien, diskutiert der Vortrag die alltägliche kulturelle Handlungsmacht afghanischer Geflüchteter. Welche Bedeutung erlangen community-interne Szenarien afghanischer Musik? Wie werden Geschlechterpositionen in Musik und Tanz verhandelt? Wie wird ethnisch markierte Musik im Bereich des Aktivismus und der Kulturarbeit eingesetzt, um kulturelle Pluralität zu demonstrieren und welche mehrheitsgesellschaftlichen Vorstellungen werden dabei bedient?

 

Marko Kölbl ist Senior Scientist am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien – mdw, wo er nach Studien in IGP Klavier Klassik mit einer Dissertation zu burgenlandkroatischen und kroatischen Totenklagen promovierte. Seine Forschungsschwerpunkte sind Musik und Tanz bei Minderheiten und migrantischen Communities mit einem Fokus auf intersektionale, queer-feministische und postkoloniale Perspektiven. Laufende Feldforschungen zu Minderheiten, insb. Burgenlandkroat*innen sowie zu Flucht und Migration, insb. Afghanistan. Marko Kölbl ist Chair der Study Group on Music, Gender and Sexuality des ICTM - International Council for Traditional Music, Advisory Board Member des MMRC – Music and Minorities Research Center und im Vorsitz des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen der mdw sowie Teil des Leitungsteams der isaScience.