BERICHT
Interdisziplinäres Symposion Musik der Welt im Unterricht. Musikpädagogik und Ethnomusikologie, veranstaltet vom Österreichischen Nationalkomitee im ICTM und vom Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien in den Räumen der Musikuniversität Wien, 8. und 9. Mai 2015


Thomas Nußbaumer


Dieses von den beiden im Titel genannten Institutionen gemeinsam veranstaltete Symposion widmete sich den Zugängen und Positionen der Musikpädagogik und Ethnomusikologie hinsichtlich der Vermittlung ethnomusikologischer Inhalte im Schulunterricht und richtete sich an VertreterInnen beider Fachrichtungen. Viele MusikpädagogInnen haben die Vielfalt „ethnischer“ traditioneller Musik außer- und innereuropäischer Kulturen, auch jener der Minderheiten, als faszinierendes, wichtiges Thema des Schulunterrichts entdeckt. Doch unter welchen Prämissen können „ethnomusikologische“ Inhalte an allgemein bildenden höheren Schulen vermittelt werden? Wie steht es um das Vorhandensein adäquater Unterrichtsmaterialien? Wie erwirbt man sich als LehrerIn ausreichend „Kompetenz“, um beispielsweise afrikanische, indische, persische Musik oder alpenländische Volksmusik im Unterricht darzustellen? Wird man im Studium darauf vorbereitet?
            Zur Eröffnung der Tagung und einer ersten Klärung dieser Fragen wurde Dorothee Barth, Professorin für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Universität Osnabrück, eingeladen. In ihrem Key Note-Referat „Das Fremde aneignen. Musikalische Bildung im Spannungsfeld zwischen Erfahrung und Vermittlung von Musik anderer Kulturen“ vermittelte sie zunächst einen historischen Abriss des Interesses an „exotischer“ Musik seit den 1970er-Jahren in der Popmusik. In den 1980er-Jahren, führte sie weiter aus, widmete sich auch die Musikpädagogik zunehmend dem Thema, nicht zuletzt infolge der Notwendigkeit, auch SchülerInnen mit Migrationshintergrund in den Musikunterricht einbeziehen zu müssen. Es entstand die „Interkulturelle Musikpädagogik“, auch mit der Idee, zur Weckung des Musikinteresses bei den SchülerInnen „Anschlussstellen“ in außereuropäischer Musik zu finden. Die Entdeckung der „Transkulturalität“ führte zu einer Vielzahl von Unterrichtsmaterialien, jedoch von sehr unterschiedlicher Qualität.
            In einem anschließenden Gedankengang strebte Dorothee Barth einen Vergleich zwischen den Disziplinen Musikpädagogik und Ethnomusikologie an: Während sich die Musikpädagogik tendenziell als normative Wissenschaft verstehe, sei die Ethnomusikologie vorwiegend deskriptiv; während die Musikpädagogik in erster Linie eine Bildungswissenschaft darstelle, sei die Ethnomusikologie eine Deutungswissenschaft; in der Musikpädagogik gehe es mehr um eine Veränderung der Praxis, während die durch die Ethnomusikologie geleistete Erforschung musikalischer Praktiken zu Theoriebildungen führe.
            Barth sieht die von ihr konstatierte (und in der Diskussion nicht unwidersprochene) normative Seite der Musikpädagogik als problematisch und strebt – hier mit Seitenblick auf die Charakteristik ethnomusikologischer Arbeitsweisen – sozusagen eine Abmilderung an, indem sie in Anlehnung an Wolfgang Klafki auf Kriterien der Didaktischen Analyse (wie etwa die exemplarische Bedeutung des Unterrichtsgegenstandes, Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung, Struktur des Gegenstandes, Zugänglichkeit/Anschaulichkeit) sowie auf die Bildungs- und Lehraufgaben der Musikpädagogik (Förderung der Konzentration, Leistungsbereitschaft, Selbstdisziplin, Teamfähigkeit, Kritikfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit usw.) hinweist. Durch Musikunterricht soll die Lust und Neugierde auf Musik geweckt werden. Den Schluss ihres Referats, in dem es um didaktische Fragen ging, fokussierte sie auf die Unterscheidung zwischen den Begriffen „Vermittlung“ und „Erfahrung“. Ihrer Darstellung nach könne es der Musikpädagogik nicht um eine inputorientierte Vermittlung ethnomusikologischer Inhalte im Unterricht ohne Konstruktionsleistung der Schülerinnen und ohne Reflexion allein gehen, sondern wichtiger sei der Aspekt der „Erfahrung“. Als Perspektiven für den Unterricht schlägt sie Methoden vor, die jenen der Ethnomusikologie teilweise nicht unähnlich sind: Forschung im Feld und in der Literatur, die Organisation von Workshops, Konzertbesuche und erfahrungsoffene unterrichtliche Inszenierungen zur „Aneignung des Fremden durch Erfahrung“.
            In der anschließenden Podiumsdiskussion zum Thema „Vom Exotismus und anderen Fallen. Das Problem der Ethnomusikologie mit der Musikpädagogik“, moderiert von Monika Oebelsberger, Professorin für Musikpädagogik an der Universität Mozarteum Salzburg, wurden mögliche Differenzen der Betrachtungsweisen zwischen den beiden Disziplinen Musikpädagogik und Ethnomusikologie erörtert. So bedauerte Ursula Hemetek, Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der Musikuniversität Wien, dass in den schulischen Lehrmaterialien die Beschäftigung mit der westeuropäischen Kunstmusik so sehr dominiere, dass mitunter andere Musiksprachen völlig vernachlässigt werden. Der Musikunterricht in Österreich trage zu wenig dem Umstand Rechnung, dass Österreich ein Zuwanderungsland ist. Ähnlich äußerte sich die Erwachsenenbildnerin Martina Mühlbauer, die sich u. a. mit Romamusik beschäftigt. Britta Sweers, Ethnomusikologin an der Universität Bern, versuchte dem Mangel an unterrichtsadäquater Literatur dadurch abzuhelfen, indem sie in Medien wie Musik und Bildung und Musik im Unterricht pädagogisch verwertbare Materialien zur traditionellen Musik in Europa veröffentlichte. August Schmidhofer, Musikethnologe an der Universität Wien, wies auf die Gefahren klischeebefangener exotistischer Deutungen hin. Seiner Meinung nach werden in Musiklehrbüchern für den Schulunterricht ethnomusikologische Inhalte häufig derart vereinfacht, dass man von verfälschenden Darstellungen sprechen kann.
            Genau dieser Befund konnte in einem von Regine Allgayer-Kaufmann, Professorin für Musikethnologie an der Universität Wien, moderierten „Co-Referat“ durch Isolde Malmberg, Musikpädagogin an der Musikuniversität Wien, und Gerd Grupe, Professor für Musikethnologie an der Musikuniversität Graz, anhand gängiger deutscher Schulbücher verifiziert werden. Betrachtet wurden Auszüge aus den Schulbuchwerken Töne, Soundcheck und O-Ton, in denen Themen wie „Die Musik Afrikas“, „Die Musik Indiens“, „Crossover – alles vom Balkan und mehr“ und „Musik in Raum und Zeit“ behandelt werden. Während Isolde Malmberg die musikpädagogische Qualität der vorgestellten Ausschnitte auf den Prüfstand stellte, widmete sich Gerd Grupe den darin beschriebenen ethnomusikologischen Inhalten. Grundsätzlich wurde festgestellt, dass die entsprechenden Schulbuchpassagen weitgehend offenbar ohne ethnomusikologische Hilfe verfasst wurde. Schlimmer als die Verwendung falscher Termini sei der Transport längst schon veralteter evolutionistischer und tendenziell rassistischer Theorien. Am Ende des „Co-Referates“, in das auch Publikumskommentare eingebunden waren, wurde der Ruf nach vermehrter Zusammenarbeit zwischen EthnomusikologInnen und MusikpädagogInnen laut, wenn es um die Erstellung von Unterrichtsmaterialien geht.
            In der abschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Thomas Nußbaumer, Volksmusikforscher an der Universität Mozarteum Salzburg, ging es um „Interkulturelle Musikpädagogik in der Ausbildung und ihre Umsetzung in der Schule“. Mit Cornelia Dorfmeister, Franziska Feurstein, Else Schmidt, Markus Haider sowie Karin Bindu präsentierten sich vier Lehrpersonen und eine im Bereich des musikalischen Schulservice tätige Musikerin, indem sie über ihre eigenen Ausbildungen an der Musikuniversität und Universität Wien sowie ihre Unterrichtssituationen reflektierten. Wenngleich die Darstellungen sehr individuell waren, konnte man feststellen, dass es insbesondere in Wien durch das Wirken des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie ein Ausbildungsangebot gibt, das Erfahrungen mit ethnomusikologischen Inhalten auf sehr vielen Ebenen zulässt, dass aber andererseits die Ethnomusikologie in der musikpädagogischen Ausbildung noch zu wenig verankert ist. Erneut wurde der Ruf nach vermehrter Zusammenarbeit zwischen Musikpädagogik und Ethnomusikologie laut, zumal es auch den EthnomusikologInnen natürlich wichtig ist, dass die durch sie erforschten und beschriebenen Inhalte sachgerecht vermittelt werden.
Der mehrfach eingeforderte Aufbau einer Plattform, auf der sich VertreterInnen beider Nachbardisziplinen produktiv einbringen können, ist mit Sicherheit die wichtigste Zukunftsperspektive des Sympoisons, das unter der Leitung von Ursula Hemetek und Thomas Nußbaumer stand und durch einen reizvollen Workshop der Sängerin Ivana Ferencova ergänzt wurde, die mit den SymposionsbesucherInnen Lieder und Tänze der Roma ausprobierte.
 
 ►  Tagungsprogramm



Einige Eindrücke:

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