Über den katholischen Tellerrand zu schauen – etwa mit interreligiösen Projekten wie der Vertonung der Tagebücher von Anne Frank von James Whitbourn –, ist der passionierten Kirchenmusikerin und Organistin ein großes Anliegen. Die Vielfalt spricht sie an und motiviert sie zu neuen, spannenden Projekten.

„Das Land Steiermark verlangt für die Zusage von Fördermitteln einen Dreijahresplan, konkret von 2023 bis 2025. Daher musste ich die Großprojekte bereits planen, ohne noch vor Ort zu sein oder die Ensembles zu kennen. Ich bin schon sehr gespannt, ob meine Überlegungen aufgehen.“ mdw Alumna Melissa Dermastia spricht über die frühen Herausforderungen, die ihre neue Stelle als Domkapellmeisterin in Graz mit sich bringt. Trotz der nicht einfachen Bedingungen mangelt es der engagierten Kirchenmusikerin nicht an Ideen. „Ich möchte gerne im Kinder- und Jugendbereich einiges machen, wie etwa Kindermusicals, die ich bereits im Klagenfurter Dom veranstaltet habe und die sich dort bewährt haben.“ Ebenfalls auf dem Programm stehen die Orgelweihe, unter anderem mit Anton Bruckners Te Deum, sowie Konzertprojekte mit Orchester und großer Chorbesetzung. „Ich freue mich sehr darauf, große Oratorien wie Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion zu realisieren, aber ich finde, man muss auch über den Tellerrand schauen.“ Anlässlich des Gedenkjahres 2025 und des 80. Todestags von Anne Frank soll etwa ein Werk von James Whitbourn aufgeführt werden, das auf den Tagebucheinträgen von Anne Frank basiert. „Solche Projekte in die katholische Kirche zu holen, ist mir sehr wichtig. Natürlich immer unter dem Aspekt, was in einer Kirche angemessen ist.“

Ich bin sehr froh und dankbar, in allen Bereichen gelandet zu sein, die ich machen wollte. Ich kann mich glücklich schätzen, das alles erreicht zu haben.

© Michael Dermastia

Ihre Liebe zur Vielfalt zeigt sich auch in ihrer Ausbildung. Nur ein Instrument zu studieren, wäre der gebürtigen Kärntnerin zu wenig gewesen. Mit ihrer neuen Aufgabe als Domkapellmeisterin kommt Melissa Dermastia nun ihre umfassende Ausbildung an der mdw zugute. Insgesamt vier Studienrichtungen absolvierte sie an der mdw – Kirchenmusik, Instrumental- und Gesangspädagogik Orgel und Klavier sowie das Instrumentalstudium Orgel. „Ich brauche die Abwechslung“, erklärt die passionierte Kirchenmusikerin. „Besonders freue ich mich daher auf die Arbeit mit den unterschiedlichen Ensembles. Die Arbeit mit einem Kinderchor ist anders als mit einem Domchor.“ Diese Vielfalt ist es auch, die Melissa Dermastia an der Ausschreibung der Stelle am meisten anspricht, sowie die seltene Chance auf die begehrte Stelle als Domkapellmeister_in. „Die Stellen sind in Österreich rar gesät. Momentan findet ein Generationenwechsel statt, aber wenn diese Stellen besetzt sind, tut sich wieder fünfzehn Jahre lang nichts“, weiß die erfahrene Kirchenmusikerin.

Bereits im Herbst 2020 bewarb sie sich um die ausgeschriebene Stelle der Domkapellmeisterin. Im Jahr darauf wurde sie zum Hearing eingeladen. „Bei der Bewerbung hatte ich vorerst Zweifel. Frauen und Kirche ist für viele ein Thema. Dass die Entscheidung schließlich zu meinen Gunsten ausgefallen ist, hat mich sehr bestärkt. Ich hätte keine Lust, eine Quotenfrau zu sein.“ Der Rückhalt aus dem Chor ist der jungen Kirchenmusikerin ebenfalls sehr wichtig. „Das Dirigieren ist nach wie vor ein männerdominierter Beruf, umso mehr freut mich die Beteiligung der Musiker_innen an dem Auswahlprozess.“

Ich freue mich sehr darauf, große Oratorien wie Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion zu realisieren, aber ich finde, man muss auch über den Tellerrand schauen.

Dass sie sich zusätzlich zu ihrem Kirchenmusikstudium auch für eine pädagogische Ausbildung entschieden hat, verschafft der angehenden Domkapellmeisterin heute einen großen Vorteil. „Es ist schade, dass die Arbeit mit Kindern im Kirchenmusikstudium noch so wenig Berücksichtigung findet, da dieser Aufgabenbereich heute beinahe in jeder Ausschreibung zu finden ist.“ Melissa Dermastia erarbeitete sich ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet teilweise im Selbststudium und holte sich Tipps und Tricks bei ihren Kolleg_innen. „Ich würde mir wünschen, dass in dieser Richtung noch mehr getan wird, denn Nachwuchs fehlt einfach überall. Auch in meiner Arbeit mit den Chören der Grazer Dommusik arbeite ich sowohl mit kleinen Kindern als auch mit Solist_innen – pädagogisches Feingefühl ist hier von Vorteil.“ Neben der Betreuung der zahlreichen Ensembles zählen die wöchentliche Gestaltung einer Messe sowie die Realisierung von drei bis vier großen Konzerten im Jahr zu ihren Aufgaben. Die Ensembles der Grazer Dommusik reichen von zwei Kinderchören und einem Jugendchor über die Domkantorei bis hin zum Domchor und zur Choralschola. „Mein Leben wird eine einzige Chorprobe sein“, lacht Melissa Dermastia.

Ihre zweite große Liebe neben der Kirchenmusik ist die Orgel. „An der Orgel gefällt mir, dass man nur für sich selbst und von keinem abhängig ist. Es zählt – im Gegensatz zum Chor – nur die eigene Leistung.“ Ihrer Lehrverpflichtung an der mdw möchte die diplomierte Organistin nach Möglichkeit auch weiterhin nachgehen. „Der Orgel-Unterricht an der mdw ist etwas, das mir neben der Ensemble-Arbeit sehr wichtig ist. Ich bin sehr froh und dankbar, in allen Bereichen gelandet zu sein, die ich machen wollte – zudem auf diesem Niveau, wie an der mdw und dem Dom in Graz –, ich kann mich glücklich schätzen, das alles erreicht zu haben.“

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