Menschen reichen sich tanzend die Hände und bewegen sich zwischen Tischen und Stühlen im Raum. An der Spitze der Menschenkette wird ein weißes Taschentuch in einer erhobenen Hand im Takt geschwungen. Diese Szene stellt die letzten Augenblicke des zweitägigen Symposiums Music & Racism dar, das im Rahmen der Lehrveranstaltungsreihe Transkulturalität_mdw im Mai 2023 im Fanny Hensel-Saal der mdw stattfand. Nach dem gemeinsamen Abendessen im Bankettsaal der mdw folgte die musikalische Performance Carpet Concert von Seba Kayan. Das von Kayan geprägte Genre Oriental Techno integriert „okzidentale“ und „orientale“ Soundelemente in dem Bestreben, einerseits Begrifflichkeiten zu hinterfragen und aufzubrechen, und andererseits neue hybride (Klang-)Identitäten hervorzubringen, die westlich geprägte Stereotypisierungen dekonstruieren. In einer erstmaligen musikalischen Kollaboration war auch EsRAP – das Geschwisterpaar Enes und Esra Özmen, die in ihrer Kunst Rap und Arabeske vereinen – Teil der Performance.

Die interdisziplinäre Ringvorlesung Transkulturalität_mdw ist seit 2019 als geblocktes internationales Symposium konzipiert und findet alle zwei Jahre statt. Nachdem 2021 unter dem Titel Contesting Border Regimes Grenzen und Grenzpolitiken interdisziplinär betrachtet wurden, fiel heuer das Thema auf Musik- und Tanzpraktiken im Kontext von Rassismus und Racialization. Die Bedeutung von Musik und Tanz sowie Fragen nach ihrem Potenzial als Mittel einer Auflösung von Machtverhältnissen oder positiver Zusammenschlüsse wurden vor dem Hintergrund kolonialer Geschichte, Migration und gewaltsamer Formen des Othering in künstlerischen und wissenschaftlichen Beiträgen verhandelt. Ein – mitunter selbstkritischer – Fokus wurde dabei auf Formen der rassistischen Exklusion in institutionellen Bildungsräumen gelegt.

In zwei Tagen, fünf Vorträgen, einer Filmvorführung, einer Podiumsdiskussion und einer musikalischen Doppel-Performance wurden eine Vielzahl an Themen abgedeckt. Carol Silverman sprach in ihrem Vortrag Intersectionality and Balkan Romani Activism: Musicians Respond to Xenophobia über rassistische Ausschlüsse und musikalisch-aktivistische Praktiken von Roma in der Balkan-Region. Rebecca Snedekers gewährte Einblicke in die 2018 stattgefundenen Wohnzimmerkonzertreihe L’Union Creole, mit der sie dokumentarisches Material von Künstler_innen aus New Orleans, die zum gemeinsamen Musizieren zusammenkamen und in oraler Tradition ihre Geschichte weitergaben, teilte.

Ebenfalls in New Orleans findet sich die Tradition der Baby Dolls, die in subversiver Aneignung karnevaleske Ausdrucksformen in den Straßenfestlichkeiten des Mardi Gras Day (dt. „Faschingsdienstag“) praktizieren. Kim Vaz-Deville erzählte von dieser Maskeradenpraxis Schwarzer Frauen und erklärte die Bedeutung der improvisierten Choreografien und der kreativen Kostümierung in ihrem Beitrag ,Coming Out the Door‘: Baby Dolls and Triumphal Entry on Mardi Gras Day. Diljeet Kaur Bhachu addressierte in I Thought It Was Normal to Be the Only One: On Becoming Aware of Racism die Unterrepräsentation britisch-asiatischer Studierender in der musikalischen Hochschulbildung in Großbritannien und reflektierte die Rolle der Musik in einem kritischen Zugang zu rassistischen und kolonialen Machtstrukturen. Den Auftakt der Veranstaltung bildete der Vortrag Music and Colonial Modernity von Sinthujan Varatharajah. In diesem analysierte Varatharajah Todd Fields den kontrovers diskutierten Film Tár (2022) durch eine postkoloniale Linse. Im Anschluss fanden sich die Teilnehmenden im Future Art Lab ein, wo der Film Aşk, Mark ve Ölüm (Liebe, D-Mark und Tod, 2022) gezeigt wurde. Mit knalligen Bildern, stilistisch wirkungsvollen Rhythmus sowie eindringlicher akustischer Untermalung rekonstruiert Regisseur Cem Kaya in seinem Dokumentarfilm das 1961 abgeschlossene Anwerbeabkommen mit der Türkei und erzählt in berührender, tragisch-komischer Manier, wie mit Gastarbeiter_innen auch deren Musik nach Deutschland kam.

Unter dem gezielt provokanten Titel Diversity WTF. Forms of Exclusion in Music and Art Universities versammelten sich Musicians of Colour zur Podiumsdiskussion unter der Moderation von Marko Kölbl, Leiter des Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, auf der Bühne, um über die Frage nach rassistischer Exklusion an höheren Bildungseinrichtungen zu diskutieren. Diljeet Kaur Bhachu, Shanti Suki Osman, Seba Kayan und Esra Özmen verhandelten unter Einbezug des Publikums, wie Veränderung aussehen muss/kann/soll, um Barrieren und Limitierungen aufzubrechen. Die Stellung der Universität, die exklusive Validierung durch westlich-akademische Parameter sowie außer-universitäre Räume der Wissensproduktion kamen unter verschiedenen kritischen Perspektiven zur Diskussion. Essenzielle Aspekte wie Klassismus und Elitismus, Fragen nach Verantwortung, engagierter Pädagogik, antidiskriminatorischer Lehre sowie epistemische Autorität wurden dabei nicht ausgelassen.

Weitere Informationen:

Alle Vorträge sowie die Podiumsdiskussion sind in der mdwMediathek abrufbar. Informationen über die Veranstaltung sowie über vergangene Formate sind auf der Website des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie zu finden.

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