Zwei Vordiplominszenierungen am Max Reinhardt Seminar rücken die großen österreichischen Sprachkünstler in den Fokus: Thomas Bernhard und Gert Jonke

Thomas Bernhard und Gert Jonke waren im vergangenen Studienjahr zwei Inszenierungen am Max Reinhardt Seminar gewidmet, die ohne Publikum das Licht der Bühnenwelt erblicken mussten. Mit zwei der ganz großen österreichischen Sprachkünstler loteten die Regie-Studentinnen Azelia Opak und Fritzi Wartenberg im Rahmen ihrer Vordiplominszenierungen die Grenzen der Realität aus und nützten die Lockdown-Phasen zu intensiven Sprach- und Materialstudien.

Ritter Dene, Voss – Winderlich, Rose, Tuppy, isa21 © Stephan Polzer

Dass ihre Premiere von Ritter, Dene, Voss – Winderlich, Rose, Tuppy mehrmals verschoben und dann im Schlosstheater Schönbrunn dennoch ohne Zuseher_innen abgehalten wurde, nimmt Azelia Opak mit Humor. „Es liegt in der DNA von Thomas Bernhards Stücken, dass sie eine schwierige Geburt haben.“ Opak kann ihr Vordiplom umso mehr als Hommage an Thomas Bernhard (1931–1989) betrachten, einen Autor, der ihr viel bedeutet. Mit markantem, wie von einem Grauschleier überzogenem Bühnenbild ist es zugleich eine Hommage an die österreichische Theaterkultur geworden. Thomas Bernhards Klassiker, dessen Wunsch- und Uraufführungsbesetzung aus dem Jahr 1986 bereits im Titel des Stücks verankert ist, wird von Azelia Opak am Max Reinhardt Seminar gespiegelt: Drei junge Schauspielstudierende (Lili Winderlich, Katharina Rose und Tilman Tuppy) schlüpfen in die Rollen der Theaterlegenden Ilse Ritter, Kirsten Dene und Gert Voss und spielen sich selbst am möglichen Ende ihrer Schauspielkarriere. In den Figuren Ritter, Dene und Voss erkennt Azelia Opak Österreich im Kleinformat: „Dene, die an der heimatlichen Tradition festklebt, Ritter, die sich immer nach etwas Größerem sehnt und mehr behauptet, als sie ist, und dann Voss als brillanter Außenseiter – diese drei Figuren verkörpern für mich Österreich.“

Insektarium © www.lalojodlbauer.at

Kurz bevor die Produktion im August 2021 im Rahmen der isa in Reichenau eine Wiederaufnahme vor Publikum erfährt, legt Azelia Opak einen präparierten Papierblumenstrauß – Teil des Bühnenbilds – an Thomas Bernhards Grab und erzählt am Grinzinger Friedhof über ihre besondere Liebe zu diesem Autor: „Ich habe als Schülerin in der Nachmittagsbetreuung österreichische Dramatiker gelesen.“ Mit Thomas Bernhard hatte sie das erste Mal einen tatsächlichen Bezug zu Österreich, in seinen Texten hat sie sich wiedergefunden und konnte die „Hassliebe zur Heimat“ nachvollziehen. Der erste Besuch im Burgtheater war eine Heldenplatz-Aufführung, Bernhards „fremder Blick“ fasziniert sie von Beginn an. Intensive Theatererfahrung sammelt Azelia Opak bald in der progressiven postmigrantischen Theaterszene Wiens, mit aktuellen Texten und Performances. Die Begeisterung für österreichische Dramatik liegt in dieser Zeit brach, denn „es wird nicht gerade gefördert, wenn man als migrantische Identität einen österreichischen Autor inszeniert“. Dass eine junge, aus der Arbeiterklasse stammende Migrantin eine Regiearbeit über den Verdruss des Wiener Großbürgertums vorlegt und eine Döblinger Herrschaftsvilla inszeniert, ist für Azelia Opak keineswegs ein Widerspruch. „Ich empfinde Theater auch als einen Friedensauftrag – sich mit dem auseinanderzusetzen, was einem sehr weit entfernt scheint. Auch wenn es ein Dilemma für mich als junge Regisseurin ist, aber Thomas Bernhard, seine Stücke, das Theater in Wien – das sind genau meine Themen!“

In einem frei schwebenden Netz der Realitäten ist die Vordiplominszenierung von Fritzi Wartenberg verortet: Ein Zimmer, das sich in seinen Bewohner verliebt und mit ihm zusammen ausbricht, eine Figur, die ihre Identität mit einer Stubenfliege teilt: Gert Jonkes Insektarium stellt die Welt auf den Kopf und schlägt der Realität den doppelten Boden durch. „Der Text von Gert Jonke war Liebe auf den ersten Blick“, erzählt Fritzi Wartenberg. Dem Autor fühlte sie sich sofort sehr nahe, obwohl sie ihn vor der Lektüre gar nicht kannte. „Meinen Lehrenden ist Gert Jonke natürlich ein Begriff, viele kannten ihn sogar persönlich, aber aus meiner Generation kannte ihn niemand.“ Gemeinsam mit dem Ensemble macht sich die Regisseurin daran, vor allem sprachliches Neuland zu entdecken.

Insektarium © www.lalojodlbauer.at

Die Sprache Gert Jonkes habe mit ihrer Förmlichkeit und Höflichkeit wenig mit der Generation der Studierenden zu tun. „Jonke spielt sprachlich viel mit dem subtilen Überschreiten einer höflichen Distanz – kaum jemand kann das weniger nachvollziehen als Schauspielstudierende, die sich immerfort so nahe sind und teilweise das Gefühl für Grenzen verloren haben“, sagt Wartenberg. Trotzdem nimmt im Laufe der Proben die Lust am Text überhand, das Ensemble begreift die Sprache als Mittel, eignet sich den verschachtelten Text an, um damit zu spielen. Der Autor Gert Jonke wird auch als Musiker entdeckt, sein Stücktext wie eine Partitur gelesen. Das Spiel mit der Sprache wird zum Aufeinandertreffen der Generationen: „Wir tendieren heute dazu, einen sehr direkten Tonfall zu haben“, so Fritzi Wartenberg, „da ist es etwas ganz anderes, wie man sich mit der Sprache Gert Jonkes an etwas heranpirscht – das hat theatral eine wahnsinnige Schönheit!“

Mit seinen absurden Szenarien war Insektarium, zwischen den Lockdowns geprobt, ein Stück der Stunde. „Ein wichtiges Element ist darin das Motiv des Aus-der-Haut-Fahrens. Alle Figuren kommen zu einem Punkt, wo ihre Realität so unerträglich ist, dass sie keinen anderen Ausweg sehen, als ihre Wahrnehmung zu ändern.“ Dieses Motiv des Texts habe auch der Probenarbeit in Pandemiezeiten geholfen, Druck genommen und die Wahrnehmung dessen, was das Vordiplom darstellt, verschoben.

© Azelia Opak

Wie wird es weitergehen? Beide Regisseurinnen blicken einer „umso produktiveren Zeit“ entgegen, nicht nur die Diplominszenierungen am Max Reinhardt Seminar stehen an, auch für die nächsten Inszenierungen außerhalb des Seminars hoffen sie auf geöffnete Theater und Publikum. Azelia Opak wird demnächst eine zeitgenössische Oper inszenieren. Fritzi Wartenberg hat in den Lockdown-Zeiten viel Input gesammelt, teilweise täglich neue Theater-Streamings angeschaut, viel gelesen, selbst Texte entwickelt und ein Theaterkollektiv gegründet. „Jetzt habe ich das Gefühl, ganz viel machen zu können, weil ich so viel abgespeichert habe. Dieser Topf an Ideen ist voll bis zum Rand – jetzt muss man nur den Deckel abnehmen und machen.“

Ein Video-Mitschnitt von Insektarium ist ab 8. Oktober 2021 für eine Woche unter mdw.ac.at/maxreinhardtseminar/theater-am-seminar/insektarium zu sehen.

Nächste Theatertermine am Seminar finden Sie unter: maxreinhardtseminar.at/theater-am-seminar

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