„Amenca ketane“ ist ein Leitspruch der Romabewegung in Österreich und heißt „gemeinsam, zusammen“. Die MMRC Lecture am 16. November 2023 im Joseph Haydn-Saal der mdw verwendete diese Worte in Romanes als Motto für die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Traumata dieses Volkes und der Überwindung derselben mit den Mitteln der Musik: amenca ketane. Histories of Trauma, Music and Romani Empowerment.

Duo Mindj Panter (Sandra & Simonida Selimović), © Hanna Fasching

Ursprünglich ist amenca ketane der Anfang eines Liedes, das die KZ-Überlebende Ceija Stojka 1990 in der Öffentlichkeit bekannt gemacht hat: Amenca ketane sam zurale – gemeinsam, zusammen sind wir stark. Ceija Stojka war eine Pionierin der Romabewegung in Österreich, ihr Buch Wir leben im Verborgenen (1988) war die erste Veröffentlichung einer Romni, die ihr KZ-Trauma schreibend aufarbeitete. Ab diesem Zeitpunkt traten die Roma/Romnja heraus aus dem „Verborgenen“, 1989 wurde der erste Romaverein in Oberwart geründet, 1991 folgten zwei Wiener Vereine. Ein gemeinsames politisches Ziel war die Anerkennung der Roma/Romnja als sechste Österreichische Volksgruppe, ein Ziel das nur gemeinsam zu erreichen war. Ein Großteil der österreichischen Roma/Romnja starb in den Vernichtungslagern der Nazis. Nach dem Krieg wurde ihnen Wiedergutmachung verweigert und erst 1988 wurden die Romalager Lackenbach und Wals als Konzentrationslager anerkannt. In der österreichischen Gesellschaft war außer negativen Vorurteilen kaum etwas über Roma/Romnja bekannt. Historiker_innen wie Selma Steinmetz und Erika Thurner hatten begonnen, die KZ-Geschichte der Roma/Romnja aufzuarbeiten, die Sprachwissenschaft begann sich in den frühen 1990er-Jahren intensiv mit den verschiedenen in Österreich gesprochenen Romanes-Varianten zu beschäftigen (Mozes Heinschink, Dieter Halwachs) und die Ethnomusikologie leistete ihren Beitrag in der Erforschung und Veröffentlichung der vielfältigen musikalischen Ausdrucksformen von Roma/Romnja in Österreich (Christiane Fennesz-Juhasz, Ursula Hemetek). Dies waren notwendige Voraussetzungen für die Anerkennung als Volksgruppe. Diese ist in Österreich mit bestimmten kollektiven Rechten verknüpft, u. a. Unterricht in der Muttersprache, die Einrichtung eines Beirates im Bundeskanzleramt und der Anspruch auf finanzielle Förderung. Das Ziel wurde am 16. Dezember 1993 erreicht.

Ursula Hemetek, Mirjam Karoly & Ioanida Costache © Hanna Fasching

Das Music and Minorities Research Center (MMRC) an der mdw greift immer wieder gesellschaftspolitisch relevante Themen auf, in Forschungsprojekten, aber auch in Veranstaltungen, wie z. B. der seit 2019 jährlich stattfindenden MMRC Lecture. Die diesjährige MMRC Lecture nahm das 30-jährige Jubiläum der Anerkennung der Roma/Romnja zum Anlass, sich mit dem Thema Roma und Musik auseinanderzusetzen. Der Fokus lag auf den immerwährenden Kämpfen dieses Volkes und dem Umgang mit Traumata, ausgelöst durch eine lange Geschichte der Diskriminierung und des Völkermords. Dass Musik als Mittel des Erinnerns und Heilens, aber auch des kollektiven Empowerments eine Rolle spielen kann, wurde sowohl in den Vorträgen als auch im musikalischen Beitrag thematisiert. Die Protagonistinnen des Abends waren ausschließlich Romnja, aus verschiedenen Teilen der Welt. Die Keynote Sound, Race, and Romani Subjectivity kam von der Ethnomusikologin Ioanida Costache (Standford University), die in den USA geboren ist, ihre Eltern stammen aus Rumänien, was auch ihre bevorzugte Forschungsregion ist. Anhand von Beispielen rumänischer Romamusik betrachtete sie die Rolle der musikalischen Performance bei der Schaffung intimer Räume, in denen Prozesse der Zugehörigkeit, Heilung und Selbstbildung stattfinden können. Die beeindruckenden musikalischen Beispiele aus Feldforschungen wurden überzeugend theoretisch eingebettet. Für die Response mit dem Titel The fight for justice and recognition of the Roma Holocaust wurde Mirjam Karoly (Romano Centro) gewonnen, eine österreichische Politikwissenschaftlerin, die auch eine langjährige Roma-Aktivistin ist. Entlang historischer Entwicklungen und anhand von Beispielen aus Deutschland und Österreich sprach sie über die Bedeutung der Kämpfe um die Anerkennung des Roma-Holocaust für die Roma-Bürgerrechtsbewegung.

Die künstlerische Performance kam diesmal vom Wiener Romnja-Rap-Duo Mindj Panter. Simonida und Sandra Selimović stammen aus Serbien, leben in Wien und performen meist in einem Sprachenmix (Romanes, Deutsch, Serbisch, Englisch). Ihre musikalische Botschaft ist feministisch, anti-rassistisch, widerständisch und steht für Roma/Romnja-Empowerment. Ihr Auftritt im Joseph Haydn-Saal war ungewöhnlich, denn das Ambiente ist nicht unbedingt für diese Art von Musik gemacht. Aber sie haben den Saal, als einen Ort, der für „Hochkultur“, klassische Musik und Establishment steht, für sich „erobert“ und das Publikum begeistert. Musikalische Orte und Institutionen wie die mdw haben eine starke Symbolkraft, und gerade deshalb ist es wichtig, sie für Minderheiten zu öffnen. „Amenca ketane“ als Botschaft dieses Abends wurde im Zusammenwirken von Romnja aus verschiedenen Teilen der Welt, mit den Mitteln von Wissenschaft und Kunst eindrucksvoll präsentiert. Veränderung ist möglich, die Wirkungsmacht der Musik, sei es in der Performance selbst oder in ihrer wissenschaftlichen Kontextualisierung ist ein wesentliches Werkzeug auf dem Weg zur Beseitigung von Ungleichheit und zur Schaffung einer minderheitengerechten Gesellschaft.

Die MMRC Lecture kann in der mdwMediathek nachgesehen werden.

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