1858 geboren verbrachte Ethel Smyth ihre Kindheit in den ländlichen Vororten Londons. Sie galt als schwer erziehbares Kind und interessierte sich vor allem fürs Klettern, Jagen und Rudern. – Tätigkeiten, die sich für eine junge Frau ihres Standes nicht ziemten. Gemäß dem bürgerlichen Ideal genoss sie privaten Musikunterricht. Daraus entwickelte sich eine große Leidenschaft und sie fasste den äußerst ungewöhnlichen Entschluss, Komponistin zu werden.

© John Singer Sargent, National Portrait Gallery (London)

Im Alter von 19 Jahren setzte sie sich gegen massive familiäre Widerstände durch und reiste 1877 nach Leipzig, um dort Komposition zu studieren. Bald nahm sie auch Privatunterricht beim bekannten Komponisten Heinrich von Herzogenberg (1843–1900) und schrieb in dieser Zeit vor allem Kammermusik. Im von Heinrichs Ehefrau Elisabeth von Herzogenberg geführten Salon wurde sie in eines der wichtigsten Künstler_innennetzwerke ihrer Zeit eingeführt und lernte unter anderem Johannes Brahms, Clara Schumann, Edvard Grieg und Pjotr Iljitsch Tschaikowski kennen. Elisabeth von Herzogenberg und Ethel Smyth verband auch eine Liebesbeziehung. 1890 kamen im Rahmen der berühmten Konzertreihe von August Manns ihre ersten Orchesterwerke zur Uraufführung. Ihr royales Netzwerk, zu dem auch Queen Victoria zählte, unterstützte sie 1893 bei der Realisierung ihrer Mass in D in der Royal Albert Hall und den Aufführungen ihrer ersten Opern. 1903 wurde ihr in der Berliner Hofoper uraufgeführtes Musikdrama Der Wald schließlich als erste Oper einer Komponistin an der Metropolitan Opera New York aufgeführt.

Smyth engagierte sich bei der Frauenwahlrechtsbewegung und verbrachte nach Demonstrationen auch einige Wochen im Londoner Holloway-Gefängnis. 1914 wurden bereits vertraglich zugesicherte Opernaufführungen in München und Frankfurt unter Bruno Walter durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindert. Während der Kriegsjahre arbeitete Smyth als Röntgenassistentin in Frankreich und begann mit der Niederschrift ihrer Memorien. Neben zahlreichen Musikpublikationen veröffentlichte sie auch zehn Bücher. 1922 erhielt sie den Ehrentitel D.B.E. (Dame Commander, Order of the British Empire) und war als einzige Komponistin bei der Gründung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Salzburg anwesend. Am Ende ihres Lebens verschlimmerte sich Smyths Gehörleiden und führte 1939 schließlich zur völligen Ertaubung. Sie verstarb 1944 in Woking (England).

Smyth bei der Gründung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Salzburg (1922) © King’s College Cambridge Archive

Im vergangenen Sommersemester widmeten sich Studierende des Joseph Haydn Institut für Kammermusik und Neue Musik sowie Studierende des Max Reinhardt Seminars mit The Life and Times of Ethel Smyth einen Abend lang dem Leben und Wirken der englischen Ausnahme-Komponistin. Die Idee und das Konzept für den Konzertabend The Life and Times of Ethel Smyth stammten von Stefan Mendl, der im folgenden Interview einen Einblick in die Planung und Entstehung der multimedialen Show gibt. Für die wissenschaftliche Beratung war Angelika Silberbauer zuständig, für die Einstudierung des Schauspiels Annett Matzke.

I feel I must fight for my music, because I want women to turn their minds to big and difficult jobs; not just to go on hugging the shore, afraid to put out to sea.

Ethel Smyth

Mit The Life and Times of Ethel Smyth wurde eine Komponistin gewürdigt, deren Werk selten zu hören ist. Wie kommt man überhaupt auf Ethel Smyth?

Stefan Mendl (SM): „Ethel Smyth – nie gehört. Muss man die kennen?“ – So, oder ähnlich waren die Reaktionen, wenn ich, vor etwas mehr als einem Jahr, meiner Begeisterung für dieses Projekt Ausdruck verleihen wollte. Ich selbst war, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, noch einige Monate davor genauso verblüfft, als mir meine damalige Studentin Tiziana Columbro eröffnete, dass sie die Violinsonate einer gewissen Ethel Smyth zu ihrer Diplomprüfung spielen, und auch eine schriftliche Arbeit über das Werk schreiben wolle. Bald darauf hörte ich das Stück zum ersten Mal und war begeistert und beeindruckt von der Musik.

Wie kam es nach dem Impuls der Studierenden zu einem Abend mit Musik ausschließlich von Ethel Smyth?

SM: Da mich die Musik sofort fasziniert hatte, wollte ich mehr über die Komponistin erfahren. Schnell stellte ich fest, Ethel Smyth war und ist bis heute nicht nur eine bedeutende Komponistin, sondern war darüber hinaus eine faszinierende historisch-politische Persönlichkeit und eine hervorragende Schriftstellerin.

Was erfährt man bei der Lektüre von Smyths Büchern?

SM: In ihrer umfassenden Autobiografie erweist sie sich nicht nur als witzige und sprachgewandte Autorin, sondern auch als wichtige Zeitzeugin einer Epoche, die vom viktorianischen England bis hin zum Zweiten Weltkrieg reicht. Wie war es etwa möglich, dass ein Mädchen, das in eine erzkonservative britische Offiziersfamilie hineingeboren wurde, eine derartige Passion und Begabung für Musik entwickeln konnte? Oder wie waren ihre Begegnungen mit berühmten Künstler_innen? All diese Fragen und mehr beantwortet sie in brillanter Weise in ihren Schriften.

The Life and Times of Ethel Smyth zeigte Smyths Leben und Werk um 1900. Wie darf man sich das vorstellen?

SM: Mir war natürlich wichtig, dem Publikum auch ein Gefühl von jener Epoche zu vermitteln, in der Smyth lebte und wirkte. Das Wesentliche für mich aber war im Vorfeld die Beschäftigung mit der Musik Smyths. Fasziniert von ihren Opern, Orchester- und Chorwerken, war es für mich natürlich auch ihre Kammermusik, die ich als überaus vielfältig und inspiriert erlebt habe. Es war ein großes Vergnügen, anhand dieser Werke gemeinsam mit den Studierenden einen Eindruck von der künstlerischen und stilistischen Entwicklung dieser bedeutenden Komponistin zu bekommen und zu vermitteln. Angefangen von der Violinsonate (1887), über das Streichquartett (1902/12), bis hin zu den Liedern (1913) und den Variationen für Flöte, Oboe und Klavier (1925/27) haben die Studierenden an diesem Abend Ausschnitte aus dem Werk Smyths präsentiert. Um auch die Schriftstellerin Smyth zu Wort kommen zu lassen, wurden Originalzitate aus ihrer Autobiografie und ihren zahllosen Briefen im englischen Original von Studierenden des Max Reinhardt Seminars gelesen. Biografische Abrisse, Interviews mit der Komponistin aus den 1930er-Jahren und Tonzuspielungen rundeten das Bild ab. Es ist hoch an der Zeit, eine große Frau und Künstlerin wiederzuentdecken, die uns als Komponistin bleibende Werke hinterlassen hat, und als Persönlichkeit gezeigt hat, was alles gegen große gesellschaftliche und persönliche Widerstände erreicht werden kann.

The Life and Time of Ethel Smyth ist in der mdwMediathek abrufbar.

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