Penelope Messidi ist Dissertantin bei Martin Eybl am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw. Für das mdw-Magazin gibt sie Einblick in ihre laufende Dissertation Georges Aperghis: Machinations.

Die Dissertation Georges Aperghis: Machinations beschäftigt sich mit der Uraufführungsversion des musiktheatralischen Werkes Machinations für vier Frauen und Elektronik von Georges Aperghis (2000); ein Meilenstein im Schaffen eines Komponisten, dessen Name untrennbar mit der Erkundung und Erneuerung des Genres théâtre musical verbunden ist.
Durch eine interdisziplinäre analytische Annäherung, die Aspekte der Musikwissenschaft, Dramaturgie, Philosophie und Linguistik einbezieht, widmet sich die Arbeit speziell der Dramaturgie des Stückes, dem Umgang mit der Sprache jenseits ihres semantischen Kontextes und der Behandlung der Stimme. Das untersuchte Werk weist nicht zuletzt wegen der Benutzung von elektronischen Medien (Zuspielband und Live-Elektronik, Video) eine hochgradige Komplexität auf. Eingehend untersucht wird auch das Verhältnis einer erst nach der Uraufführung entstandenen und absichtlich auf das phonematische Material reduzierten Partitur gegenüber dem Reichtum ihrer musikalischen und szenischen Realisation.

Die prozesshafte Arbeitsweise von Aperghis wirft eine Schlüsselfrage auf: Wie kann man dieses Werk im Hinblick auf seine Besonderheiten befragen und ein gültiges analytisches Vokabular etablieren, um Machinations in seiner vorliegenden Gestalt adäquat zu beschreiben?
Hier erscheint die Höranalyse, mit der Darstellung und Interpretation der klanglichen und sprachlichen Phänomene, der akustischen Gegebenheiten und kompositorischen Prozesse der einzig mögliche Weg, um die besonderen Zusammenhänge in diesem Stück, in Bezug auf kompositorische Entwürfe, dramaturgische Verläufe und aktuelle szenische Umsetzung in einer deutlich nachvollziehbaren Weise offenzulegen.

Eines der zentralen Themen der Dissertation, das hier einen ersten Einblick in die Arbeit gewähren soll, ist die Untersuchung des Umgangs mit der Sprache als kompositorische Methode.
Charakteristisch für das gesamte vokale und musiktheatralische Schaffen von Aperghis ist die Behandlung der Sprache an den Grenzen und jenseits ihres semantischen Kontextes. Die Phoneme, Produkte der Segmentierung der Sprache, werden aufgrund ihrer klanglichen Qualitäten als musikalisches Material verwendet, aber gleichzeitig erhalten sie die Nähe zum Zeichensystem aus dem sie stammen – die französische Sprache – und je nach Grad ihrer Verfremdung aus diesem schweben sie in der Ambivalenz zwischen Bedeutung und reinem Klang.
Die Untersuchung der Systematik und der Organisationsprinzipien der phonematischen Abfolgen, der Technik ihrer Erstellung und ihrer Klassifizierung bestätigt einen strukturalistischen Ansatz in der Behandlung der Sprache.

Machinations
Still aus der Videoaufnahme der Aufführung von „Machinations“ im Jahr 2007 am IRCAM Paris (Festival Archipel) ©IRCAM

Gleichzeitig offenbart die Beschaffenheit der Phoneme, ihre Orthografie, aber auch die Art ihrer Zusammenfügung – ihrer Komposition – einen musikalischen Inhalt und seinen Reichtum an immanenten Gestaltungsmöglichkeiten. Es lässt sich erkennen, dass es sich, obwohl mit den Zeichen der Sprache notiert, um eine musikalische Notation handelt.
Die Texte wurden in Bezug auf die verschiedenen Arten ihrer Dekonstruktion, Aufspaltung und Ausdehnung, den Grad ihrer semantischen Unschärfe und ihre syntaktische Organisation analysiert. In gleichzeitiger Analyse des dazu eingeflochtenen musikalischen Materials lässt sich eine weitere Schnittstelle zwischen Sprache und Musik erkennen, wobei musikalische Sachverhalte den Fluss des Textes zu organisieren scheinen, als übernähmen sie syntaktische Funktionen.

Untersucht wurden auch die verschiedenen Mittel, mit denen die Matrix der Sprache installiert wird; wie diese das plötzliche Entstehen von Bedeutung aus dem Klang nicht semantischer phonematischen Abfolgen beeinflusst, und wie diese Bedeutung die theatralische Geste bestätigt oder destabilisiert. Der theatralische Raum entsteht genau in der Suggestion und Ambivalenz zwischen Bedeutung und reinem Klang.
Die Elektronik wurde u. a. in Bezug auf die Besonderheiten des phonematischen Materials untersucht, das sie verwandelt. Die Effekte wurden nicht unabhängig von den Charakteristika dieses Materials erzeugt, und somit können die elektronischen Transformationsprozesse als eine Weiterführung der Arbeit an der Sprache beschrieben werden, die hier einen höheren Grad an Komplexität erreicht.

Ein Livret von François Regnault mit Texten von Heron von Alexandria bis Alan Turing liefert eine kurze Aussicht auf die Geschichte der Maschine, von den ersten Automaten bis zu den heutigen Computern. Um dieses Libretto, das trotz seiner Fragmentierung eine gewisse Narrativität garantiert, bewirken die ständige Verwandlungen der sprachlichen Phänomene die Erschaffung offener Assoziationsfelder.
Der Drang der Zuhörerin/des Zuhörers, dem Gehörten immer einen Sinn zu verleihen, leitet sie/ihn in einer schon der Thematik des Stückes immanenten Spannung zwischen Determinierung und Willkür, maschineller Präzision und menschlicher Fehlleistung (und vice versa), Vorbestimmung und Zufall einzutauchen. Etwas wie eine „Übersetzungsmaschine“ in einem Sturm von Signifikanten – sie/er scheitert immer wieder daran, klare Strukturen zu erkennen, und kommt mit etwas in Berührung, das über der Grenze der Sprache liegt: In der Welt der vorsprachlichen Repräsentation, vor dem Denken, wo die sinnliche Erfahrung noch nicht organisiert ist.

Die Verwendung der Sprache als Bedeutungsträger und gleichzeitig Lieferant klanglichen Materials bezeugt auch die Nähe von Aperghis zu einem poststrukturalistischen Denken. Untersucht wird daher sein Umgang mit der Sprache auch im Hinblick auf eine Philosophie, die der Komponist als die geistige und ästhetische Grundlage seiner künstlerischen Tätigkeit begreift.
Dieses Denken eröffnet uns auch über Machinations hinaus neue Perspektiven über das Hören und Reflektieren von Musik.

Alle aktuellen Informationen zum Doktoratsstudium an der mdw sowie dem regelmäßig stattfindenden DissertantInnenkolleg finden Sie unter www.mdw.ac.at/93

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