Wer im Studienjahr 2017/18 Inszenierungen am Institut für Schauspiel und Schauspielregie – Max Reinhardt Seminar besucht hat, dem ist sie mit Sicherheit nicht entgangen: Lisa-Maria Sommerfeld, Studierende im 3. Jahrgang. Mit dem mdw-Magazin sprach die 24-jährige Deutsche über ihre beruflichen Ängste, ihre Zukunftspläne, und warum sie den Jedermann in Salzburg spielen will.

Die rote Zora und ihre Bande am Volkstheater Wien
„Die rote Zora und ihre Bande“ am Volkstheater Wien ©lupispuma.com, Volkstheater

Begonnen hat alles mit Disneys Die Schöne und das Biest: Zum 5. Geburtstag bekam Lisa-Maria Sommerfeld Karten für das Musical in Stuttgart. „Da wurde dieser Film, der bei mir daheim in der Dauerschleife lief, plötzlich von echten Menschen auf die Bühne gebracht. Die Verwandlung hat mich fasziniert und interessiert. Ich wollte ab dem Zeitpunkt Disneyfilme auf die Bühne bringen“, lacht sie über ihren Berufswunsch. Mit der Zeit bekam sie dann doch Lust auf Theater, spielte in der Theater-AG in der Schule und Musicals waren kein Thema mehr. Außer Schauspielerin gab es nie einen anderen Berufswunsch. Nach dem Abitur jobbte sie dennoch zuerst im Einzelhandel, bevor sie sich zum Vorsprechen an die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch wagte. „Je näher das alles rückte, desto mehr Angst bekam ich. Und dann haben sie mich nicht genommen.“ Nach einem weiteren gescheiterten Versuch in Linz gelang die Aufnahme am Landeskonservatorium in Kärnten. „Ich hab dort relativ schnell das Glück gehabt, dass ein Regisseur von der neuebuehnevillach für ein Klassenzimmerstück gecastet hat“, erinnert sie sich an die ersten Bühnenerfahrungen in Österreich. Ein Jahr lang spielte sie immer wieder in unterschiedlichen Stücken und besuchte kaum die Uni, bis ein Kollege ihr klarmachte, dass eine richtige Ausbildung trotz allem wichtig sei. „Es geht um Technik. Schauspielen ist ja auch ein Handwerk.“ Besagter Kollege meldete sie schließlich zum Vorsprechen am Max Reinhardt Seminar an und brachte sie persönlich hin. „Ich betrat diese Hallen und war plötzlich wie eingeschaltet und dachte nur noch: ‚Okay, jetzt bekomme ich diesen Studienplatz!‘“ Und so war es dann auch. Aufgrund laufender Engagements begann sie allerdings erst ein Jahr später mit dem Studium in Wien. Nach zwei Jahren Theatererfahrung in Kärnten musste sie manche Dinge aus der Praxis umdenken. „Ich hab einsehen müssen, dass vieles, was ich davor projiziert habe, viel einfacher durch Wahrhaftigkeit herzustellen ist. Und Wahrhaftigkeit bedeutet mehr Mut.“

Anatol am Max Reinhardt Seminar
„Anatol“ am Max Reinhardt Seminar ©Andrea Klem

Angst hat sie nach wie vor, aber nicht vor der Bühne, sondern viel mehr vor dem Beruf selbst. „Wenn ich auf der Bühne stehe, denke ich an überhaupt nichts anderes. Die Angst kommt erst, wenn ich wieder hinunter gehe und sachlich darüber nachdenke. Ich habe aber vor allem Angst vor Arbeitslosigkeit, davor, den eigenen Werten nicht treu bleiben zu können und dass ich das alles einmal nicht mehr gut finden könnte, was ich mache“, erzählt sie von Sorgen, die viele Schauspieler_innen begleiten. „Ich glaube, alle haben diese Sorge, dass man in dem Beruf nicht durchstarten kann, nicht spielen kann und sich dann etwas anderes überlegen muss.“ Obwohl sie absolut glücklich über ihre Studienwahl und die Ausbildung am Max Reinhardt Seminar ist, gab es auch schon Momente, in denen sie am liebsten alles hingeschmissen hätte. „Ich hatte einen Moment, wo ich nicht mehr konnte und da habe ich dann meinen Dozenten Nicholas Ofzcarek angerufen. Der hat sich dann mit mir hingesetzt und sich meine Sorgen angehört. Er hat mir geraten, Zeit vergehen zu lassen und vor allem auch ein bisschen zu leben. Das war super für mich.“ Auch das erste Studienjahr war nicht immer ganz einfach, weil die junge Studentin nebenbei arbeiten musste. „Ich fand es extrem schwer den ganzen Tag auf der Uni aufzumachen, zu lernen und wach zu sein und abends dann im Pub zu kellnern.“ Gelernt hat sie in ihrer Zeit an der mdw vor allem auch, dass man auch einmal um Hilfe bitten muss, wenn sich z. B. Unterricht und Proben nicht vereinbaren lassen oder einem etwas zu viel wird. „Du musst lernen, den Mund aufzumachen und deine Wünsche zu definieren, dann haben auch alle ein offenes Ohr und dir wird sofort geholfen.“

Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner
„Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner“ am Max Reinhardt Seminar ©Andrea Klem

Wenn etwas einmal nicht zu 100 Prozent klappt, ist es während des Studiums auch keine Katastrophe: „Eine Rolle, die mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war die Annie in Anatol. Da war ich in der Probenzeit total krank und habe noch für eine andere Inszenierung geprobt, deshalb haben wir die Premiere ziemlich ,ungeprobt‘ spielen müssen. Da habe ich gesehen, dass man auch mit etwas auf die Bühne gehen kann, was nicht bis ins letzte kosmetische Detail perfekt inszeniert ist. Wenn man sich vertrauen darf und kann und ein gemeinsames Ziel hat, dann schafft man das schon.“ Am Max Reinhardt Seminar dürfen Fehler passieren. „Das ist ein geschützter Raum. Da lernen wir ja alle noch.“ Im September feierte sie ihre Premiere am Wiener Volkstheater in Die rote Zora und ihre Bande unter der Regie von Robert Gerloff. „Ich hatte am Anfang wahnsinnige Angst vor dem Volkstheater. Habe dann aber gesehen, dass es eigentlich wie am Reinhardt Seminar läuft. Es ist dann doch ‚nur‘ Theater – egal wo.“ Unterschiede bemerkt sie vor allem bei den Proben – während im Max Reinhardt Seminar alle gemeinsam permanent sehr viel lernen, lernt man bei den Proben am Volkstheater allein schon durch das Ensemble ganz viel. „Ich spiele mit Menschen, die seit 20 oder gar 30 Jahren im Beruf sind. Denen beim Proben zuzusehen ist einfach irre. Da lernt man jede Minute so viel“, freut sie sich über diese wertvolle Erfahrung.

Die Hinrichtung am Max Reinhardt Seminar
„Die Hinrichtung“ am Max Reinhardt Seminar ©Andrea Klem

Ihr absoluter Traum ist es, den Jedermann zu spielen. „Dazu muss ich sagen, dass mir der Jedermann – das klingt jetzt etwas kitschig – das Leben gerettet hat.“ In einer nicht so guten Phase ihres Lebens bekam Lisa-Maria Tickets für die Salzburger Festspiele geschenkt. In Erwartung einer Oper, war die Motivation gering und umso überraschender das, was sie stattdessen sah. „Dann kommt da der Nicholas Ofzcarek auf die Bühne und ich dachte nur: ‚Wow!‘ Da hatte ich wieder einen Die Schöne und das Biest-Moment, nur anders und richtig tief. Da wusste ich: Das will ich spielen.“ Ihre Faszination für Männerrollen zeigte sie schon bei der Aufnahmeprüfung, als sie den Mephisto vorsprach. Das Aufbrechen von Normen ist es, was sie interessiert. „Das Publikum wird immer so unterschätzt. Man geht davon aus, dass das Publikum immer die Hübscheste aus dem Ensemble für die Julia will oder nur zwei Klassiker und zwei extrem moderne Sachen pro Jahr schafft. Das mal aufzubrechen und mehr zu riskieren wäre schön.“ Dass Theater alles andere als reine Unterhaltung ist, zeigt sich für die junge Schauspielerin auf und auch hinter der Bühne. „Mir persönlich geht es sehr viel um die Frau und das Frauenbild im und am Theater. Ich hinterfrage Frauenfiguren immer sehr stark und setze mich damit auseinander, wieso ich ‚dieser Typ‘ bin, der mir zugewiesen wird, warum ich mit bestimmten Frauen verglichen werde und wie das wohl als Mann wäre.“

Abschalten und dem Theaterleben auch mal entfliehen kann sie am besten bei einem langen Spaziergang in der Natur mit der besten Freundin und dem gemeinsamen Hund. „Ich hab auch die Regel: Wenn ich heimkomme, Handy aus. Ich glaube ich verpasse sehr viele geile Partys, weil ich einfach nicht hingehe. Ich grenze mich da voll ab und brauche den Rückzug. Ich bin so eine Oma“, lacht sie.

Neben Nicholas Ofzcarek sind Markus Meyer, „den ich als totalen Verwandlungskünstler empfinde“, sowie Maria Happel und Stefanie Reinsperger Vorbilder für sie. In Österreich zu bleiben, auch Filme zu machen und die richtig großen Bühnen zu betreten, das sind ihre Pläne für die Zukunft. „Bis auf die Salzburger Festspiele bin ich relativ entspannt in Bezug darauf, wo ich hin möchte. Natürlich jucken mich die großen Bühnen, vor allem weil sie so riesig sind und man dort richtig Rock ’n’ Roll machen kann. Am Ende ist es aber vielleicht ganz anders, und ich bin auf einer Bühne in Mecklenburg-Vorpommern mit fünf Stühlen am glücklichsten.“ Die Faszination am Beruf ist für sie in erster Linie die Verwandlung und das Austesten von Grenzen: „Dass ich einer Figur mein Leben einhauchen und meinen Körper leihen und sagen kann: ‚Schaut her, so sieht der Jedermann oder die Julia jetzt aus!‘ Das ist dann genau so und ich ziehe das strikt durch. Das ist es, was mich interessiert.“

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