Wie bewerten Lehrende an der mdw die musikalischen Leistungen von Studierenden? Dieser Frage ging die qualitative Studie Quality of Arts (QUART) nach, die von Rosa Reitsamer und Rainer Prokop am Institut für Musiksoziologie der mdw durchgeführt wurde.

In theoretischer Hinsicht wurde die Untersuchung von soziologischen Praxistheorien angeleitet. Theodore R. Schatzki (2002) definiert Praktiken als eine Kombination aus „sayings“ (Sprechakte) und „doings“ (Handlungen). Soziale Praktiken sind folglich in menschlichen Körpern, Dingen und Artefakten materiell verankert, sie sind von impliziten, in den Körper eingelagerten Wissensbeständen abhängig, die sich häufig einer Versprachlichung entziehen, und sie zeigen sich an der Performativität des Handelns (Reckwitz 2002). Diese Studie zielte darauf ab, die Bewertung von musikalischen Leistungen in ihrem praktischen Vollzug zu erforschen. Zu diesem Zweck wurden Klassenabende u.a. der Studienzweige Klavier, Violine, Querflöte und Gesang auf Video aufgezeichnet und die jeweiligen Lehrenden im Rahmen von Interviews gebeten, anhand dieser Aufzeichnungen zu erklären, wie sie die Leistungen der Studierenden bewerten. Die Videos dokumentieren die Verankerung der musikalischen Praktiken in menschlichen Körpern, sie zeigen das „Embodiment“ der Partitur im Moment der Performance. Ungeachtet der spezifischen Anforderungen, die etwa das Spielen des Klaviers, der Violine, der Querflöte oder das Singen von Arien auf einem hohen künstlerischen Niveau verlangt, lassen sich einige Kriterien identifizieren, die alle Lehrenden gleichermaßen für die Bewertung der musikalischen Leistungen der Studierenden heranziehen. Eines dieser Bewertungskriterien lässt sich als Emotionsmanagement beschreiben.

Die „Hingabe zur Musik“

Emotionsmanagement und Emotionsarbeit sind Konzepte, die Arlie Hochschild (1990) in die Soziologie der Emotionen einführte. Sie beschreiben, wie Personen im Dienstleistungsbereich Techniken zur Regulierung ihrer Gefühle einsetzen, um die von den KundInnen erwarteten emotionalen Reaktionen zu antizipieren, zu internalisieren und den Eindruck zu vermitteln, für ihre Arbeit geboren zu sein. Auch klassische MusikerInnen, die sich im Unterschied etwa zu FlugbegleiterInnen als privilegierte EmotionsmanagerInnen beschreiben lassen, müssen ihre Gefühle entsprechend den Anforderungen des Musikarbeitsmarkts regulieren. So ist es etwa notwendig, Auftrittsangst zu kontrollieren, sich physisch und psychisch auf ein Konzert vorzubereiten und unmittelbar bei der Performance dem Publikum Gefühle und Emotionen zu vermitteln. Die Studierenden sollen, wie es die Lehrenden immer wieder ausdrücken, mit der Musik „verschmelzen“, sie sollen die Musik „fühlen“ und sich dieser „hingeben“. Mit Arlie Hochschild lässt sich dieses Bewertungskriterium als „inneres Handeln“ beschreiben, durch das die Kommunikation von Emotionen als „natürliches Ergebnis“ der Gefühlsarbeit erscheint. Ein Achselzucken, ein Seufzer oder ein Lächeln wird durch „inneres Handeln“ daher nicht als eine rein äußerliche Darstellung wahrgenommen, sondern als ein selbstinduziertes „wirkliches“ Gefühl. Dass diese umfassende Regulation von Gefühlen nicht angeboren, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Studiums ist, machten die Lehrenden immer wieder deutlich. Sie thematisieren den Körper als „Objekt der Arbeit“, der umfassende Anpassungsleistungen durchläuft. Drei dieser Anpassungsleistungen sollen abschließend näher beleuchtet werden.

Der Körper als „Objekt der Arbeit“

Ähnlich der Aneignung sportlicher Kompetenzen etwa beim Fußballspielen oder Skispringen verläuft das Erlernen eines Musikinstruments über eine soziale Lernpraxis, bei der Verstehen elementar über den Körper erfolgt. Diese Lernpraxis zielt darauf ab, dass der Körper materielle, mentale und affektive Anpassungsleistungen durchläuft und eine Form der „körperlichen Intelligenz“ (Bourdieu 2001) erworben wird. Materielle Adaptierungsleistungen referieren auf die Anpassung des Körpers an das Instrument, wodurch ein Zustand des Vertrauens in körperlich-motorische Fertigkeiten hergestellt wird. „Man muss darauf vertrauen, was man über all die Jahre eingeübt hat, sonst funktioniert das Spielen von virtuosen Passagen nicht“, erklärt ein Professor für Violine die geforderten materiellen Anpassungsleistungen. Mentale Anpassungsleistungen umfassen hingegen zahlreiche kognitive Kompetenzen wie etwa die Fertigkeit, Noten schnell zu lesen und Partituren auswendig zu lernen, die auditive Vorstellung über notierte Musik sowie die Fähigkeit zur Entwicklung eines „Performance Plans“ (Sloboda 1982) für ein Musikstück. Der Performance-Plan, also die Interpretation, die im künstlerischen Unterricht unter der Anleitung der Lehrenden einstudiert wird, beschreibt die Fähigkeit, die in eine Partitur eingelagerten Bedeutungen als abstrakte tonale und rhythmische Formen zu erschließen und im Moment des Auftritts auditiv und visuell darzustellen. Bei der Bewertung des „inneren Handelns“ der Studierenden bei Klassenabenden thematisieren die Lehrenden diese Anpassungsleistungen und damit verbundenen impliziten, in den Körper eingelagerten Wissensbestände, wie etwa die Spieltechniken oder den Einsatz von Gestik, Mimik und Körpersprache.

Fazit

Diese Studie machte deutlich, dass die Bewertung musikalischer Leistungen keinesfalls eine Frage des persönlichen Geschmacks der Lehrenden ist.Vielmehr entwickeln sie eine Bewertungspraxis, die in eine „community of practice“ an dieser Universität ebenso eingebettet ist, wie sie Teil des transnationalen Feldes der klassischen Musik ist.

Literatur

  • Bourdieu, Pierre (2001): Mediationen: Zur Kritik der scholastischen Vernunft. Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Hochschild, Arlie R. (1990): Das gekaufte Herz: Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt a. M.: Campus
  • Reckwitz, Andreas (2002): Toward a Theory of Social Practices: A Development in Culturalist Theorizing, in: European Journal of Social Theory, Vol. 5 (2), S. 243-263
  • Schatzki, Theodore R. (2002): The Site of the Social. A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change. University Park: Pennsylvania State UP
  • Sloboda, John A. (1982): Music Performance, in: Deutsch, Diana (Hg.): The Psychology of Music. New York: Academic Press, S. 479-496

One Comment

  1. Suryo purnomo

    Montag, der 22. Mai 2017 at 09:09

    Amazing

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