Ivan Naumovski
Der Komponist – als Komponistin? Rolle und Realität zwischen Ariadne und Gegenwart

„Es ist so wahnsinnig kompetitv.
Ich habe große Existenzsorgen und die hätte ich auch,
wenn ich ein Mann wäre.“

Elina Lukijanova (Komponistin)


Bereits zur ersten Fassung der Ariadne auf Naxos gab es viele Meinungsverschiedenheiten zwischen Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal betreffend die Rolle des Komponisten: Strauss fand Molières Konzeption der Rolle eher passiv, charakterlos und uninteressant. Daher schlug er vor, die Rollen des Komponisten und des Tanzmeisters so auszubauen, dass Streit und Bosheit auf die Bühne gestellt werden konnten. Nach einigen Monaten einigten sich Strauss und Hofmannsthal, den Komponisten zum Musiklehrer zu degradieren.

Nach dem Misserfolg der ersten Fassung vertieften Strauss/Hofmannsthal die Rollen von Zerbinetta und dem Komponisten, machten sie zum zentralen Mittelpunkt des ersten Aktes. Die hauptsächliche Veränderung bestand darin, den Komponisten fest in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen. Das Libretto legte im Vorspiel nun den Schwerpunkt auf die künstlerischen und persönlichen Konflikte des jugendlichen Komponisten.

Für die zweite Version (1916) strichen Strauss/Hofmannsthal Molières Komödie, und gänzlich geändert wurde auch der Ort der Handlung: aus Frankreich wurde Wien. Auch die Rolle des Komponisten stand noch einmal zur Disposition. Strauss verband die Rolle stärker mit dem Charakter eines leidenschaftlichen Musikers, der mit den gleichen Problemen kämpft, mit denen Komponisten in der Realität zu kämpfen haben. Außerdem stellte sich Strauss den Komponisten als tragische und komische Figur zugleich vor. Im Verhältnis zu Zerbinetta und Ariadne verkörpert er die Antithese in einer Figur. Vor allem aber insistierte Strauss, dass der Komponist nicht als Porträt von Strauss selbst erscheint, nicht einmal als Porträt des jungen Mozart, wie Hofmannsthal ursprünglich beabsichtigt hatte. Strauss sah den Komponisten als Kompositum des idealistischen Künstlers, der sich bemüht, seine Prinzipien aufrechtzuerhalten.

Uneins waren sich Librettist und Komponist auch bei der musikalischen Ausgestaltung der Rolle: Strauss wollte den Komponisten von einer Frauenstimme singen lassen. Hofmannsthal aber fürchtete nach den Erfahrungen im Zusammenhang mit Octavian schlechte Rezensionen:  Die Hosenrollen galten als aus der Mode gefallen und die Cherubino-Tradition lenkte den Fokus auf einen anderen Typus: Cherubino ist ein junger Bursche, der musikalisch und dramaturgisch als buffo-Rolle funktioniert. Der Komponist aber war als dramatisch zentrale Figur des Vorspiels gedacht, auch musikalisch ist er die einzige Figur des Vorspiels, dessen Motive die Substanz des Orchestermaterials bilden. Von einer buffo-Rolle ist er mithin weit entfernt. Es bleibt eine Herausforderung, den Komponisten als Rolle zwischen buffo und seria, zwischen Schöpferidentität und Abbild eines realen Komponisten-Daseins zu interpretieren. …und als Abbild eines realen Komponistinnen-Daseins?

Dazu einige Gedanken aus einem Gespräch mit Tanja Glinsner, Mezzosopranistin und Komponistin, die in der Ariadne-Produktion 2021 die Rolle der Triade übernimmt.

Ivan Naumovski: Inwiefern hilft Dir Dein sängerisches Talent bzw. Deine Gesangsausbildung beim Komponieren?

Tanja Glinsner: Ich habe bereits in meinem 9. Lebensjahr zu komponieren begonnen und habe zudem auch mehrere Instrumente seit meiner frühesten Kindheit gespielt (Violine, Saxophon, Klavier und Akkordeon). Mit 15 Jahren erhielt ich dann meinen ersten Gesangsunterricht. Heute hilft es mir sehr wohl, dass ich sowohl Gesang als auch Komposition studiere, da ich in meinen kammermusikalischen Werken sehr viele Stimmeffekte verwende. Hierbei ist es mir besonders wichtig, dass die Instrumentalisten und Instrumentalistinnen meiner Werke während des Spiels ihres Instruments mit einer vielfachen Verwendung ihrer Stimme eine weitere symbolische Ebene zum Kern des Werks eröffnen können.

Naumovski: Was ist der Hauptunterschied zwischen den heutigen Komponist*innen und denen von vor 100 Jahren? Kannst Du Dich mit der Rolle des Komponisten in Ariadne auf Naxos identifizieren? 

Glinsner: Meiner Meinung nach stellt den Hauptunterschied zwischen den damaligen heutigen Komponist*innen – neben der Veränderung der musikalischen Sprache und Klangästhetik –  ihr Publikum, ihr Umfeld und ihre gesellschaftliche Bewertung dar. Heutzutage ist es – durch die ständige Präsenz der Medien und die ständigen künstlerischen Eindrücke – umso wichtiger geworden, eine Balance zwischen dem „Innen“ und „Außen“ zu finden. D.h. einerseits kann man als Komponistin heutzutage nur überleben, indem man sich an den Markt anpasst, sich Markstrategien aneignet und nach Individualität strebt, andererseits besteht die Gefahr, durch diese ‚Vermarktung‘ jegliche Inspiration zu verlieren. In der Hinsicht identifiziere ich mich auch mit der Rolle des Komponisten, der am Rande der Verzweiflung steht, als ihm verkündet wird, dass sein Werk nicht wie geplant uraufgeführt werden soll.

Naumovski: Werden Komponistinnen und Komponisten heutzutage gleichberechtigt behandelt?

Glinsner: Eine interessante Frage, besonders wenn man bedenkt, dass der Komponist in Ariadne auf Naxos eine Hosenrolle ist und in manchen Inszenierungen auch bereits als eine Komponistin dargestellt wird. Es gibt eine große Anzahl an Förderinitiativen für junge Komponistinnen, und meiner Meinung nach holen Frauen allmählich auf. Ich habe aber dennoch das Gefühl, dass es als Frau immer noch um einiges schwieriger ist, sich als junge Komponistin zu etablieren und akzeptiert zu werden. Dies, glaube ich, schlichtweg aus dem Grund, da jede Uraufführung einer Komponistin, wie z.B. Olga Neuwirths Orlando an der Wiener Staatsoper, groß gefeiert wird. Dagegen spricht an sich nichts, allerdings weist es einerseits nicht nur auf die Erfolgsschritte der Emanzipation der Komponistinnen hin, sondern zeigt uns andererseits ganz deutlich, dass dieser Prozess der Gleichberechtigung noch immer gänzlich am Anfang steht.

Naumovski: Wenn Du wählen könntest, würdest Du lieber eine Karriere als Mezzosopranistin oder als Komponistin vorziehen?

Glinsner: Ich möchte gerne nach meinem Studium hauptberuflich als Sängerin und Dirigentin tätig sein, eine Karriere als Komponistin ergibt sich oder ergibt sich nicht. Das Komponieren wird mich immer begleiten, aber ich möchte mich nicht zum Komponieren zwingen. Wenn ich Inspiration und den inneren unbedingten Willen zu komponieren verspüre, komponiere ich. Das Anstreben einer Karriere als Komponistin würde allerdings diesem Willen und der Inspiration schaden.