Juri Giannini, Andreas Holzer, Stefan Jena und Jürgen Polak (Hrsg.): Lothar Knessl. Vermittler neuer Musik, Autor, Komponist, Kurator. Hollitzer Verlag, 2018.*

Lothar Knessl
©Hollitzer Verlag

Den vielseitigen, im Untertitel angedeuteten Facetten der Tätigkeiten des 1927 geborenen Lothar Knessl entspricht eine Art Doppelcharakter des Buches: Es ist sowohl als nachträglicher Begleitkatalog zu einer 2016 im Rahmen des Festivals Wien Modern präsentierten Ausstellung zu verstehen, als auch als kleiner Abriss aus dem umfangreichen Material, das Lothar Knessl dem Archiv des Instituts für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw zur Verfügung gestellt hat. Einem kurzen Vorwort der Herausgeber sind dazu passend zwei teils sehr persönliche Texte von Bernhard Günther (künstlerischer Leiter von Wien Modern) und Reinhard Kapp (ehemaliger Professor für Musikgeschichte an der mdw) vorangestellt.

Danach lässt man Knessl selbst in Dokumenten und begleitenden Zitaten sprechen. Seine musikjournalistischen Texte zeigen ihn als polemischen Kritiker des konservativen Wiener Konzertlebens um 1960 sowie als leidenschaftlichen Berichterstatter über Aufführungen neuerer Musik von Bartók über Strawinsky bis Cerha und Coltrane. Praktische Schritte hierzu setzte Knessl später in seiner langjährigen Tätigkeit an der Wiener Staatsoper. Weitere der präsentierten Archivalien dokumentieren Arbeitsschritte, die mit der Initiierung zweier Institutionen der zeitgenössischen Musik in Österreich einhergingen: dem Festival Wien Modern und der Ö1-Sendung Studio Neuer Musik (heute Zeit-Ton).

Weniger bekannt aber umso interessanter ist Knessls kompositorische Tätigkeit, die er in etwa vom Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre verfolgte und die im letzten Abschnitt des Buches dokumentiert wird. Neben frühen Versuchen und während der Kriegsgefangenschaft entstandenen Stücken für Männerchor und Doppelquartett erhält man Einblicke in so unterschiedliche Gattungen wie Schlager, Motette, Kantate sowie in skizzenhafte Experimente mit seriellen Techniken.

Dem Buch gelingt dabei zweierlei: Zuallererst wird ein visuelles Porträt eines „Doyens der zeitgenössischen Musik“ (S. 25) gezeichnet, der an zentralen Orten des Musiklebens wie auch in den Massenmedien mit Stift und Stimme neuer Musik neue Räume erschlossen und viele Ohren für ungewohnte Klänge geöffnet hat. Zudem bündelt die Zusammenstellung aus vielfältigen Archivalien wie Fotografien, Zeitungsausschnitten und handschriftlichen Notizen die Vielseitig- und Lebhaftigkeit der Diskurse und Praktiken, die mit Knessls Engagement einhergehen, und regt so zur tiefergehenden Auseinandersetzung und Forschung im Institutsarchiv an.

* Erster Band der Reihe „Aus dem IMI-Archiv“

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