Wie äußert sich Zugehörigkeit musikalisch, vor allem in Kontexten der Migration? Welche (Nicht-)Zugehörigkeiten werden in Musik sicht- und hörbar, wenn Menschen migrieren, oder migrieren müssen? Inwiefern kann ein intersektional gedachtes Konzept von Zugehörigkeit im Verstehen von Musikpraxis rund um Phänomene und Kategorisierungen entlang von Migration von Nutzen sein?

Um diese Fragen kreiste die Konferenz Music, Migration, Belonging/s in 21st Century Europe, die im November an der mdw stattfand. Sechzehn Vortragende, davon dreizehn Frauen*1, präsentierten in Panels und einem Roundtable ihre aktuellen Forschungen rund um Musik mit Bezug zu verschiedenen Arten von Migration. Etwa sechzig Teilnehmende aus unterschiedlichen Disziplinen nahmen teil und trugen zu einem gelungenen akademischen Austausch zu einem aktuellen und brisanten Themenkomplex bei.

In der Keynote diskutierte die Soziologin Nadia Kiwan (Universität Aberdeen, Großbritannien) anhand des Beispiels Großbritannien den Status quo der „Festung Europa“ und die Rolle sowie den Handlungsspielraum von politischen Communitys in diesem Kontext. Kiwan plädierte für einen Forschungszugang über transnationale Netzwerke: Gerade für Musiker_innen, die migrieren, ist lokale Verortung oft zweitranging; viel mehr vernetzen sich diese entlang musikalischer Interessen über nationale und ethnische Grenzen hinweg. Im Key-Panel zu aktuellen Herausforderungen der Musikforschung rund um Migration im aktuellen Europa präsentierte Evrim Hikmet Öğüt (Mimar Sinan Kunst-Universität Istanbul, Türkei) ihre aktuelle Forschung zu syrischen Musiker_innen in der heutigen Türkei. Syrische Migrant_innen hätten in der Türkei nur wenige Rechte. Sie werden als „Gäste“ gesehen, von denen erwartet wird, dass sie früher oder später wieder gehen. Öğüt berichtete über den aktuellen arabischen Tourismus, in dem syrische Musikgruppen in enorm prekären Arbeitsverhältnissen die musikalische Unterhaltung bieten und dabei gleichzeitig als „Gäste“ und als „Gastgebende“ fungieren. Anschließend nahm Mojca Piškor (Musikakademie Zagreb, Kroatien) die Frage von Zugehörigkeit bei Menschen in den Blick, die entlang der so genannten Balkanroute nach Europa flüchten. Anhand zweier Beispiele – der syrischen Rockband Khebez Dawle sowie einem Community-Chor-Projekt – zeigte Piškor, dass Zugehörigkeitsgefühl über Musik zwar möglich, aber in diesen existenzbedrohenden Ausnahmesituationen nur temporär und zerbrechlich ist.

Zum Abschluss des Panels berichtete Talia Bachier-Loopuyt (Universität Tours, Frankreich) von ihren Forschungen zu Personen in Migrationskontexten in Frankreich und verdeutlichte eindrücklich, dass Zugehörigkeit in musikalischen Kontexten immer und überall eine Rolle spielt, auch wenn sie nicht immer im Vordergrund steht.

Den Abschluss der Konferenz bildete ein Roundtable zum Thema Musik und Zugehörigkeit: Potenziale, Herausforderungen und erste Ergebnisse, moderiert von Conny Gruber (ÖAW-Phonogrammarchiv). Der Roundtable startete mit einem Input der Ethnomusikologin Britta Sweers (Universität Bern, Schweiz) zur albanischen Diaspora in der Schweiz sowie generell zum Begriff Diaspora, gefolgt von einer Präsentation von Ethnomusikologin Ulrike Präger (Universität Louisville, USA) zur Relevanz von „Übersetzung“ als theoretischer Perspektive anhand eines Opernprojekt in München, das geflüchtete und länger ansässige Menschen zusammenbrachte. Es folgte eine intensive Diskussion zur Vielschichtigkeit des Konzepts und des Begriffs der Migration, sowie dessen Stigmatisierungs-Potenzial, ebenso wie die damit einhergehende Relevanz von Zugehörigkeit(en).

Abgerundet wurde das wissenschaftliche Programm mit einem Konzert in der Sargfabrik vom Ensemble Basma and Friends: Die syrisch-österreichische Sängerin und mdw-Studentin Basma Jabr präsentierte ihr neues Album Furat. Die Konferenz fand im Rahmen des Projekts Women Musicians from Syria: Performance, Networks, Belonging/s after Migration (Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF, V706-G29), eine Kooperation des Music and Minorities Research Centers mit dem Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, statt.

  1. Das Gender-Sternchen bei Frauen* dient als Verweis auf den Konstruktionscharakter von „Geschlecht“. Frauen* deutet auf das Spektrum jenseits des binären Systems hin sowie auf geschlechtliche Vielfalt.
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