Gedanken zur Diversität anlässlich des Tags der Vielfalt an der mdw

„Diversität als Chance“ ist mittlerweile in aller Munde. Sie wird als gesellschafts- und institutionengestaltendes beziehungsweise antidiskriminierungssensibles Instrument verstanden, um mit den Herausforderungen umzugehen, denen sich die westliche Welt im 21. Jahrhundert zu stellen hat: Neue geopolitische Realitäten, eine neue multipolare (Un)Ordnung, globale Konflikte, demokratische Bemühungen, nicht-demokratische Herrschaftsansprüche, neue Kommunikationstechnologien sowie die Klimakrise, das Aufbrechen der Eindeutigkeiten, um nur einige Aspekte zu nennen, dies alles fordert ein neues Denken heraus. Diversität situiert sich als Dauerthema unserer Zeit. Dabei ist das Thema der Praktiken der gesellschaftlichen Differenzierung kein neues. Fragen gesellschaftlicher Vielfalt wie (Un)Gleichheiten wurden durch die Geschichte hinweg immer wieder verhandelt.

Ja, das ist alles ganz einleuchtend. Aber was hat das mit mir zu tun? Da geht es doch um die anderen. Welche anderen, woran erkenne ich sie? Nun ja, sie sehen anders aus, benehmen sich anders, essen etwas anderes als wir, sie lieben anders, haben andere Lieder, stammen vielleicht aus einer Zeit, in der ich noch gar nicht geboren war usw. Mich trügen doch meine Augen und Ohren nicht. Die anderen sind anders!

Gegen das Anderssein an sich ist nicht zu argumentieren. Welche Effekte damit einhergehen und was es mit jeder und jedem zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt. Das Konzept des Othering beschreibt die Diskurse des Fremdmachens als hegemoniale, gewaltvolle, kulturell verankerte Praxis. Menschen als anders beziehungsweise fremd zu klassifizieren, funktioniert entlang einer Reihe bekannter Differenzkategorien – Geschlecht, Ethnie, sozialer Hintergrund, sexuelle Orientierung, Generation, BeHindernisse u. v. a. m. Doch geht die Unterscheidung hier mit einer Distanzierung sowie der Bildung von Gruppen Hand in Hand – wir und die anderen. Dies bereitet den Boden für Dämonisierungen und Feindbilder. Es erlaubt Abgrenzung und Ausgrenzung, die ihrerseits gesellschaftliche Machtverhältnisse herstellen und perpetuieren. Das Eigene wird dabei als selbstverständlich, als positiv und wertvoll angesehen, das Fremde hingegen abgewertet.

Allerdings ist Othering nicht nur als individuelles Versagen zu verstehen. Gesellschaftliche bzw. institutionelle Strukturen begünstigen das Ein- und Ausschließen, reproduzieren es im Agieren innerhalb dieser Strukturen. Letztlich jedoch liegt die Verantwortung immer in der Macht der Akteur_innen. Sie halten Dominanzordnungen aufrecht oder brechen bzw. modifizieren sie, auch wenn ein Konsens darüber besteht, wie schwierig es aufgrund der kulturellen Involviertheit selbst für diskriminierungskritisch eingestellte Menschen ist, nicht-diskriminierend zu handeln. Wir kennen das alle. Mit dem ersten Blick erfolgt die Bestandsaufnahme, mit wem wir es zu tun haben: Frau/Mann/Dazwischen, weiß/nicht-weiß, jung/alt, (dis-)abled und welches Register dementsprechend zu bedienen ist. Zudem gibt es in einer Welt wie der des 21. Jahrhunderts ja auch kaum Zeit, einen Menschen, aber auch ein Musikstück, eine Handlung, ein Gemälde, eine Situation, einen Text über diese Kategorien hinweg wahrzunehmen. Es geht vielleicht beim Thema Diversität nicht nur um Management, sondern darum, Räume und Zeit dafür zu schaffen, zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu erfahren: Das, was um uns herum ist, aber auch um mit uns selbst in Kontakt zu treten. Und bei allem, was uns als anders, als fremd erscheint, uns zu erlauben, das Verbindende wahrzunehmen.

diversity unplugged. ein tag zum erfahren und querdenken findet aufgrund der aktuellen Situation im digitalen Raum statt und möchte eine Reflexion über das Jetzt und die Zukunft ermöglichen.

diversity unplugged. digital edition
Mittwoch, 10. Juni 2020
Anmeldung erforderlich

Literatur

André Blum, Nina Zschocke, Hans-Jörg Rheinberger und Vincent Barras (Hg.), Diversität. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, Würzburg 2016

Edward Said, Orientalismus, Frankfurt a. M. 2009 (orig. 1978)

Gayatri C. Spivak (1985): The Rani of Sirmur. An Essay in Reading the Archives, in: Francis Barker u. a. (Hg.), Europe and its Others, Vol. 1., Colchester 1985

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