Ein Projekt über das Sterben am Max Reinhardt Seminar

Romeo trinkt Gift und Julia ersticht sich mit einem Dolch, Stella trinkt Gift und Fernando erschießt sich, Woyzeck ermordet Marie im Blutrausch mit zahllosen Messerstichen, Ferdinand tötet Luise und sich selbst mit Gift, Moritz erschießt sich im Wald und Wendla stirbt durch eine Abtreibung.

Wer Schauspieler_in wird, hat in seinem Beruf zwangsläufig viel mit dem Tod zu tun. „Wir sterben sehr viel“, sagt Ulrike Arnold, „wir sterben und wir töten, auf der Bühne und im Film.“ Die Münchener Schauspielerin und Regisseurin ist seit Jänner für eine Gastregie am Max Reinhardt Seminar und gestaltet gemeinsam mit der Dramaturgin Ulrike Syha und sieben Schauspielstudierenden den Abend Über die Kunst sich tot zu stellen (2. bis 6. März 2020). Obwohl das Thema Sterben, insbesondere in der klassischen Dramenliteratur, am Theater eine große Rolle spielt („Vieles endet im Tod oder kann nur durch den Tod gelöst werden.“), gibt es, wie die beiden Theatermacherinnen festgestellt haben, kaum Auseinandersetzung mit diesem Bühnenvorgang, und auch an den Schauspielschulen steht die Beschäftigung mit dem Sterben nicht explizit auf dem Stundenplan. Man gehe wohl davon aus, dass der Tod später von der Regie „so oder so“ gelöst werde, sagt Arnold, die sich freut, nun in Wien gerade mit „jungen Studierenden über diesen Teil ihres Berufs zu sprechen, da sie als Schauspieler_innen sehr bald mit großen, schweren Themen und Ereignissen zu tun haben, die ihnen in ihrem Leben vielleicht noch nicht persönlich widerfahren sind, aber auch zu fragen: Was bedeutet es eigentlich, 20 Minuten auf der Bühne zu liegen und dem Stück nur noch reglos zuzuhören?“

Ulrike Arnold © Janine Guldener

Als Ausgangsmaterial des Abends dienen klassische Texte (Büchner, Schiller, Shakespeare, Wedekind), ergänzt durch zeitgenössische Autor_innen und Theorie. „Wir haben festgestellt, dass viele zeitgenössische Stücke den Sterbevorgang vermeiden und eine Art Leerstelle produzieren, während die klassischen Texte expliziter sind und genau erklären, wer wie mit dem Dolch erstochen wird“, erzählt Dramaturgin Ulrike Syha. Wichtig ist ihr die Arbeit auf Augenhöhe mit den Studierenden, die sie dazu ermutigt hat, sich selbst einzubringen. „Es ist ein Projekt, das mit den Studierenden wächst und gemeinsam weiterentwickelt wird. Es geht uns auch darum, auf ihre Impulse einzugehen: Wie fühlt sich das an, auf der Bühne fünf Mal hintereinander zu sterben? Was ergibt sich daraus?“ Das Projekt am Max Reinhardt Seminar wird als Arbeitsatelier, als Labor verstanden, aus dem das Stück, das letztlich aufgeführt werden wird, diskursiv erarbeitet wird.

Die Lektüre schärft auch den Blick für Klischees. Die weiblichen Schauspielerinnen sollen nicht ausschließlich Opfer spielen, sagt Ulrike Arnold und „alle Darsteller_innen sollen in ihren Qualitäten vorkommen können“. Der Vergleich klassischer mit zeitgenössischen Dramen zeige zudem, wie sich die Haltung der Gesellschaft zum Sterben gewandelt hat.

Ulrike Syha © Bo Lahola

Kann man Sterben nachspielen? Es ist schließlich eine Erfahrung, die keine Schauspielerin, kein Schauspieler schon gemacht hat. Ulrike Arnold und Ulrike Syha geht es in dem Projekt Über die Kunst sich tot zu stellen nicht um technische Tricks oder handwerkliche Kniffe, es geht um die Reflexion und Introspektion und darum, die Studierenden auch für ihre persönlichen Grenzen zu sensibilisieren. „Männer nehmen das Sterben oft sehr sportlich: Dramatische Bühnentode, Schwertkämpfe oder eine Schlachtszene, wo minutenlang gemeuchelt wird – das kann aus einer technisch-sportlichen Sicht Spaß machen“, sagt Arnold und fordert dennoch, das Thema Selbstschutz bereits in der Ausbildung vermehrt zu diskutieren. „Ich bin selbst schon lange am Theater, aber wenn ich abends auf der Bühne mit fünf Litern Kunstblut jemanden getötet habe, kann ich hinterher nicht einfach in die Kantine gehen und ein Schnitzel bestellen. So funktioniert das nicht. Ich brauche da einen Moment des ritualisierten Abschiednehmens, muss zehn Minuten innehalten, das Stück beenden und zurück in den Alltag finden.“ Selbstschutz, Selbstorganisation und Ökonomie seien für Schauspieler_innen unerlässlich, das Bewusstsein dafür solle auch an den Schauspielschulen geschärft werden.

Auch Syha möchte die Studierenden ermutigen, genau in sich hineinzuhören: „Man muss für sich selbst ausloten, wann man ein Unbehagen gegenüber einem Thema für die eigene künstlerische Arbeit nutzbar machen kann und wo es nicht mehr weiterführt oder sogar Schaden anrichtet. Sterben auf der Bühne ist für diese Prozesse ein ideales Modell, wo man seine Grenzen gut ausloten kann. Wir möchten untersuchen, wo dieses Unbehagen sitzt, bei allem Spaß, den man mit viel Theaterblut auch haben kann – denn diese Zweischneidigkeit gibt es!“

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