Interview des Monats April

 

Mag. Siegfried Böhm-Öppinger

geboren 1958 in Haslach an der Mühl, Oberösterreich

derzeit berufstätig als Musiktherapeut an der Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie 2 im Universitätsklinikum Tulln, Lehrbeauftragter am Institut für Musiktherapie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

1982 / 2018 (Fotos: privat)

Lieber Sigi,

Du bist so jung wie die Musiktherapie. Entschuldige bitte die Frage: "Wie fühlt sich das an?"

Nach meinem Gefühl ist die Musiktherapie wesentlich älter als ich. Als ich studierte, meinte ich in eine alte und lange Tradition einzutreten. Dass die Musiktherapie in Wien damals erst 20 Jahre alt war, mutet heute unglaublich jung an.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Du in Wien Musiktherapie studiert hast?

In einem Buch über Berufe las ich kurz vor der Matura erstmals den Begriff "Musiktherapie", und der ließ mich nicht mehr los. Der Zufall brachte es, dass ich in meiner unmittelbaren Umgebung zwei geschätzte Menschen mit einem Bezug zur Musiktherapie hatte. Der eine hatte die damals verfügbare Musiktherapieliteratur bei sich, das waren vier Bücher. Der andere hatte in seinem Zimmer eine große Pauke stehen, spielte sie nie und auf meine neugierigen Fragen antwortete er immer gleich und verschmitzt lächelnd: "Na ja, …. eine Pauke braucht man halt! …" Des Rätsels Lösung: Er war mit Frederike Mayerhofer, der ersten Musiktherapeutin im Linzer Wagner-Jauregg-Krankenhaus, befreundet und er konnte mir diesen ersten wertvollen Kontakt vermitteln. 

Ich musizierte damals viel und gerne mit Gitarre und Flügelhorn. Ich hatte diese ohne Unterricht erlernt, leider waren es die "falschen Instrumente". Damals waren bei der Aufnahmeprüfung  Klavier und Altblockflöte gefordert. So machte ich ein freiwilliges soziales Jahr und Zivildienst und erlernte diese Instrumente. Die Aufnahmeprüfung schaffte ich mit Ach und Krach.  

Wenn Du nicht Musiktherapie studiert hättest – was hättest Du stattdessen getan?

Ich lebte im Gefühl, dass mir die Welt offensteht und hätte entweder Biologie oder Medizin studiert.

Was bedeutet für Dich "Wiener Schule der Musiktherapie" heute?

Die Wiener Schule bildet die Wurzeln meiner beruflichen Identität, auch wenn im Laufe meiner langen Berufstätigkeit viel Neues hinzukam, oder Erlerntes zu modifizieren war. 

Zu Deiner musiktherapeutischen Arbeit bzw. zu Deinem musiktherapeutischen Handwerk: Gibt es da immer noch etwas, das aus Deiner Ausbildung stammt und sich nie/kaum verändert hat? 

Da gibt es sehr viel, wie z.B. das ganze grundlegende Handwerkszeug für die nonverbale musikalische Kommunikation für Einzel- und Gruppentherapien, die Wendigkeit in der tonalen Improvisation, den Wert der therapeutischen Beziehung u.v.a.m.

Und umgekehrt: Was aus Deiner Ausbildung hast du schnell verworfen bzw. was hat sich als nicht alltagstauglich innerhalb Deiner Arbeit erwiesen?

Ich musste die verschiedenen Arbeitsweisen und Blickwinkel der vielen KollegInnen aus den anderen Berufen verstehen und schätzen lernen und die im Studium notwendig gewesene fachliche Selbstbezogenheit ablegen. 

Wie ist das in Deiner Ausbildungsgeneration: trifft man sich noch immer, weiß man voneinander oder ist man etwa befreundet?

Wir trafen uns nach der Ausbildung jährlich in Wien, später alle fünf Jahre, jetzt trifft sich „nur mehr" ein Großteil des Jahrganges regelmäßig. Schön für mich ist, dass mit einzelnen Kolleginnen lebenslange Freundschaften entstanden sind.

An welche Anekdote aus Deiner Ausbildungszeit erinnerst Du Dich besonders gerne (oder besonders ungerne)?

Wenn man Anfang der 80er Jahre als Studienanfänger mit Studierenden des zweiten oder dritten Jahrganges zusammentraf und diese sich nach dem Befinden im Musiktherapiestudium erkundigten, lautete die Standardfrage nicht "Wie geht’s dir?", sondern sie lautete "Wie geht’s dir mit dem Schmölz?" 

Prof. Schmölz war gleichsam die Verkörperung der Musiktherapie, eine starke Persönlichkeit, Drehscheibe für alle Angelegenheiten in der Ausbildung, er war Lehrer, Mentor, Vorbild, aber auch Reibebaum und Projektionsfläche für Prozesse in der Entwicklung und Entfaltung der eigenen Identität als MusiktherapeutInnen.

Zurückblickend, wie denkst Du heute über Deine Musiktherapie-Ausbildung in Wien? Würdest Du sie noch einmal absolvieren? Oder würdest Du sogar Deinen Kinder zu dieser Ausbildung raten, wenn sie Dich fragen würden?

Ja, ich würde sie wieder machen. Eine Tochter hat überlegt, Musiktherapie zu studieren, ich habe ihr das völlig selber überlassen, sie wurde schließlich Ergotherapeutin.

Wie lauten Deine Wünsche an das Geburtstagskind "Musiktherapie-Ausbildung in Wien"?

In "unserem" Alter – bei 60-jährigen stellen sich ja einige Zipperlein ein – kommt dem Wunsch nach Gesundheit immer größere Bedeutung zu, und darum erlaube ich mir, auch der Musiktherapie-Ausbildung in Wien Gesundheit zu wünschen:

  • Möge sie sich ihre Beweglichkeit erhalten, weiterreifen und durch gelegentliches Abspecken und Erneuerungsprozesse schlank und rank bleiben.
  • Möge sie sich gesund ernähren durch das immer wieder neue Potential der Studierenden, die wachsende Erfahrung der Lehrenden und durch nationale und internationale Vernetzung. 
  • In den letzten Jahren musizieren die Studierenden erfreulicherweise mehr und gerne, möge dies so bleiben.
  • Möge die Ausbildung wie gute Musik sein. Diese kennt kein Alter, solange sie beherzt gespielt und aufmerksam gehört wird.