Community Outreach war einer der Hauptgründe, warum der engagierte Dirigent nach seiner Ausbildung an der mdw nach Asien zurückkehrte. Heute arbeitet er unter anderem mit dem Macao Youth Symphony Orchestra, bietet Trainings an und entwirft Bildungsprogramme für die musikalische Jugend seiner Heimat.

Bereits mit vier Jahren beginnt Stephen Lam mit Geigenunterricht. Trotz des frühen Alters unterscheidet er sich dadurch nicht von anderen Kindern in Hongkong, denn die damalige britische Kronkolonie folgt dem Bildungssystem des Vereinigten Königreichs. „Jeder Schüler in Hongkong war verpflichtet, ein klassisches Instrument zu lernen, zudem hatte jede Schule ein eigenes Orchester und einen Chor.“

Auch privat kommt Stephen Lam früh mit Musik in Kontakt. Sein Vater ist ein begeisterter Anhänger klassischer Musik und prägt damit von Beginn an den Musikgeschmack seines Sohnes. Als Teenager spielt Stephen Lam in zahlreichen Schul- und Jugendorchestern. Die Art, wie dort klassische westliche Musik präsentiert wird, entspricht selten seinen Vorstellungen und weckt in ihm den Wunsch, selbst Dirigent zu werden. Als er in seiner High School das erste Mal die Gelegenheit erhält, auf dem Podium vor Chor und Schulorchester zu stehen, bestärkt das seine Bestrebungen, Dirigent zu werden.

Es war immer mein Wunsch, in Wien zu bleiben, aber ich sehe es als meine Verantwortung, mein musikalisches Wissen, das ich mir an der mdw angeeignet habe, nach China zu bringen.

Stephan Lam leitet in Hongkong das Ponte Orchestra sowie die Ponte Singers und unterstützt als stellvertretender Dirigent das Macao Youth Symphony Orchestra. © privat

Neben seiner Liebe zur Musik beginnt sich der junge Schüler auch für andere Bereiche zu interessieren. Umweltschutz ist ein Thema, das ihm besonders am Herzen liegt. „Ich hatte immer den Gedanken, dass die Menschen der Umwelt zu viel Schaden zufügen, und ich finde, man sollte in Harmonie mit seiner Umgebung leben.“ Er inskribiert zunächst das Studium Environmental Science an der Universität Hongkong sowie Literaturwissenschaften, eine weitere Passion des vielseitig interessierten Dirigenten. „Literatur hilft mir, die Welt besser zu verstehen. Ich kann verschiedene Geschichten erleben, die in der Realität nicht möglich sind.“ Nach dem Abschluss der beiden Studien entscheidet er sich schließlich für ein Musikstudium in Wien. „Ich wollte es später nicht bereuen, Musik nicht studiert zu haben. Es war immer mein Traum“, schwärmt der heutige mdw-Absolvent. In Wien begibt sich der angehende Dirigent auf die Suche nach der, wie er sagt, „wahren Tradition“ der klassischen Musik und ihrer Schöpfer_innen. „Für mich ist die mdw die älteste und beste Musikuniversität in Österreich. Ich habe mich damals nur hier beworben, eine andere Universität kam nicht infrage.“ Lehrende wie Uroš Lajovic, Simeon Pironkoff oder Johannes Wildner inspirieren ihn mit ihrem Fachwissen; vor allem in das Studium der Musiktraditionen vertieft sich der junge Musiker besonders. Noch heute denkt er gerne an ein Konzert mit dem Webern Symphonie Orchester anlässlich der Eröffnung des Zubin Mehta-Saals zurück, bei der auch der Maestro persönlich anwesend war: „Der Austausch mit dem Maestro und die Aufführung mit diesem großartigen Orchester waren wunderbar. Es ist meine schönste Erinnerung an die Zeit an der mdw.“

Nach seiner Ausbildung beschließt der mdw-Absolvent, sich in seiner Heimat für die musikalische Jugend zu engagieren. „Es war immer mein Wunsch, in Wien zu bleiben, aber ich sehe es als meine Verantwortung, mein musikalisches Wissen, das ich mir an der mdw angeeignet habe, nach China zu bringen. Ich denke, dass es dort mehr gebraucht wird.“ Neben zahlreichen Vorträgen an verschiedenen Schulen Hongkongs unterrichtet Stephen Lam als Gastprofessor an den Universitäten Zhuhai und Shenzhen und unterstützt als stellvertretender Dirigent das Macao Youth Symphony Orchestra. „Die Arbeit mit jungen Musiker_innen unterscheidet sich von der Arbeit mit Profis. Ich versuche, die Musik klarer und interessanter zu vermitteln, damit sich die Jugend dafür interessiert.“

Der Austausch mit Maestro Zubin Mehta und die Aufführung mit dem Webern Symphonie Orchester waren wunderbar. Es ist meine schönste Erinnerung an die Zeit an der mdw.

Die größte Herausforderung in der Ausbildung von Orchestermusiker_innen in China sieht der engagierte Dirigent darin, die Musiker_innen, die an vielen verschiedenen Schulen ausgebildet wurden und keinen gemeinsamen Stil aufweisen, miteinander zu verbinden. „Ich erinnere mich, das Buch Wahrung der Gestalt von Hans Swarowsky gelesen zu haben. Für ihn wird der Musikstil dadurch weitergegeben, dass erfahrene Dirigent_innen Studierende unterrichten und diese wiederum die Möglichkeit erhalten, einem professionellen Orchester beizutreten. Dieser Kreislauf fehlt in meiner Heimat. Unsere Orchester sind noch sehr jung, und es braucht Zeit, einen Stil und Traditionen aufzubauen.“ Besonders engagiert sich Stephen Lam in seiner Heimat im Bereich Community Outreach und realisiert immer wieder neue Projekte. „Ich verwende etwa Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms, um mit den Zuhörer_innen Buddhismus zu diskutieren, oder stelle Maurice Ravel mit chinesischer Literatur vor. Ich möchte Musik mit etwas verbinden, das dem Publikum vertraut ist, und so einen besseren Zugang ermöglichen.“

Aktuell arbeitet der mdw-Absolvent mit seinem Projekt Musik und Achtsamkeit daran, das Bewusstsein für psychische Gesundheit in der Öffentlichkeit zu stärken, da nach zwei Jahren Covid-19 eine Vielzahl seiner Schüler_innen an Depressionen leidet oder ihr soziales Leben verloren hat. Werke wie die Ouvertüre von Richard Wagners Oper Lohengrin oder Arvo Pärts marianische Hymne Salve Regina wechseln sich dabei mit Erzählungen eines Musiktherapeuten ab.

In Zukunft möchte der engagierte Musikvermittler auch Zeit in Europa verbringen, um eine Brücke nach Asien zu schlagen und als Botschafter für kulturellen Austausch zu fungieren. „Vielleicht ergibt sich dabei die Chance, mit jenen renommierten Orchestern zu arbeiten, die mir im Laufe meiner Ausbildung so viel bedeutet haben. Damit würde ein Traum wahr werden.“

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