Vorzeichenwechsel. Gesellschaftspolitische Dimensionen von Musikpädagogik heute, Ivo I. Berg, Hannah Lindmaier, Peter Röbke (Hrsg.), Waxmann Verlag, 2019
© Waxmann Verlag

Wie geht das Fach Musikpädagogik mit gesellschaftspolitischen Verschiebungen, kulturellen Wertumschreibungen, Norm-Debatten und neuen Qualitäten um? Der Band Vorzeichenwechsel. Gesellschaftspolitische Dimensionen von Musikpädagogik heute, herausgegeben von den Musikpädagog_innen Ivo I. Berg, Hannah Lindmaier und Peter Röbke, widmet sich den Prämissen eines zeitgemäßen Vermittelns von Musizieren als Kultur- und Kunstpraxis. Der Titel ist Programm: Im Vorzeichenwechsel ließe sich zwar der musikalische Verlauf „färben und formen“, jedoch „auf einem diatonischen Untergrund ruhend, der an sich unverändert bleibt“ (Berg/Lindmaier/Röbke: 7). Der im Band unternommene diskursive Vorzeichenwechsel schlägt in 13 Beiträgen kritische Perspektiven vor und zeigt dabei keine Scheu vor unbequemen Fragen und Dissonanzen zu Zugängen, Teilhabe und Ausschluss. Anleihen aus Soziologie/Kulturwissenschaft (Reckwitz) und (migrationsspezifischer) Bildungsforschung (Mecheril) bestimmen den dialektischen Aufbau: Der Auftakt Anstöße (I) sowie die vier Diskursräume (II) Verorten, Öffnen, Handeln und Bilden vermitteln disparate Aspekte und Haltungen der Musikerziehung. Zur Debatte steht, inwiefern Konzepte von Diversität und Inklusion in Relation zur Vielfalt musikpädagogischen Tuns und den daraus resultierenden Zielsetzungen gesetzt werden müssten. Dies betreffe etwa das „Spannungsfeld“ zwischen Exzellenz und Inklusion an der mdw (Röbke/Müller: 37). Diskutiert werden zudem diskriminierende Zuschreibungen („Transkulturalität als Wurzellosigkeit“) im Kontext eines rechtspopulistisch motivierten Instrumentalisierens von Musizieren (Röbke: 44). Ambivalenzen markiert der kritische Blick auf Ansätze wie „Musik verbindet“ oder auf das Ablehnen von „Differenzlinien“ (Bradler: 102). Im Ausbilden („Identitätsarbeit“) müsse zudem auch das Umfeld einer „kapitalistisch geprägten Industriegesellschaft“ und der „Balanceakt“ zwischen individuellen Bedürfnissen und kollektiven Anforderungen beleuchtet werden (Ardila-Mantilla: 70/78). Wer bestimmt, warum wer im Kanon der Künste wie mitspielen darf? Fragen wie diese stellt der Band immer wieder zur Diskussion und gibt mögliche, wenn auch keinen Konsens versprechende Antworten. Lesende hingegen sind nicht von der Aufgabe befreit, Vorzeichenwechsel zu reflektieren und selbst zu praktizieren. Das scheint erst einmal mühsam, ist aber zukunftsweisend.

Comments are closed.