Berthold Seliger (Konzertagentur Seliger, Berlin) war im September zu Gast bei den 9. Vienna Music Business Research Days an der mdw und gibt dem mdw-Magazin Einblick in Auszüge seiner dort vorgetragenen Keynote Empire Business or Cultural Diversity. About the Reality of the Concert Business.

Berthold Seliger
Berthold Seliger ©Matthias Reichelt

Die Musikbranche spielt Monopoly. Das gilt für die Tonträger- und Musikverlagsindustrie, aber mittlerweile auch für die Konzertindustrie. Drei multinationale Großkonzerne beherrschen das weltweite Konzertgeschäft: AEG, CTS Eventim und natürlich Live Nation, der bei Weitem größte Player.

Diese Entwicklung lohnt besonders deswegen einen näheren Blick, weil das Konzertgeschäft anders als die Tonträgerindustrie bis vor wenigen Jahren nicht global organisiert war, sondern aus regionalen Märkten bestand, mit einer Vielzahl kleinerer und größerer, in der Regel aber unabhängiger Festivals, mit örtlichen Veranstalter_innen und nationalen Tourneeorganisator_innen und mit Agent_innen, die bestenfalls kontinental tätig waren.

Bis in die 1990er-Jahre hinein war das internationale wie das regionale Konzertgeschäft fragmentiert. Das US-amerikanische Musikgeschäft wurde von örtlichen Veranstalter_innen dominiert, an denen nur ganz wenige Großkünstler_innen wie Elvis Presley vorbeikamen. Erst Michael Cohl gelang es, dieses System ins Wanken zu bringen, etwa mit der von seiner Firma CPI 1984 organisierten „Victory Tour“ mit Michael Jackson und den Jacksons.

In Europa war das Standardmodell im Tourneegeschäft: Künstler_in (z. T. Manager_in) / Europaagent_in (in der Regel in Großbritannien) / nationale Tourneeveranstalter_innen / örtliche Veranstalter_innen. Heute wird dieses Modell von den weltweit operierenden Großkonzernen weitgehend ausgehebelt: Live Nation beispielsweise managt viele Musiker_innen oder Bands, fungiert dabei gleichzeitig aber auch weltweit als Agent_in, in den meisten Ländern auch als nationale_r Tourveranstalter_in, häufig auch als örtliche_r Veranstalter_in, und nicht selten gehören Live Nation sogar die Konzerthallen oder die Festivals, auf denen die Bands auftreten. Alles in einer Hand, horizontal und vertikal verflochten.

Wie konnte es geschehen, dass die Popkultur und die Rockmusik, die sich über Jahrzehnte aus der Subkultur entwickelt haben und, wie Patti Smith singt, „outside the society“ angesiedelt sind, heute von wenigen weltweit operierenden Großkonzernen dominiert werden? Wie konnte es passieren, dass aus einer von den Künstler_innen definierten Musikform ein stromlinienförmiges, von Live Nation, CTS Eventim & Co. dominiertes Shareholder-Business wurde? Marktkonzentration, Monopole und Oligopole sind ja keine Naturgesetze, sondern werden von Menschen kreiert.

Das Jahr des großen Umbruchs im internationalen Konzertgeschäft war 1996 – das Jahr, in dem in den USA der Telecommunications Act verabschiedet wurde. Dieses neoliberale, von Milton Friedman und seinen Chicago Boys ausgearbeitete Gesetz sah erstmals in der US-amerikanischen Geschichte sogenannte Media-Cross-Ownerships vor. Konzernen wurde erlaubt, mehrere Fernsehkanäle und beliebig viele Rundfunkanstalten, aber auch Zeitungen, Werbefirmen oder Konzertveranstalter_innen gleichzeitig zu besitzen. Das bisher fragmentierte Konzertgeschäft wurde zum Spielball gigantischer Konzentrationsprozesse. Während 1983 noch fünfzig große Medienfirmen in den USA existierten, waren es 2005 noch ganze fünf. Kaum ein anderer Konzern profitierte von dem neuen Gesetz so sehr wie das kleine texanische Lokalradio Clear Channel aus San Antonio. Nach 1996 investierte Clear Channel über 30 Milliarden US-Dollar und kaufte mehr als 1.200 Radiostationen in den USA – aber auch führende Konzertagenturen (wie SFX Entertainment des bereits erwähnten Michael Cohl), Veranstalter_innen und Veranstaltungsorte. Im Jahr 2005 musste Clear Channel aus Wettbewerbsgründen die Konzertsparte aus dem Unternehmen herauslösen, die seitdem als „Live Nation“ fungiert und heute der weltgrößte Konzertveranstalter ist.

Live Nation hat 2017 etwa 30.000 Konzerte in 40 Ländern veranstaltet und dabei 500 Millionen Tickets verkauft, betreibt weltweit 222 Veranstaltungsorte und besitzt oder kontrolliert über Mehrheitsbeteiligungen etliche der wichtigsten Tourneeveranstalter_innen und Festivals nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Live Nation managt weltweit mehr als 500 Künstler_innen und Bands, darunter U2 und Madonna. Der weltweite Expansionskurs wurde mit gigantischen Verlusten finanziert: Zwischen 2005 und 2012 schrieb Live Nation Verluste in Höhe von 951 Millionen US-Dollar (allein im Jahr 2008 waren es 239 Mio.).

Betrachten wir die aktuellen Geschäftszahlen aus dem Jahr 2017:

  • Der Konzertbereich hat 93,59 Millionen US-Dollar Verlust gemacht.
  • Der Bereich „Sponsoring & Advertising“ sorgte für Gewinne in Höhe von 251,49 Millionen US-Dollar (bei nur 445,15 Millionen US-Dollar Umsatz!).
  • Im Bereich Ticketing wurden 90,9 Millionen US-Dollar Gewinn erzielt (wobei man faktisch die 110 Mio. US-Dollar hinzuzählen muss, die für einen Rechtsstreit zurückgelegt wurden).

Diese Zahlen lassen interessante Rückschlüsse zu: Das eigentliche Konzertgeschäft von Live Nation ist hochdefizitär, was nicht zuletzt an den überhöhten Gagen liegt, die der Konzern an Künstler_innen bezahlt, um diese für Live Nation zu gewinnen – nicht selten mehr als 100 Prozent der Einnahmen aus dem Ticketverkauf, was natürlich absurd klingt, sich aber „rechnet“, wenn man bedenkt, dass die eigentlichen Gewinne im Konzertgeschäft durch Ticketing und Sponsoring gemacht werden.

Der drittgrößte Konzertveranstalter und zweitgrößte Tickethändler der Welt, CTS Eventim, verzeichnete 2017 erstmals in der Firmengeschichte Einnahmen von mehr als einer Milliarde Euro. Das Betriebsergebnis lag bei 201,63 Mio. € (etwa 234 Mio. US-Dollar). CTS Eventim ist in gewisser Weise und rein wirtschaftlich gesehen das typisch deutsche Gegenmodell zu Live Nation: Man schreibt bevorzugt schwarze Zahlen, betreibt eine Art protestantischen Kapitalismus, wenn man das mit Max Weber sagen will. Die Zukäufe werden nicht durch gigantische Verluste wie bei Live Nation, sondern seriös finanziert, weswegen das Wachstum des Konzerns auch langsamer voranschreitet. Doch das Prinzip ist ähnlich: Man setzt auf das Betreiben von Konzertarenen (u. a. die Lanxess Arena in Köln, die Waldbühne in Berlin, das Eventim Apollo in London) und auf Festivals – wenn dieses Jahr in Großbritannien heftig kritisiert wurde, dass Live Nation mehr als 25 Prozent aller dortigen Festivals mit mehr als 5.000 Zuschauer_innen dominiert, kann die deutsche Konzertbranche nur milde lächeln: In Deutschland kontrollieren CTS-Eventim-Firmen heute mehr als 70 Prozent der großen Rock- und Pop-Festivals.

Und vor allem verdient CTS Eventim am Ticketing: Während der Konzertbereich des Konzerns 2017 nur 25,5 Mio. € verdiente, lag der Erlös im Ticketing-Bereich bei 178,6 Mio. € (bei einem Umsatz von 418,4 Mio. €). It’s the ticketing, stupid!

Das hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Zunächst haben die Ticketverkäufer_innen im Gegensatz zu den Konzertveranstalter_innen keinerlei unternehmerisches Risiko, sie betreiben ein reines Provisionsgeschäft. Vor allem aber: das Internet! Die Bruttomarge der Ticketverkäufe im Internet liegt bei sage und schreibe 58 Prozent (im Gegensatz zu 12,2 Prozent im Konzertgeschäft; Zahlen aus 2015), was natürlich vor allem mit drastisch überhöhten Ticketgebühren zu tun hat – CTS Eventim hat z. B. 2015 AC/DC-Tickets bei einem Ticketpreis von 80 € mit Vorverkaufsgebühren von 21,55 € und zwischen 19,90 € und 29,90 € „Premiumversand inklusive Bearbeitungsgebühr“ verkauft, also mit mehr als 50 Prozent Aufschlag. Dieses moderne Raubrittertum bereitet den Aktionär_innen die Profite, allerdings zulasten der Musikfans, die keine Alternative haben und gezwungen werden, überhöhte Ticketgebühren zu bezahlen.

Eines ist klar: die weltweite Marktdominanz der großen Konzertkonzerne verursacht massive Probleme. Zum einen ist die kulturelle Vielfalt durch die Branchenriesen massiv in Gefahr – hat man je davon gehört, dass Live Nation, CTS Eventim oder AEG unbekannte Bands aufgebaut und gefördert oder sich um abseits des Mainstreams und des schnellen Erfolgs liegende Musikgenres gekümmert hätten? Natürlich nicht. Hier aber beginnt die kulturelle Vielfalt. Die Shareholder sind nicht an Kultur und an Langfristigkeit interessiert, sondern daran, dass der Konzern Profit macht.

Die Oligopole, die die Konzerne durch horizontale wie vertikale Verflechtungen errichtet haben, schaden den Musiker_innen, denn die Agent_innen, Tourneeveranstalter_innen und vor allem auch die örtlichen Veranstalter_innen, die im Künstleraufbau eine wichtige Rolle spielen, werden langfristig eliminiert – die örtlichen Veranstalter_innen werden zu bloßen „Durchführern“ degradiert, alles kommt aus einer Hand, Management, Agentur, Veranstalter_in, – zum Vorteil der Konzernprofite, aber zulasten der Karriere der Künstler_innen. Denn je mehr fähige Leute für sie kämpfen, je mehr Leute mit Ideen und Visionen an ihrer Karriere arbeiten, desto besser ist es für die Musiker_innen!

Es geht also darum, die Oligopole aufzubrechen, vor allem durch strengeres Kartellrecht und durch verbesserten Verbraucherschutz. Gerade im Bereich der Kultur sind Oligopole und Monopole besonders verhängnisvoll. Musik, Literatur, Kunst, alle Formen von Kultur sind für die Menschen so lebenswichtig wie die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, oder die Liebe, die wir leben. Wir müssen die Kultur gegen die Vereinnahmung durch multinationale Großkonzerne schützen, damit keine Monokultur entsteht, sondern die kulturelle Vielfalt erhalten bleibt, zu der die Popkultur seit ihren Anfängen so wunderbar beigetragen hat!

Lesen Sie einen ausführlichen Nachbericht zu den 9. Vienna Music Business Research Days unter: musicbusinessresearch.wordpress.com

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