Bisherige Funde – Archivalie des Monats

Leica M4 – 1213440, 1968/69


Wir wollen eine eigenartige Archivalie vorstellen, eine die man sich nicht unbedingt als Teil einer musikhistorischen Sammlung erwarten würde – einen Fotoapparat. Wir fanden diesen vor Kurzem samt Objektiven und anderem Zubehör im Rahmen der Übersiedlung des Büros eines emeritierten Professors. Hätte es sich um einen „gewöhnlichen“ Fotoapparat gehandelt, wäre dieser möglicherweise wie andere Funde dieses Umzugs (Software und Hardware aus den 1990er Jahren, alte Universitätsgesetzbücher usw.), in der Recycling Box gelandet. Eine Leica Kamera ist aber kein gewöhnlicher Fotoapparat.

Wegen ihrer besonderen Machart – kompakt, leicht transportierbar, schnell einsetzbar und mit einem für damalige Verhältnisse kleinen 35-mm-Filmformat, deren Negative auch für starke Vergrößerungen geeignet waren – setzte sich diese Marke in der künstlerischen und vor allem journalistischen Avantgarde durch und erlang einen fast mythischen Status: viele berühmte Fotos zur Zeitgeschichte wurden mit einer Leica aufgenommen, etwa die Reportagen von Henri Cartier-Bresson, das Che-Guevara-Bild von Alberto Korda oder die Bilder aus dem Spanischen Bürgerkrieg der Kriegsreporter*innen Robert Capa und Gerda Taro (ihrem Schicksal wurde im Jahr 2017 der Roman „Das Mädchen mit der Leica“ von Helena Janeczek gewidmet).

Um der Frage nachzugehen, welche Rolle dieser Fotoapparat in einem musikwissenschaftlichen Institut gespielt hat, bedarf es eines Rückblicks auf die Lehre nicht lang vergangener Zeiten: Heute mag es selbstverständlich erscheinen, nach Klang- und Bildbeispielen für den Unterricht im Internet zu suchen – in den 1970er und 1980er Jahren war das nicht so einfach. Klangbeispiele erklangen im besten Fall von LPs, sonst von viel aufwendiger zu bedienenden Tonbändern. Bilder wurden mittels Dias an die Wand oder auf eine Leinwand projiziert. Die im Historischen Archiv des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw aufbewahrte Leica wurde genau für diesen Zweck angeschafft. Ihre Seriennummer (M4 –1213440) ermöglicht ihre Datierung (1968-1969) und das Eingrenzen des Zeitraums ihres Ankaufs.

Neben dem Gehäuse wurden im selben Kontext auch zwei Objektive (Leitz Wetzlar Summicron 1:2/50 und Leitz Wetzlar Colorplan 1:2.5/90mm) gefunden und in die Historische Sammlung aufgenommen. Vom Leitz Reprovit IIa, einem komplexen Schiebebühnensystem, in dem man die Kamera hineingestellt hat, um Bücher und andere Vorlagen zu fotografieren (eine Tätigkeit, die von den Sekretär*innen und Assistent*innen des Instituts durchgeführt wurde), ist leider nur mehr die Gebrauchsanleitung erhalten.

Schließlich fanden wir auch ein großes Konvolut an Dias, die mit der Kamera zu didaktischen Zwecken aufgenommen wurden. Nach anfänglichem Zögern haben wir beschlossen, auch diese Dias und die sie erschließende handschriftliche Kartei im Bestand des Historischen Archivs aufzubewahren. Letztendlich ermöglichen sie es, eine Archäologie unseres Instituts zu betreiben.

Juri Giannini

 


 

„Johann Strauss Festschrift zu den Wiener Festwochen“, 02.06.-16.06.1929

von Carmen Rosenkranz

Aufbau, Inhalt und Illustration von Festschriften wie dieser, geben nicht nur Auskunft über das Programm der Veranstaltung, sondern auch über die Intentionen der Veranstalter, der in diesem Fall die Stadt Wien ist. Das „Rote Wien“ stellt sich hier als traditionsbewusst und modern vor: als eine „gemütliche“ Stadt der „Walzerseligkeit“,  aber auch als eine moderne Metropole, in der  Sport, Film und industrielle Innovationen Einzug gehalten haben. Wien präsentiert sich als idealer Ort für eine selbstbewusste Arbeiterschaft sowie als Fremdenverkehrsdestination. Das Heft ist sowohl an die Bewohner, als auch an potentielle Gäste gerichtet, es ist gleichzeitig Programm- und Propagandaheft.

Die Festwochen dieses Jahres standen im Zeichen von Johann Strauss: Zum einen fanden Feierlichkeiten zu Ehren des 30. Todestages von Johann Strauss Sohn statt und zum anderen wurde auch dem 80. Todestag von Johann Strauss Vater gedacht.

Aufgrund der außerordentlichen Anzahl an Beiträgen in der Festschrift wird deutlich, dass mit dem Festzug der Gewerbe am 09.06.1929 ein herausragendes Ereignis geplant war, wo sich unter der Leitung des Tanzpädagogen, Choreografen und Theoretikers Rudolf Laban ca. 10.000 Gewerbetreibende, Meister und Gesellen mit großen Festwägen vom Wiener Rathaus bis zum Prater bewegten. Für den Festzug wurde eigens Musik komponiert, welche durch Lautsprecher, die auf Wägen montiert waren, auf den Straßen Wiens erklangen.

Die vorliegende Archivalie zeigt nicht nur den Aufbau des Festzuges und einige Wagenskizzen, sondern bringt auch einen Text von Rudolf Laban selbst, Texte über Johann Strauss, die Stadt Wien sowie einen Text, der die politische Absicht des Zuges beschreibt. 

 

 



Archivpraktikum: Präsentation der Ergebnisse

Im Sommersemester 2019 fand ein Archivpraktikum unter der Leitung von Christian Glanz als Angebot im Studienplan Musikerziehenung statt. Die folgende Präsentation gibt einen kleinen Einblick in die bearbeiteten Archivalien.



Jazz-Archivalien zum Klingen gebracht

Musik von Hans Koller heute

Im umfangreichen Nachlass des Jazzhistorikers Klaus Schulz (1940-2016) im Institutsarchiv („Sammlung Schulz“) sind Leben und Werk von Hans Koller (1921-2003) ausführlich dokumentiert. Als langjähriger Begleiter (de facto „Privatsekretär“) seines „Lebensmenschen“ Hans Koller hat Schulz 2007 eine Koller-Monographie vorgelegt. Koller, der wohl der erste österreichische Jazzmusiker war, der den Schritt in die internationale Szene mit anhaltendem Erfolg unternommen hat und seinerseits nicht nur für Generationen von Saxophonist_innen stilprägend wurde, hat die Entwicklung des modernen Jazz maßgeblich mitgestaltet, er gehörte zu jenen Innovatoren, deren Ideen bis heute aktuell sind.

Parsival – handschriftlich – KollerCD-Cover: UPPER AUSTRIAN JAZZ ORCHESTRA – IN THE SPIRIT OF HANS KOLLER

Bekanntlich beschäftigte sich Koller auch konsequent mit der Malerei, seine diesbezügliche Begabung kann man wohl auch seinem Notenschriftbild entnehmen (wie hier eine seiner Eintragungen in seine persönliche Leadsheet-Sammlung). Besonders erfreulich ist, dass sich durch die Kooperationsmöglichkeiten innerhalb der mdw jüngst ein Koller-Big Band-Projekt ergeben hat: das Upper Austrian Jazz Orchestra (UAJO) unter der Leitung von Christian Maurer (Institut Franz Schubert) hat ausgewählte Stücke aus Kollers Leadsheet-Sammlung einer fulminanten Erkundung in neuen Arrangements (hergestellt von Bandmitgliedern) unterzogen. Erfreulich, wie die Materialien unseres Archivs eben nicht in diesem verbleiben…

 



Sängerhalle im Prater für das 10. Deutsche Sängerbundesfest 1928


Diese Archivalie gehört zu einem Bestand mit Materialien zum 10. Deutschen Sängerbundesfest, das mit großem Aufwand vom 19. bis 23. Juli 1928 in Wien veranstaltet wurde. Es wird berichtet, mehr als 100.000 Menschen aus dem In- und Ausland hätten daran teilgenommen. Im „Schubertjahr“ stattfindend, stand es im Zeichen dieses Komponisten, wurde aber auch als politische Anschluss-Kundgebung genützt - was damals auf einen breiten Konsens stieß - sowie als Werbung für den Tourismus.

Sängerhalle

Die hier gezeigte Fotografie wurde sehr aufwendig von der Österreichischen Luftverkehr A. G. von einem erhöhten Standpunkt aus gemacht. Die Form des Panoramabildes ermöglicht eine Vorstellung von der gewaltigen Größe der damals beteiligten Menschenmasse und von der riesigen Dimension der Halle. Allein die Tribüne war für etwa 40.000 Sänger konzipiert. Sie sind hier im Vordergrund abgebildet und nehmen einen Großteil des Bildes ein. Der (Haupt)Dirigent stand auf einem Holzturm, der in der Mitte des Bildes zu sehen ist. Die Konstruktion der Halle erweckte offensichtlich großes Interesse und wurde in den Medien detailreich geschildert. Dabei wird nicht selten in Superlativen von der „größten Halle der Welt“, dem „Konstruktionswunder“, dem „Erfolg der technischen Wissenschaften“ berichtet. Besonders stolz zeigte man sich auf die neuen technischen und medialen Möglichkeiten, insbesondere auf die als Sensation empfundene direkte Rundfunkübertragung durch diverse österreichische und deutsche Sender.

Postkarten wie diese wurden in großen Mengen als Andenken eines spektakuläres Sängerfest gekauft. Der Deutsche Sängerbund zeigt sich hier als eine wichtige (kultur)politische Institution. Österreich wird einerseits als ein traditionelles „Musikland“, andererseits aber auch als modern und innovativ präsentiert.

 



Von der Breite des Alltags


Diese Archivalie ist aus dem Notenbestand einer Blasmusikkapelle aus der Industrieregion der Obersteiermark in unser Archiv gelangt. Das hier vorliegende vierzehnstimmige Arrangement aus der Feder eines Kapellmeisters J. Bachinger ist mit 13. Mai 1894 datiert und kombiniert einen Marsch zu Ehren Ferdinand Lassalles (als Komponist ist auf einzelnen Stimmen ein R. Stoller angegeben) mit einem genretypischen Liedermarsch, dem Gigerl-Marsch von Josef Franz Wagner (1856 – 1908), ein bekannter Militärkapellmeister der k. u. k. Monarchie. Die symbolische Indienstnahme von Ferdinand Lassalle war auch in der österreichischen Sozialdemokratie verbreitet. Das wie selbstverständlich auftretende Nebeneinander von „Bekenntnis“ und „Unterhaltung“ – im musikalischen Stil sind keinerlei Unterschiede festzustellen – kann als exemplarisches Schlaglicht gelesen werden, das die Alltagsrealität der Musikpflege im parteipolitischen Zusammenhang der Jahrhundertwende beleuchtet.

Gigerl Marsch (v. Wagner) Datiert 13.05.1894


Festschrift zur Obersteirischen Musikwoche
Leoben 28. Juni bis 3. Juli 1921

Die vorliegende Festschrift entstand anlässlich der Obersteirischen Musikwoche, die vom 28. Juni bis 3. Juli 1921 in Leoben stattfand. Für deren Programmgestaltung waren in erster Linie der damals 27jährige Hermann Schmeidel und der 29jährige Alois Pachernegg (Leiter der Musikvereinskonzerte und der Musikschule in Leoben) verantwortlich. Ganz offensichtlich orientierten sie sich bei der Programmgestaltung an den „Meisteraufführungen Wiener Musik“, die ein Jahr zuvor stattgefunden hatten. Schmeidel hatte dabei als Dirigent mitgewirkt. Trotz des stark reduzierten Programms im Vergleich zum Wiener Vorbild, sind die Auswahlkriterien und die dahinterliegende Intention sehr ähnlich: Die Konzerte sollten in der schwierigen Nachkriegszeit als Zeichen eines gesellschaftlichen Neubeginns stehen. Der steirischen Bevölkerung wurde "Großes" geboten: Unter Beteiligung von Opern- und KonzertsängerInnen aus Wien und Graz sowie der Wiener Philharmoniker führten der Musikverein von Leoben und lokale Chöre Ouvertüren, Symphonien, Messen, Oratorien von Bach, Händel, Mozart, Haydn, Beethoven, Wagner, Goldmark, Bruckner, Mahler auf. In erster Linie handelte es sich um Komponisten, die damals als „Heroen“ der "deutschen", bzw. "deutsch-österreichischen" Musik betrachtet wurden. Dieses kulturelle Erbe, das zuvor einer elitären städtischen Bevölkerung vorbehalten war, sollte nun einem breiten Publikum dargeboten werden. Während bei den „Meisteraufführungen Wiener Musik“ vor allem an die Arbeiterschaft gedacht wurde (für das Programm war der sozialdemokratische Kulturpolitiker David Josef Bach hauptverantwortlich), dachte Hermann Schmeidel vor allem an die „Landbevölkerung“, die er in der Festschrift als die „gesunderen, unverbrauchten Menschen“ bezeichnet. Von ihr aus sollte eine „Bluterneuerung“ hervorgehen.

Die Analyse der Programmgestaltung sowie der begleitenden Texte (vor allem auch deren sprachlicher Duktus - ein Vergleich mit damaligen deutsch-nationalen Reformbewegungen würde sich sicher lohnen) geben relevante Einblicke in die kulturpolitischen Bestrebungen zur Zeit der jungen österreichischen Republik.

Zu den Eigenheiten des IMI–Archivs gehört eine oft nicht restlos zu klärende Provenienz von Materialien. So auch im Falle der Archivalie(n) des Monats Oktober:

Im wunderschönen Monat Mai wurde ein Umschlag bei uns abgegeben, dessen Herkunft ungeklärt bleiben muss. Es handelt sich dabei um Dokumente zum Umfeld der Wiener Erstaufführungen von Teilen der 10. Symphonie Gustav Mahlers 1924. Eine umfangreiche Sammlung von Zeitungsausschnitten zum Thema dominiert darin, ergänzt um ein Exemplar der "Einführenden Bemerkungen" zu Mahlers "nachgelassener" Symphonie. Eine Karikatur bezeugt das große öffentliche Interesse, dass die Wiener Staatsoper (bekanntlich der Schauplatz jener denkwürdigen Aufführung) in diesem Jahr aus nicht immer nur musikalischen Gründen gefunden hat.