(Un)gehörte Nachbar*innen? Urbane Ethnomusikologie der Nähe

Gefördert vom 1000 Ideen Programm des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF),
Grant DOI:
10.55776/TAI1016625

Principal Investigator: Isabel Frey, PhD

Co-investigator: Ioannis Christidis, PhD

In heutigen europäischen Städten leben und beten Menschen unterschiedlicher Religionen oft dicht beieinander, ohne dass ihre religiösen Gemeinschaften miteinander interagieren. Viele davon sind religiöse Minderheiten, deren sakrale Klänge – wie Gebete, Gesänge oder Lieder – in städtischen Räumen, die seit Generationen von Migration geprägt wurden, weitgehend ungehört bleiben. Dieses Projekt stellt eine grundlegende Frage: Gibt es Beziehungen zwischen religiösen Musik- und Klangpraktiken, wenn sie nur durch ihre Nähe im selben Stadtviertel verbunden sind?

Diese Studie untersucht diese Frage am Beispiel eines Stadtteils im Wiener Gemeindebezirk Rudolfsheim-Fünfhaus, einer der vielfältigsten Bezirke Wiens, wo acht Religionsstätten verschiedener ethnischer und religiöser Minderheiten im Umkreis weniger hundert Meter existieren: orthodoxe, islamische, protestantische, katholische und buddhistische Traditionen sowie die Gedenkstätte einer zerstörten Synagoge. Diese Orte sind zwar nebeneinander, doch ihre sakralen Klänge – Gebete, Gesänge und liturgische Musik – bleiben größtenteils hinter Mauern verborgen und nach außen ungehört.

Anstatt sich – wie oft in der Musikforschung – auf einzelne Minderheiten zu fokussieren, nimmt dieses Forschungsprojekt das Stadtviertel als Ausgangspunkt. Zunächst nutzt es ethnografische Feldforschung, um diese sakralen Klänge zu dokumentieren und potenzielle Verbindungen zwischen den Religionsstätten zu erforschen. Das Projekt untersucht auch, wie soziale Faktoren wie Geschlecht und Klasse diese religiösen Musik- und Klangpraktiken und mögliche Marginalisierungserfahrungen prägen. Dieser Stadtviertel-basierte Ansatz ermöglicht es den Forschenden, Dynamiken zu entdecken, die Studien mit Fokus auf einzelne Gemeinschaften möglicherweise übersehen würden.

In einer zweiten Phase arbeiten die Forschenden mit zentralen Personen aus jeder Gemeinschaft zusammen, um ein gemeinsames Projekt basierend auf den religiösen Musik- und Klangpraktiken zu entwickeln. Dieser partizipative Ansatz schafft Bedingungen für klanglichen Austausch zwischen Räumen ohne bereits bestehende Interaktion und untersucht, was passiert, wenn das Ungehörte füreinander hörbar wird.

Das Projekt nimmt die Möglichkeit in Kauf, keine Verbindungen auf der Ebene des Stadtviertels zu finden – eine Erkenntnis, die die gängige Annahme, dass kulturelle Vielfalt in städtischen Räumen automatisch zu Interaktion führt, hinterfragt. Durch die Erforschung unerwarteter Verbindungsmuster oder bewusste Formen der Trennung, liefert di Studie wichtige Erkenntnisse für das Verständnis kulturell-religiöser Dynamiken in europäischen Städten der Gegenwart und entwickelt neue Ansätze für die Erforschung urbaner religiöser Vielfalt durch Musik und Klang. Darüber hinaus könnten diese Erkenntnisse neue Ansätze für Stadtplanung, Gemeinschaftsbeziehungen und interreligiösen Dialog innerhalb der „postmigrantischen“ Realitäten zeitgenössischer Städte informieren.