Forschungsprojekt Karl Schiske

 

Projektleitung: Reinhard Kapp, Markus Grassl

Projektmitarbeiterin: Eike Rathgeber
 

 

Einführung
 

Einem der einflussreichsten Komponisten der österreichischen Musikgeschichte nach 1945 war ein in den Jahren 2000 bis 2004 mit Unterstützung der Stadt Wien durchgeführtes Forschungsprojekt des Instituts gewidmet. Im allgemeinen Bewusstsein ist der Name Karl Schiskes (1916-69) vor allem als der des ‚Lehrers der Lehrer‘ vorhanden. Von seiner Bedeutung als Komponist wissen nur wenige; einem breiteren Publikum ist die Musik vollkommen unbekannt, trotz des wien modern-Schwerpunkts 94. Dies ist freilich nur einer der vielen weißen Flecke, die eine ganze terra incognita bilden: die Wiener Musikgeschichte nach 1945, in der Schiske eine zentrale Rolle spielt.

Durch seinen Lehrer Ernst (im amerikanischen Exil: Ernest) Kanitz gehört er noch der Wiener Schreker-Schule an; in der wie auch immer beschränkten österreichisch-deutschen Neue Musik-Szene bezieht er seit dem Ende der 30er Jahre eine selbständige Position; nach 1945 vertritt er durchaus repräsentativ die allgemeinen kompositionsgeschichtlichen Entwicklungsstadien (indem er sich nacheinander mit Hindemith, Strawinsky, Schönberg, Webern, Stockhausen und selbst noch Cage auseinandersetzt). Mit der Absenz des „Wiener Espressivo“ fügt er sich durchaus in die Wiener Landschaft nach 1945 ein; im weitgehenden Verzicht auf vorgegebene Muster trifft er sich mit den Vertretern der (nicht nur) europäischen Avantgarde der 50er und 60er Jahre; die kompositorische Position des reiferen Schiske kann durch die Stichworte Durchkonstruktion und Konzentration charakterisiert werden.

Als Lehrer an der Wiener Musikakademie (seit 1952 Lehrbeauftragter, 1954 Vertragslehrer, 1962 ao., erst ganz zuletzt o.Professor) war er eine wichtige Vermittlerfigur zwischen den in Wien herrschenden neoklassizistischen Tendenzen und dem Serialismus; Vermittler auch in dem Sinn, dass er etwas von der ‚großen Welt‘ nach Wien gebracht und vielen die Möglichkeit eröffnet hat, sich dort umzusehen. Unter den Kompositionslehrern der Akademie (Marx, Uhl, Siegl, von Einem) der Vertreter des Fortschritts und eines analytischen und diskursiven Vorgehens im Unterricht, hat Schiske – lernend mit seinen Schülern – eine bedeutende Schule begründet. So waren alle wichtigeren österreichischen Komponisten der Folgegeneration entweder seine Schüler (etwa Iván Eröd, Günter Kahowez, Gösta Neuwirth, Kurt Schwertsik, Erich Urbanner, Otto M. Zykan) oder standen – wie Friedrich Cerha oder Anesthis Logothetis – mit ihm in Verbindung. Er wirkte über Österreich hinaus durch eine Reihe von ausländischen Schülern (Charles Boone, Antony Hughes, Luca Lombardi, Gunnar Sönstevald) und eine Gastprofessur 1966/67 an der University of California/Riverside.

Der Nachlass, dessen Aufarbeitung Gegenstand des Forschungsprojekts ist, hat sich nahezu vollständig in Orth a.d. Donau erhalten. Er umfaßt Autographe Karl Schiskes, sowohl Skizzen als auch ausgearbeitete Partituren, gedruckte Ausgaben und korrigierte Handexemplare seiner Werke. Neben dem Notenmaterial finden sich Konzertprogramme und zeitgenössische Kritiken ebenso wie Schiskes Korrespondenz und Arbeitsbibliothek.

Alle von Schiske selbst mit Opuszahlen versehenen 50 opera, sowie der aus dem Nachlass herausgegebene Dialog op. 51, zahlreiche Werke aus seiner Schulzeit und die unvollendeten Kompositionsprojekte wurden in einem zentralen alphabetischen Register erfasst. Die Manuskripte wurden geordnet und in Mappen archiviert, deren Inhalt aus einem Werkverzeichnis ersichtlich ist. Register und Werkverzeichnis werden im Bericht über das Symposium „Österreichs Neue Musik nach 1945: Karl Schiske“ erscheinen. Die vollständige chronologische und systematische Erfassung der Aufführungen von Werken Karl Schiskes könnte Teil eines Folgeprojekts zur Rezeptionsgeschichte sein. Im Laufe des Projekts ist es gelungen, den Standort des Autographs der Choral-Partita op. 46 zu eruieren und den Nachlass um Photokopien des Manuskripts zu ergänzen. Nach wie vor ungeklärt ist der Verbleib der Autographe der Blockflötensuite op. 15 a und b, der Lieder op. 19 b und c, der Tanz-Suite op. 23 und der Drei Stücke für Gloria op. 32.
 

Die Ergebnisse des Projekts liegen einem Werkverzeichnis und einer Edition von ausgewählten Texten Schiskes zu Grunde, die in dem Sammelband Österreichs Neue Musik nach 1945: Karl Schiske, hrsg. von Markus Grassl / Reinhard Kapp / Eike Rathgeber, Wien (Böhlau) 2009 (Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 7), publiziert wurden.
 

 

Karl Schiske (1916–1969) | Biographie
 

Geboren wurde Karl Schiske am 12. Februar 1916 in Györ (Raab/Ungarn) als Sohn des Maschinenbauingenieurs Rudolf Schiske, eines Pioniers auf dem Gebiet des Automobil- und Flugzeugbaus, der als Leiter der Raaber Waggonfabrik tätig war. 1918 mußte die Familie Ungarn verlassen und fand 1919 in Orth/Donau eine erste Unterkunft, nachdem dort bereits der Großvater als Oberförster heimisch war. 1923 fand sich eine Wohnung in Wien XV, Pilgerimgasse 22, die die Eltern in den kommenden Jahrzehnten behalten sollten. Seit 1932 nahm Karl Schiske Klavierunterricht bei Roderich Bass und Julius Varga am Neuen Wiener Konservatorium; er schloß dieses Studium 1940 bei Hans Weber ab. 1932 begann auch der private Theorie- und Kompositionsunterricht bei Ernst Kanitz, einem Schüler Franz Schrekers. Nach der Emigration von Kanitz im Jahre 1938, mit dem Schiske weiterhin eine intensive Korrespondenz bis zu seinem Tod führte, legte Schiske 1939 als Externer die Reifeprüfung im Fach Komposition an der Wiener Musikakademie ab. Sein Studium der Musikwissenschaft an der Wiener Universität beendete er nach vielfältigen, u.a. kriegsbedingten Verzörgerungen mit einer Dissertation „Zur Dissonanzverwendung in den Symphonien von Anton Bruckner“ 1942.

Zwischen Kriegsende im Mai 1945 und der Berufung als Kompositionslehrer an die Wiener Musikakademie 1952 entstanden in dichter Folge sehr viele Werke, einige davon in Gmunden, wo Schiske sich als Gast der Familie Nedbal aufhielt, und im steirischen Groß-Sölk bei der befreundeten Familie Schuller-Götzburg. Dazu gehören auch das 1946 entstandene Oratorium Vom Tode op. 25 zum Gedächtnis des im Krieg umgekommenen Bruders Hubert, das Karl Böhm 1948 im Konzerthaus unter lebhafter öffentlicher Anteilnahme uraufführte, sowie die II. und III. Symphonie.

Zu Beginn der Fünfziger Jahre beginnt Karl Schiske seine international erfolgreiche Lehrtätigkeit an der Akademie und heiratet 1954 Bertha Baumhakl. Der Unterricht und die junge Familie lassen ihm weniger Zeit zum Komponieren, dennoch entstehen auch noch in den letzten Lebensjahren gewichtige Werke, zwei weitere Symphonien, eine Messe, die Candada op. 45, die Synthese op 47 und das Divertimento op. 49, mit denen Schiskes sukzessive Annäherung an die kompositorische Avantgarde ihren Höhepunkt erreicht.

Der österreichische Staat zeichnete Karl Schiske mit zahlreichen Preisen und Ehrungen aus, darunter Preis der Stadt Wien für Tonkunst (1950), Österreichischer Staatspreis für das Oratorium Vom Tode (1952), Theodor-Körner-Preis und Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (1960), Großer Österreichischer Staatspreis (1968) sowie Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1968). 1962 wurde Schiske zum außerordentlichen, 1968 zum ordentlichen Professor an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien ernannt, 1966/67 wirkte er als Gastprofessor an der University of California in Riverside. Karl Schiske verstarb am 16. Juni 1969 in Wien.