Eine neue Veranstaltungsreihe des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der mdw

Audiovisuelle Medien sind heute aus den Kulturwissenschaften nicht mehr wegzudenken. Videoclips im Internet mit dazugehörigen Kommentaren können zur Analyse aktueller Diskurse in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen herangezogen werden. Filmaufnahmen werden aber ebenso als Primärquellen für laufende Forschungen erstellt und in wissenschaftlichen Archiven zugänglich gemacht. Weiters dienen sie regelmäßig als Ausgangspunkt und wirkungsvolles Anschauungsmaterial für Vorträge und Veröffentlichungen sowie in der Lehre. In der Ethnologie ist die Visual Anthropology ein längst etabliertes Forschungsfeld mit zum Teil eigenen Masterstudiengängen. Der ethnografische Film ist dementsprechend ein eigenständiges Publikationsformat, für das zahllose internationale Festivals geschaffen worden sind. Konstitutiv für das Genre ist die Einsicht, dass im ethnografischen Film immer die Sichtweisen aller an der Dokumentation Beteiligten reflektiert werden.

Zakarpattia
Zakarpattia von Shaun Williams ©Shaun Williams

Ganz besonders profitiert von der Einführung des Tonfilms haben die Volksmusikforschung und Ethnomusikologie. Die Möglichkeit, musik- und tanzbezogene Situationen in ihrem zeitlichen Verlauf festzuhalten, hat die Quellenlage geradezu revolutioniert. Wir können nun die Interaktion in einem Gesangsensemble, Spieltechniken von Musikinstrumenten und komplexe tänzerische Bewegungsabläufe bis ins kleinste Detail analysieren. Ebenso rückt der lebensweltliche Kontext der musikalischen Ausdrucksformen stärker in den Fokus. Vor allem aber bringt das Medium des Films wie kein anderes die Persönlichkeit des musizierenden Menschen zur Geltung, die für die Volksmusikforschung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zentraler Bezugspunkt ist. So wie zahlreiche Studien etwa herausragende SängerInnen oder InstrumentalistInnen porträtieren, so kennen auch volksmusikalische Filme ihre Hauptpersonen. Wissenschaftliche Arbeit kann auf diese Weise auch Emotionen unmittelbarer vermitteln, was einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem geschriebenen Wort darstellt. Darüber hinaus kann das Medium Film ein viel breiteres, nicht fachgebundenes Publikum erreichen.

Table Songs
Table Songs of Kakheti von Hugo Zemp und Nona Lomidze ©Hugo Zemp

Auch und gerade in der europäischen Volksmusikforschung besteht seit geraumer Zeit das eigenständige Genre des volksmusikalischen und ethnomusikologischen Dokumentarfilms. Forscherpersönlichkeiten dokumentieren ihren durchaus individuellen Zugang zu den untersuchten Musikkulturen auf der Grundlage eines wissenschaftlichkünstlerischen Konzepts und auf hohem filmischen Niveau. Ein ständiger Perspektivenwechsel im Sinne des Dialogical Editing ist hierbei notwendiger Bestandteil eines den Standards der Volksmusikforschung und Ethnomusikologie angemessenen Dokumentarfilms. Dies setzt freilich voraus, dass wissenschaftlich Filmschaffende und ihre Gewährsleute vor Ort die gleiche Sprache sprechen. Eben deshalb ist der dialogische Ansatz der performer-centered Research in der europäischen Volksmusikforschung besonders früh entwickelt worden.

Mit der von Ulrich Morgenstern und Ardian Ahmedaja konzipierten Veranstaltungsreihe Cinematographia Musicae Popularis (CiMPo) bietet das Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie seit Juni 2017 ein Forum für fachlich profilierte Filmschaffende, um wissenschaftlich-künstlerische Produktionen, vorwiegend im Bereich der europäischen Volksmusik, einem breiten Publikum innerhalb und außerhalb der mdw vorzustellen. Hierin besteht die Chance, die Arbeitsweise und durchaus auch den Reiz volksmusikalischen Forschens transparent zu machen.

Den Auftakt für CiMPo lieferte der von Hugo Zemp und Nona Lomidze in Georgien gedrehte Film Table Songs of Kakheti, der am 20. Juni 2017 in Anwesenheit des georgischen Botschafters Konstantine Zaldastanishvili (1960–2017) in der Diplomatischen Akademie Wien von der Koautorin vorgestellt wurde. Die zweite Veranstaltung war schon nicht mehr eindeutig einer Nationalkultur zuzuordnen. Am 20. Oktober 2017 präsentierte Shaun Williams (Cincinnati/Bukarest) im Neuen Konzertsaal der mdw die Dokumentation Zakarpattia, die Einblicke in das Musikleben der multiethnischen Karpatenukraine bot, unter anderem die abenteuerliche Konzertreise einer Roma-Gruppe nach Budapest.

Für 2018 hat CiMPo als Schwerpunkt sardische Traditionen gewählt. In bewährter Kooperation des IVE mit dem Istituto Italiano di Cultura di Vienna, wo auch die kommenden beiden Filmabende jeweils donnerstags stattfinden werden. Am 24. Mai wird Renato Morelli seine Arbeit über den Gesang „a cuncordu“ in der Karwoche von Cuglieri am Beispiel zweier Sängergenerationen vorstellen und am 8. November wird Marco Lutz einen Film über die „s’arrepetina“, eine Tradition der improvisierten Poesie in Zentral- und Südsardinien, präsentieren. Die Kooperation mit internationalen Partnern sowie der Kontakt mit ausländischen Communitys in Wien soll auch weiterhin ein wesentliches Standbein von CiMPo bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert