Stephan Pauly, Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, über die gemeinsamen Wurzeln seines Hauses und der mdw, das Webern Symphonie Orchester und über neue, gemeinsam entwickelte Konzertformate.

Wenn man im Musikvereinsgebäude den Großen Saal auf der rechten Seite verlässt, überquert man auf dem Weg zum Gottfried-von-Einem-Saal den sogenannten Schulgang. Wie ist es zu dieser Bezeichnung gekommen? Daran gehen ja viele vorbei …

Stephan Pauly (SP): Und viele wissen dabei vielleicht gar nicht, dass er Schulgang heißt – und schon gar nicht, warum. Dieser Name verweist auf das Konservatorium, das unsere Institution in den Anfängen der Gesellschaft der Musikfreunde betrieben hat. Viele bedeutende Komponistenpersönlichkeiten sind dort entweder Schüler_innen oder Lehrende gewesen. Die Ausbildung und Förderung der jungen Generation, die Weitergabe von Know-how ist somit tief in der DNA unserer Gesellschaft verankert. Das zeigt sich schon in unseren Statuten in einer der frühesten Versionen, wo unter dem Gesamtziel der „Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“ auch die Ausbildung junger Musiker_innen verankert war. Das ist ein zentraler Topos in unserer Geschichte. Nachdem das Konservatorium zur heutigen mdw geworden ist und wir nicht mehr unmittelbar ausbilden, verfolgen wir heute unsere Ziele auf andere Weise: etwa durch eigene Konzertzyklen für junge Künstler_innen und eine hervorragende, enge Zusammenarbeit mit der mdw in vielen Bereichen.

© Julia Wesely

Das heißt, die Gesellschaft der Musikfreunde hat ursprünglich als Verein sowohl das Publikum der Konzerte als auch die Ausführenden umfasst und auch für die Ausbildung gesorgt – eine Einheit aller Bereiche, wie sie für unsere Zeit der Spezialisierung wirklich überraschend erscheint.

SP: Genau. Diese Einheit gibt es aber bis heute in einigen Ausläufern. Die damalige Vision, das Musikleben in seiner Gesamtheit zum Blühen zu bringen, ist wirklich erstaunlich, mutig und inhaltlich sehr stark. Damals, bei der Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates, wurde bereits festgelegt, was alles zu den Zielen gehört: ein Konservatorium „für Zöglinge beiderlei Geschlechts“ errichten, die Aufführung von Werken, die Auslobung von Wettbewerben, die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift – auch das ist überaus bemerkenswert für diese Zeit – sowie die Anlage einer Bibliothek – das ist der Ursprung unserer Sammlung – und die „Unterstützung von einzelnen ausgezeichneten Kunsttalenten“. Aber die Ausbildung war die erste Tätigkeit, um dem Gesamtziel der „Emporbringung der Musik“ gerecht zu werden. Es wäre heute natürlich gar nicht mehr möglich, alle diese Bereiche in einer einzigen Institution zu vereinigen. Aber es ist schon so, dass die Zeitschrift, die damals genannt wurde, besteht und blüht, ebenso wie die Aufführung der Konzerte oder die weltberühmte Sammlung. Es sind doch noch einige Bereiche bei uns versammelt, während die mdw sich verselbstständigt hat und für sich steht. Aber es gibt gemeinsame Wurzeln.

Und es gibt eine Reihe von Fäden, die immer wieder zusammenkommen. Was sind die wesentlichen gemeinsamen Projekte?

SP: Die Partnerschaft mit der mdw ist sehr breit und fußt auf einer langen Tradition. Die Zusammenarbeit der beiden Häuser umfasst das jährliche Abschlusskonzert des Studiums Orchesterdirigieren mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien, das Teil der Diplomprüfungen ist, den Abonnementzyklus High Class I, wo nicht nur junge Künstler_innen spielen, sondern auch aktiv in unsere Programmgestaltung eingebunden sind – auch mit Konzerten, die in unsere Festivals eingebunden sind, nicht zuletzt auch in unsere Komponist_innenporträts im Bereich der zeitgenössischen Musik. Der Zyklus High Class II ist übrigens eine ähnliche Kooperation mit der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien. Neu ist die Zusammenarbeit mit der mdw im Bereich der Konzerte für Menschen mit und ohne Demenz, die auf die speziellen Bedürfnisse demenzkranker Menschen eingehen und ihnen individuelle Erlebnisse mit Musik ermöglichen. Dieses Format haben wir gemeinsam mit Expert_innen der mdw, den ausführenden Musiker_innen und mit der Caritas entwickelt. Und außerdem gibt es natürlich die Zusammenarbeit mit dem Webern Symphonie Orchester.

Ist es insgesamt auch Teil der DNA des Musikvereins, junge Künstler_innen zu fördern?

SP: Absolut. Die Förderung junger Künstler_innen ist in vielen Bereichen zentral für die Arbeit des Musikvereins. Nicht nur in den großen Künstler_innenporträts mit jungen Dirigent_innen. Wir legen auch sonst in unseren regulären Konzerten viel Wert darauf, die jüngere Generation durchgehend in den Mittelpunkt zu stellen und präsent zu haben, damit wir die große Tradition unseres Hauses nicht nur aus dem Arrivierten heraus verwalten, sondern auch versuchen, neue Traditionen zu begründen, die uns dann in dreißig Jahren tragen können. Beim Publikum ist das ähnlich. Konzerte für Kinder und Jugendliche sind für die Gesellschaft der Musikfreunde ganz zentral geworden. Dieses Angebot gibt es inzwischen seit 30 Jahren, und wir führen es mit großer Energie weiter. Mittlerweile erreichen wir dadurch 50.000 Menschen im Jahr – das ist schon ein großes, umfassendes Programm, das auch das junge Publikum für Musik begeistern soll.

Kommen wir zurück zum Webern Symphonie Orchester und seinem jährlichen Auftritt im Musikverein, einem Höhepunkt jedes Studienjahres. Was ist aus Ihrer Sicht dabei zentral?

SP: Diese Konzerte bieten den jungen Leuten die großartige Möglichkeit, mit Spitzendirigenten zusammenzuarbeiten. Dass wir so renommierte Dirigenten dafür gewinnen können, verdanken wir vor allem auch Professor Helmut Zehetner (mdw), mit dem wir wahnsinnig gerne und sehr partnerschaftlich zusammenarbeiten. Wenn man sich ansieht, was bei den Konzerten der letzten Jahre auf dem Programm stand, sieht man sowohl eine große Bandbreite als auch ein deutliches Bekenntnis zu den Säulen des Repertoires. 2021 beim Konzert mit Andrés Orozco-Estrada waren es Ludwig van Beethovens 4. Symphonie und Peter Tschaikowskys 6. Symphonie („Pathétique“), 2022 mit Kirill Petrenko Béla Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta und Erich Wolfgang Korngolds Symphonie in Fis. Und heuer stellt Daniel Harding neben Anton Bruckners 5. Symphonie Jörg Widmanns Konzert für Viola und Orchester. Ich finde es toll, wenn die Orchestermitglieder Teile des Kernrepertoires mit Top-Dirigent_innen erarbeiten können – gerade auch in unserem Goldenen Saal, der wesentlich zum Spiel der Orchester auf dem Podium beiträgt. Die Wiener Philharmoniker klingen ja nicht ohne Grund so, wie sie klingen: Der Saal hat das Orchester mitgeformt. Wenn die Musiker_innen des Webern Symphonie Orchesters einmal miterleben können, was in diesem Saal möglich ist, was er zurückgibt, wie er vom Pianissimo bis zum Fortissimo jeden Klang freundlich beherbergen kann und jeden Klang mit Glanz erfüllt – das ist, glaube ich, eine Erfahrung, die sehr bewegend sein kann. Wenn man das mit einer Beethoven- oder Bruckner-Symphonie erleben kann, können das prägende Eindrücke werden. Auch deswegen sind wir gerne dabei!

Veranstaltungstipp:
Webern Symphonie Orchester unter der Leitung von Daniel Harding
mit Antoine Tamestit (Viola)
Musikverein, 14. Juni, 19.30 Uhr
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