Meine Erfahrungen mit Klavierlernenden aus dem Autismus Spektrum
Sylvia Sagmeister (Musikschule Wien, Standorte Floridsdorf und Liesing)

Meine Haltung zum Unterrichten im Allgemeinen also auch zum Unterricht en von Menschen aus dem Autismus Spektrum lässt sich im Wesentlichen in wenigen Sätzen darstellen:
1) Musikunterricht, in meinem Fall Klavierunterricht, soll und kann jedem Menschen zugänglich sein, der das will.
2) Jeder Mensch, auch ohne „ hat Stärken und Schwächen, jeder Mensch trägt das Potential zur Entwicklung in sich.
3) Voraussetzung für einen in diesem Sinn erfolgreichen Unterricht ist eine starke persönliche Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden.
4) Es gibt keine „Methode die von einem Menschen auf einen anderen übertragbar ist.

Wie sehr sich Menschen mit der gleichen Diagn ose „Autismus Spektrum“ voneinander unterscheiden, möchte ich an zwei Beispielen darstellen:

S. (ein Bub, den ich zwischen seinem 9. und 13. Lebensjahr unterrichtete)
Er sprühte vor Fantasie und Impulsivität, hatte ein großartiges musikalisches Gehör und spielte ganze Musikstücke aus dem Gedächtnis nach. Mit ihm improvisierte ich viel, wobei wir auf diesem Weg Musikstücke entwickelten, die wir über die gesamte Unterrichtsdauer durchgehend miteinander spielten. Nach und nach lernte S. kleine Lieder, die aber immer auch improvisatorischen Charakter hatten und fixer Bestandteil der Stunden wurden. Im Lauf der Jahre bildete sich so etwas wie ein fixer Stunden Ablauf mit Anfangs und Schluss Musik heraus das Ergebnis eines Prozesses, der nicht von vornherein zu planen war. Mit S. lernte ich den Mut zum „Chaos" auch zur Monotonie und zum Lärm. Es gab Stunden, in denen er durchgehend nur rhythmische Wiederholungen ein und desselben meistens sehr tiefen Tones spielte. Er war dabei hochkonzentriert und fo gte ganz offensichtlich einem
„inneren Plan"; phasenweise „durfte" ich mitspielen, Melodien ergänzen, Rhythmen imitieren. Auf diese Weise entstand eine intensive Kommunikation, die allein mit der Sprache gar nicht möglich gewesen wäre.

W. (Ein Bub, den ich seit seinem 12. Lebensjahr unterrichte, er ist jetzt 16)
Er wollte von Anfang an Noten verwenden und hat das Lesen dieser sehr rasch gelernt. Anfangs spielte er nur einstimmige Musikstücke (auch unisono mit beiden Händen), das Begreifen von verschiedenen Stimmen, vor allem das Umsetzen dieser in unterschiedliche Bewegungsabläufe, schien zunächst unmöglich. Ohne „Vorankündigung" konnte er dann plötzlich zu einer kleinen Melodie eine einfache Begleitung spielen; seit diesem Zeitpunkt spielt er nie - auch, wenn es für das Erlernen eines Stückes sinnvoll wäre - Ober- und Unterstimmen einzeln. Mit W. läuft der Unterricht sehr konventionell ab: er möchte Stücke lernen, er hat seine Lieblingsstücke und ist in ihrer Auswahl sehr entschieden: das
bedeutet, dass ich zum Beispiel zwar ein Stück vorschlage, er aber „Nein, wir machen dieses hier!" sagt. Es ist dann viel besser, ihm zu folgen, als auf meinem Vorschlag zu bestehen. (Gar nicht selten nimmt er meine Ideen einige Wochen später plötzlich ohne Aufforderung auf.) Irgendwann im Laufe des erstenLernjahres überraschte W. mich damit, dass er Stücke plötzlich in die verschiedensten Tonarten transponierte. Dabei entwickelte er eine Ausdauer, die ich selten an einem Schüler oder an einer Schülerin beobachtet habe.
Einige

Gedanken zum Thema „Eltern"
Eltern von Kindern mit Lernbehinderungen stehen häufig unter einem großen "Leidensdruck". Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie in die Musikschule kommen, haben sie meist schon viele, teils frustrierende Erfahrungen mit unterschiedlichen Institutionen gemacht. Seit der Geburt ihrer Kinder werden sie vor allem damit konfrontiert, was diese - im Vergleich zu Gesunden - nicht können, vielleicht nie können werden. Wenn diese Eltern also entdecken, dass ihr Kind musikalisches Talent hat, sind die Erwartungen manchmal sehr hochgesteckt.Fortschritte, die ichals Lehrerin klar erkenne, werden von ihnen oft gar nicht als solche wahrgenommen, Berichte in allen Medien von „Wunderkindern am Klavier" -  auchoder sogarbesonders ausdem Autismus Spektrum - tun da ein Übriges. Dieses Phänomen in seinen unterschiedlichsten Ausformungen kennen alle Lehrenden allerdings auch vom Unterricht mit gesunden Kindern.

 

Young All Stars Band
Ines Pilz, Eva Königer

Die Young All Stars Band wurde im Wintersemester 2017 an der mdw als Lehrgangsgruppe für Elementares Musizieren gegründet. Kinder mit unterschiedlichen Erfahrungen, Bedürfnissen und Möglichkeiten gehen gemeinsam auf Klangsuche und erarbeiten Ensemblestücke und Lieder quer durch alle möglichen Stile und Kulturen. Im Zentrum der Band steht das gemeinsame und lustvolle Musizieren, bei dem jedes Kind sein musisches Ausdrucksbedürfnis mit genau den Möglichkeiten, die dem Kind zur Verfügung stehen, ausleben kann. Durch eine dialogische und offene Arbeitsweise wird Ideen und Impulsen der Kinder Raum gegeben, diese fließen dann in das gemeinsame Musizieren mit unterschiedlichen Instrumenten in Verbindung mit Bewegung, Tanz, darstellendem Spiel und Visualisierungsformen ein.

 

Stadt Wien - Musikschulen
Veronika Humpel

Mein Schüler D. ist 11 Jahre kam im September 2019 auf Vermittlung von Kollegin Hofkofler zu mir. Er hatte im Rahmen einer Musiktherapie Gefallen am Klavierspielen gefunden, seine Mutter machte sich daraufhin auf die Suche nach einem Platz für ihn.

Als er zum ersten Mal zu mir kam, nahm er das Klavier ähnlich einer Trommel in Angriff, hatte schnell einen Rhythmus gefunden und blieb für den Rest der Stunde (und viele weitere) dabei. Von diesem seinem Stück ausgehend arbeiteten wir uns in verschiedene Details vor, immer wieder - wie zu einem Refrain - zu seinem kraftvollen Ostinato zurückkehrend.

Zwischendurch schenkte D. mir seine Aufmerksamkeit, lernte einzelne Finger gezielt zu verwenden, „Alle Vögel sind schon da“ und andere Lieder zu spielen, die Melodie von einer in die andere Hand schickend. Seine Liebe zu starken Rhythmen begleitete uns aber weiter. Oft war ein sich zusammenbrauendes Gewitter Ausgang unserer musikalischen Reise, manchmal nach einem seiner Accelerando-Crescendo-Getöse eine kathartisch wirkende Minimal-Athmospähre meinerseits Boden für kleine Ton-Pflänzchen, die er langsam aufkeimen ließ.

Wir improvisierten immer wieder; mit Formen, Farben, Geschichten, Bildern, Kinderbüchern … nahmen verschiedene Instrumente und Klänge dazu. In all dieser Zeit verbesserten sich ua D.s Fingertechnik, seine Fähigkeit, 2händig zu musizieren, mehrstimmig zu musizieren, seine Gabe, Melodien zu hören wurde um immer präzisere Umsetzungsmöglichkeiten bereichert.

Und das Beste: Er hat Spaß am Musizieren und an seinen sich verändernden Fähigkeiten im Umgang mit dem Instrument. Er kann versinken im Spiel, kann aber auch wieder
auftauchen und sich umsehen bzw. -hören, Vorschläge von mir aufnehmen (vor allem in der Improvisation), reagieren, sie auch negieren oder - zB mit dem anfangs beschriebenen Rhythmus - einfach wieder die Solistenrolle für sich in Anspruch nehmen.

Es macht große Freude, mit D. zu spielen und zu forschen.