Der Schauplatz der Diplominszenierung von Olivia Scheucher am Max Reinhardt Seminar ist das österreichische Bundesheer. Für die Absolvent_in der Theaterregie kein ungewöhnlicher Ort. Auch sonst setzt dey deren1 Figuren und sich selbst als Performer_in in spannende Settings an der Schnittstelle von analogem und digitalem Theaterraum.

© Luna Zscharnt
Highway of Heroes

Laura macht beim Jagdkommando, der Spezialeinheit des Bundesheeres, die Aufnahmeprüfung. Olivia Scheucher zeigt in der Diplominszenierung Highway of Heroes (Aufführung im Jänner 2023 am Max Reinhardt Seminar) eine Hauptfigur auf dem Weg ins Militär und zur eigenen Entfaltung. Scheucher hat das Stück selbst geschrieben. Das Bundesheermilieu kennt dey aus deren Familie. Deren Bruder hat sein Know-how in die Inszenierung eingebracht und war Teil des Teams. Mit den Darsteller_innen übte er militärische Bewegungsabläufe, wie das Exerzieren (allerdings ohne Waffen, sie wurden im Stück nicht gezeigt) und Kampfszenarien im Garten des Max Reinhardt Seminars. Für Scheucher ist das Heer ein Schauplatz, der viel über unsere Gesellschaft aussagt. „Ich sehe die Strukturen des Heeres als Zuspitzung der Strukturen, in denen wir alle uns bewegen“, sagt die:r Regisseur:in. „Das Stück ist für mich ein Versuch, in Kommunikation mit einer persönlichen Vaterfigur zu treten. Gleichzeitig aber auch mit einer übergeordneten Vaterfigur, die für strukturelle Machtverhältnisse steht.“ In der Inszenierung werden geschlechtliche Zuschreibungen thematisiert. Die Hauptfigur wird vom Heer weiblich gelesen, outet sich aber als nicht-binär und erlebt die Reaktionen von Kameraden und Vorgesetzen darauf.

Der Weg an das Max Reinhardt Seminar

Olivia Scheucher wurde 1995 in Wien geboren. Für dey selbst war eine Karriere beim Militär nie relevant. Nach dem BWL-Studium machte Olivia ein Praktikum in einer Galerie in Berlin. Die Anknüpfungspunkte zur Kultur waren immer da, dey schaute viel Theater. Einer von Scheuchers besten Freunden, der selbst Schauspiel am Max Reinhardt Seminar studierte, motivierte dey zur Bewerbung für Theaterregie. Kurzentschlossen bewarb Olivia sich und es klappte auf Anhieb.

Regie und Performance am Volkstheater

Olivia Scheucher führt nicht nur Regie, sondern performt auch selbst. Aktuell in Fugue Four: Response am Wiener Volkstheater. Gemeinsam mit Volkstheater-Schauspieler Nick Romeo Reimann wurde die Performance 2021 für das Porn Film Festival Vienna als deren allererste Arbeit entwickelt und für das Volkstheater adaptiert. Neben Scheucher und Reimann spielen Thea Ehre (hat den Silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale gewonnen) und Luca Bonamore. „In Fugue Four: Response wird thematisiert, wie wir unsere Sexualität kapitalistischen Funktionsweisen unterwerfen und uns dabei an der Mainstream-Pornografie orientieren“, erklärt Scheucher. Die Figuren in der Performance werden weder sexualisiert noch zeigen sie sexuelle Handlungen. „Es geht darum aufzudröseln, unter welchen Bedingungen wir Sex haben. Wir bedienen uns im Stück der Sprache der Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist“, so Scheucher. Humor spielt in dieser Arbeit eine Rolle, denn: „Die Unfähigkeit mit dem eigenen Körper umzugehen ist ein Angebot für gemeinsames Lachen.“ Scheuchers Doppelrolle in Regie und Performance war weniger eine künstlerische Entscheidung, als eine vom knappen Budget bedingte. Jedoch hat dey viel für die Regiearbeit gelernt. „Aus der Regieposition ist es oft schwierig nachzuvollziehen, was Spieler_innen brauchen, damit die Szene spielbar wird. Ich habe viel über Schauspielführung durch das selber Spielen gelernt.“ Vor allem wenn es darum geht, nackt zu performen, weiß dey aus eigener Erfahrung, was wichtig ist. Schon vor dem Arbeitsprozess klärt dey mit den Performer_innen im Einzelgespräch, worum es im Stück geht und welche Grenzen die Performer_innen haben. „Auf der Probe oder am Set vor vielen Anwesenden von der Regie aufgefordert zu werden sich nun auszuziehen, ist nicht konsensual. Ich lasse keinen Druck auf die Spieler_innen für die Entscheidungen, die sie treffen, entstehen“, betont Scheucher. Im Team ist es vor allem wichtig, dass jede_r offen sprechen kann und Verständnis bekommt. „Meine Themen bergen ein großes Schmerzpotenzial, daher erwarte ich Solidarität unter den Mitarbeitenden im Umgang damit.“ Von deren Team bekommt dey dafür positives Feedback.

Digitales Theater

Für die Vordiplominszenierung Metareverse im Juni 2022 wählte Scheucher ein rein digitales Format. Zum Teil war dies noch der Pandemie geschuldet, aber vor allem aus Interesse am Ergründen des digitalen Raums. Zuseher_innen konnten über einen Link in die live gestreamte Inszenierung einsteigen und in Form eines gewählten Avatars dabei sein. Wie bei einer Reality-TV-Show traten die Schauspieler_innen digital gegeneinander an, mit dem Ziel in das sogenannte Metareverse „upgeloadet“ zu werden. Die:r Regisseur:in beschreibt sich selbst als gar nicht so internetaffin, jedoch: „Mich interessiert, welche Möglichkeiten es für queere Menschen und marginalisierte Gruppen gibt, online Communitys zu bilden und fluide Identitäten auszudrücken.“ Dabei geht es Scheucher aber nicht darum, das Theater gänzlich in den digitalen Raum zu verlegen, sondern digitale Mittel sinnvoll in Inszenierungen zu integrieren. „Wir bewegen uns die ganze Zeit digital. Die Frage ist, wie diese Ebene auf der Bühne miterzählt werden kann, ohne dass es fremdartig oder ablenkend wirkt.“ Voraussetzung sei aber, dass Techniker_innen und Theaterleute zusammenfinden. Oft herrschen Berührungsängste und Unverständnis. Die:r Absolvent:in sieht das Potenzial, diese Gruppen zusammenzuführen.

Freie Szene

Für künftige Projekte ist Scheucher im Gespräch mit Theatern, auch im Kunst- und Performancebereich bleibt dey aktiv mit einer Ausstellung im Kunstverein Baden im Juni und einer geplanten Performance beim Ars-Electronica-Festival im September. Die Diplominszenierung Highways of Heroes wird im Juni auf dem Körber Festival in Hamburg gezeigt. In Zukunft sieht sich Olivia Scheucher auch in der freien Szene: „Ich will frei sein in den Stoffen, die ich bearbeite, und ich habe ein Team, mit dem ich weiterarbeiten möchte.“

  1. In der Beschreibung von Olivia Scheucher wird das nicht-binäre Pronomen „dey“ statt „sie“ oder „er“ sowie „deren“ statt „ihre“ oder „seine“ verwendet. Es bietet eine Möglichkeit, über nicht-binäre, geschlechterdiverse, trans oder inter* Personen oder Personen, deren Geschlechtsidentität uns nicht bekannt ist, zu sprechen/schreiben.
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