Eine Gesprächsrunde über die gesunde Kunstausübung, die Situation im Berufsalltag und Möglichkeiten der Bewusstseinsschaffung mit Gerda Müller, Vizerektorin für Organisationsentwicklung, Gender & Diversity, Bernhard Riebl, Leiter der Abteilung Musikphysiologie am Institut für Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik sowie Musikphysiologie und Eva Maria Riedl-Buschan, der neuen Professorin für Gesang am Institut für Gesang und Musiktheater.

In ihrem Projekt Kunst und Gesundheit stellt die mdw das körperliche wie auch das seelische Wohlbefinden aller Angehörigen der Universität in den Mittelpunkt. Worum geht es dabei?

Bernhard Riebl © Daniel Willinger

Bernhard Riebl (BR): Das Grundanliegen von Kunst und Gesundheit ist ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es in der Ausbildung und dem Arbeitsalltag nicht nur um Leistung geht, sondern auch darum, wie wir diese erforderliche Leistung mit Gesundheit und Wohlbefinden in Einklang bringen können. Für diese Fragestellung möchte die mdw ein Forum schaffen. Das Angebot von Kunst und Gesundheit richtet sich dabei an alle Angehörigen der Universität – Lehrende, Studierende (hier geht es in erster Linie um Kunstausübung) und das Verwaltungspersonal.

Gerda Müller (GM): Der mdw ist wichtig, die Gesundheit der Menschen, die hier arbeiten und studieren, zu erhalten. Dafür möchten wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was gesunde Kunstausübung heißt, und was es dafür braucht. Auf der anderen Seite stehen die Bedürfnisse der Mitarbeiter_innen der Verwaltung. Diese Bereiche haben wir mit der Projektgruppe Kunst und Gesundheit sehr gut institutionalisiert und über verschiedene Projekte, Schwerpunkte und Initiativen weiterentwickelt.

Die mdw steht großartig da, was die individuelle Betreuung der Studierenden betrifft, und das ist von unschätzbarem Wert.

Bernhard Riebl

Können Sie ein paar Beispiele nennen?

Gerda Müller © Daniel Willinger

GM: Etwa der jährlich stattfindende Gesundheitstag, der sich an alle mdw-Angehörigen richtet, unser Zentrum für Weiterbildung, das sich im Rahmen des Weiterbildungsprogramms der mdw mit Kunst und Gesundheit abstimmt, aber auch Lehrveranstaltungen, die ganz tief in die curriculare Entwicklung hineingehen. Wir möchten Rahmenbedingungen schaffen und die entsprechenden Instrumente in die Hand geben, um gut auf den eigenen Körper achten zu können.

Wie stark ist das Bewusstsein für dieses Thema unter den Studierenden und Lehrenden? Wird das Angebot angenommen?

BR: Bei den Studierenden ist die Akzeptanz sehr hoch. Ein grundsätzliches Thema ist jedoch, dass viele Studierende von klein auf daran gewöhnt sind, nur auf den kurzfristigen Erfolg zu achten und oft genug gehört haben, sie müssten einfach nur mehr üben, oder dass Schmerz normal sei. In diesem Bereich konnten wir durch Pflichtfachvorlesungen schon viel Bewusstsein schaffen. In vielen weiteren Lehrveranstaltungen der Abteilung Musikphysiologie können die Studierenden dann umsetzen, wie es auch anders gehen kann.

Eva Maria Riedl-Buschan © Daniel Willinger

Eva Maria Riedl-Buschan (ERB): Ich bin begeistert davon, was die mdw hier an Angebot auf die Beine gestellt hat. Ich bin selbst Absolventin der mdw und habe mich bereits während meines Studiums sehr dafür interessiert, wie der Körper funktioniert und was das für unsere Berufsausübung bedeutet. In Wahrheit ist unser Beruf Hochleistungssport und im Idealfall hat man ein Team, das einen unterstützt. Jemanden, der einen körperlich und mental betreut. Für Sportler_innen ist es ganz normal, dass sie Mental-Trainer_innen und Ärzt_innen haben, die sie durchchecken. Das würde ich mir auch für den Kunstbereich wünschen.

Corona hat gezeigt, wie viel Leidenschaft die Studierenden und Lehrenden für die Ausbildung an der mdw aufbringen.

Gerda Müller

Würden Sie sagen, dass es auch Ihre Aufgabe als Lehrende ist, Studierende auf dieses Thema aufmerksam zu machen?

ERB: Ja, allerdings. Mit 17 bzw. 18 Jahren hat man dieses Thema einfach noch nicht so im Blick und hier kann man als Lehrende_r ansetzen. Vor allem möchte ich dazu ermutigen, die Angebote des Ausbilders in Anspruch zu nehmen. Die Erfahrung zeigt mir, dass sich im Berufsleben niemand darum kümmert. Man hat eine Eigenverantwortung, sich seine Gesundheit zu bewahren, denn früher oder später wird man als Künstler_in mit diesem Thema konfrontiert. In unserem Bereich werden minutiöse Höchstleistungen abgefragt und das hat einen großen Einfluss auf unseren Organismus, allein durch die Stresshormone. Eine befreundete Ärztin hat mir einmal erklärt, dass wir eigentlich nach jeder Vorstellung noch mindestens eine halbe Stunde Sport betreiben müssten, um das Cortisol im Körper abzubauen.

BR: Spannend ist, dass früher das Interesse bei den Pädagogik-Studierenden deutlich größer war als bei den Studierenden aus dem Instrumentalstudium, in den letzten Jahren haben aber die Instrumental-Studierenden hier gleichgezogen. Ich vermute, weil es sich herumgesprochen hat, dass die Performance besser wird, wenn man achtsamer mit seinem Körper umgeht. Zudem wird dadurch das Studium effizienter. Bei den Lehrenden ist es etwas anders, hier gibt es jene, die unglaublich viel Know-how besitzen, die sich seit Jahren sehr für dieses Thema interessieren. Dann gibt es aber auch Lehrende, die kaum Interesse zeigen. Aber auch hier kann man sagen, dass sich das Blatt gerade wendet.

Wie kommt es zu diesem Wandel?

BR: Ich denke, dass unser Projekt Kunst und Gesundheit einiges dazu beigetragen hat. Wie auch der bereits erwähnte Gesundheitstag, den mittlerweile alle kennen. Dort gibt es sowohl für Lehrende als auch für Studierende hochqualitative Schnupper-Angebote aus dem Bereich Musikphysiologie und Musikpsychologie. Einen Beitrag leisten vor allem auch die Lehrveranstaltungen für die Studierenden, wo Lehrende oft erleben, dass die Entwicklung ihrer Studierenden von musikphysiologischen Ansätzen gefördert wird. Die Lehrenden haben, sobald das Interesse erwacht ist, heutzutage auch viel mehr Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung als früher.

GM: Den Vergleich mit den Spitzensportler_innen finde ich sehr treffend und die Frage ist, welchen Support brauche ich, um diese Höchstleistungen möglichst lange erbringen zu können? Meiner Ansicht nach hat es hier in den letzten Jahren eine Bewusstseinssteigerung gegeben. Es ist klar geworden, dass psychische und physische Gesundheit essenziell sind, um auf der Bühne mit der enormen Stresssituation gut umgehen zu können.

Ich achte bei meinen Studierenden besonders auf Körperhaltung und Atemtechniken. Es ist immer wieder faszinierend, wie sich der Klang entwickelt, wenn man am Körper nur eine Kleinigkeit verändert.

Eva Maria Riedl-Buschan

Wie greift die mdw dieses Thema auf?

GM: Wir bieten ein sehr vielfältiges Programm an. Es geht vor allem um die ganzheitliche Betrachtung des Körpers, um das, was ich brauche, um gut arbeiten und Kunst ausüben zu können. Die psychische Gesundheit ist ein ganz wesentlicher Bestandteil davon. Wir haben etwa eine Ringvorlesung initiiert, die sich mit dem Umgang mit Stress, Auftrittsängsten und Panikzuständen beschäftigt hat. Wir haben eine psychosoziale Beratungsstelle für die Studierenden eingerichtet, um niederschwellig über diese Dinge sprechen zu können. Ich denke, dass das Bild gereift ist, dass es mehr braucht, um seine künstlerische Performance abliefern zu können, als zu üben. Und ich meine, dass es uns gelungen ist, dieses Thema stärker im System sichtbar zu machen und mehr Bewusstsein zu schaffen.

BR: Ich möchte hier auch noch einmal unterstreichen, dass Lehrveranstaltungen installiert wurden, wie etwa Konzentrationspraxis oder Auftrittscoaching, die sehr konzentriert mit dieser Thematik arbeiten und ansprechen, dass es nicht selbstverständlich ist, immer gut abzuliefern. Das Auftrittscoaching hat in den letzten zehn Jahren einen großen Zulauf bekommen und reicht in viele Lehrveranstaltungen hinein.

GM: Entscheidend ist auch, dass die Universitätsleitung erkannt hat, dass es sich hier um ein sehr wichtiges Thema handelt, dass wir diese Lehre ermöglichen und die Ressourcen zur Verfügung stellen.

© Daniel Willinger

Frau Riedl-Buschan, wird diesem Thema in der tatsächlichen Berufsausübung bzw. im beruflichen Alltag genug Aufmerksamkeit geschenkt?

ERB: Wenn man als Absolvent_in im Job angekommen ist, wird einem schnell klar gemacht, dass man abliefern muss. Es interessiert niemanden, wie es einem geht oder ob man gestresst ist. Ich habe mich früh mit diesem Thema beschäftigt, weil ich vermutet habe, dass Höchstleistung nicht zufällig, sondern aufgrund des Zusammenspiels vieler körperlicher Faktoren passiert. Mit Anfang 20 habe ich den Lehrgang Atem, Stimme, Bewegung an der mdw absolviert, mich mehr und mehr eingelesen und wertvollen Input von Expert_innen auf diesem Gebiet bekommen. Was ich daher mit Sicherheit und aus Erfahrung als Sängerin und Pädagogin weiß: Wenn es im Einklang mit dem eigenen Körper und Geist geht, dann fühlt es sich auch leicht an. Im Berufsleben, das musste ich lernen, gibt es kaum Platz dafür. Einerseits aus zeitlichen Gründen, andererseits weil es vielen einfach nicht wichtig genug ist. Ich weiß, dass einige Theater- und Opernhäuser zumindest Betriebspsycholog_innen anbieten, um den psychischen Stress abzufedern, nur wird dieses Angebot kaum genutzt.

Ich wünsche mir, dass diese Themen ernst genommen werden. Es gibt hier die Expert_innen, die dafür da sind, die Angehörigen der mdw zu begleiten.

Gerda Müller

Das klingt nach einer Tabuisierung …

ERB: Zu meiner Zeit war das auf jeden Fall so.

GM: Wir sind eine Exzellenzuniversität. Sobald man Defizite aufweist, etwa körperliche Beschwerden, steht das mit der Exzellenz in Widerspruch. Das aufzubrechen ist für die Weiterentwicklung der Institution unglaublich wichtig. Wir möchten aufzeigen, dass es sehr belastend sein kann, wenn man mit Beschwerden auf diesem Niveau Leistung abrufen möchte. Das hemmt und im Grunde kann man daran zerbrechen. Wir möchten, dass bereits die Studierenden wahrnehmen, dass es hier Angebote gibt, die unterstützen und helfen, und dass es in Ordnung und normal ist, sie in Anspruch zu nehmen.

ERB: Künstlerische Studien waren nie einfach, wenn man den Wettbewerb betrachtet. Aber es hat sich in den letzten zehn Jahren noch einmal sehr zugespitzt. Es ist härter geworden. Als ich mit 24 Jahren meine professionelle Karriere begonnen habe, war ich als Mezzosopranistin ein „Küken“, was mir an den Theatern auch immer so vermittelt wurde. Ältere, erfahrenere Kolleg_innen haben mich unter ihre Fittiche genommen. Heute scheint mir, liegt der Schwerpunkt mehr und mehr auf den jungen Künstler_innen, was zur Folge hat, dass die älteren und erfahrenen Kolleg_innen immer öfter ausfallen. Aber gerade die Expertise und Erfahrungswerte darüber, wie man die Probenarbeit und Auftritte gut bewältigen kann, sind damit leider weniger geworden. Deswegen ist die Arbeit der mdw von so großer Bedeutung.

Welche Strategie verfolgt die mdw, um noch mehr Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen?

BR: Um die Lehrenden immer mehr in diese Thematik einzubinden, setzt die mdw besonders auch bei den neu eintretenden Lehrenden an: Daher ist die Musikphysiologie im Startmodul für neue Lehrende vertreten. Ich denke aber, dass das Bewusstsein für dieses Thema auch eine Generationenfrage ist. Ich bin sehr optimistisch, dass, wenn man diese Themen an der mdw gut im Auge behält, das Bewusstsein stetig steigen wird. Ansonsten liegt es naturgemäß in der Verantwortlichkeit der Studienkommissionen, den Studierenden auch in Bezug auf musikphysiologische Hilfestellungen die bestmögliche Bildung anzubieten.

GM: Die mdw hat als Universität eine Vorbildfunktion. Wir haben den Anspruch, ein humanistisches Wertebild zu vermitteln. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir auf die Aspekte, die einen dann im Beruf erwarten, gut vorbereiten. Damit die Absolvent_innen hinausgehen und mit dem Wissen ausgestattet sind, wo sie sich im Bedarfsfall hinwenden können. Und man darf auch die Verwobenheit der mdw mit den Kulturbetrieben nicht unterschätzen. Wenn Studierende mit ihrem Wissen ins Engagement gehen und es weitertransportieren, können sie für unser Thema Multiplikator_innen sein. Aber dafür brauchen sie eine gute Ausbildung.

BR: Das ist mein Stichwort. Das Institut für Musik- und Bewegungspädagogik/Rhythmik sowie Musikphysiologie bietet einen Zertifizierungslehrgang zu diesem Thema an, wo Künstler_innen, die bereits im Berufsleben stehen, gewisse Ausbildungsschritte nachholen können. In dem umfangreichen Lehrgang werden sowohl Musikpsychologische als auch -physiologische Themen behandelt. Die Teilnehmer_innen, darunter Künstler_innen, die den Abschluss teilweise schon vor vielen Jahren gemacht haben, bringen große Berufserfahrung mit. Sie integrieren das neu erworbene Wissen in ihren beruflichen Alltag, tragen aber auch umgekehrt zur Entwicklung des Lehrganges bei, weil die Praxisrelevanz ständig reevaluiert werden kann.

In Wahrheit ist unser Beruf Hochleistungssport. Für Sportler_innen ist es ganz normal, dass sie Mental-Trainer_innen und Ärzt_innen haben, die sie durchchecken. Das würde ich mir auch für den Kunst-Bereich wünschen.

Eva Maria Riedl-Buschan

Vizerektorin Müller, welche Themen könnten die mdw Ihrer Ansicht nach in den nächsten Jahren beschäftigen?

GM: Die Studierenden und Mitarbeiter_innen der Universität haben Corona gut bewältigt – mit sehr viel Kraft, Energie und Engagement. Man kommt aber aus diesem Krisenmodus nicht heraus. Ein ganz wesentlicher Aspekt in Zeiten wie diesen ist, Stabilität zu gewährleisten und nicht zu vernachlässigen, dass diese Situation der Unsicherheit die Menschen beeinflusst. Ich glaube, das wird die große Herausforderung der nächsten Jahre sein. Hier zu unterstützen und den jungen Menschen eine Perspektive geben. Es sind derzeit sicher nicht die einfachsten Rahmenbedingungen, um eine gute künstlerische Ausbildung sicherzustellen. Corona hat sehr schnell gezeigt, welchen Stellenwert die Kunst in Krisensituationen hat.

Haben Sie zum Abschluss Tipps, was jede_r selbst zum Erhalt seiner/ihrer Gesundheit beitragen kann?

ERB: Auf jeden Fall Sport, viel Bewegung. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, Entspannungstechniken zu beherrschen – in welcher Form auch immer. Seit einiger Zeit unterstütze ich Kolleg_innen vor wichtigen Auftritten beispielsweise mit verschiedenen Mentaltechniken. Persönlich mache ich gerne Yoga, aber es gibt auch viele andere Möglichkeiten. Und als Hochleistungssportler_innen, die wir sind, ist auch die Ernährung ein Thema. Wir haben einen anderen, individuellen Nährstoffbedarf, der von einem Arzt oder einer Ärztin bestimmt werden sollte.

BR: Wenn ich nur ein einziges Wort sagen dürfte, würde ich auch sofort Sport sagen, keine Frage. Ich finde es aber auch besonders wichtig, wenn Menschen lernen, früh auf sich zu hören, nicht erst wenn sie Probleme oder Schmerzen haben. Dass man die Fähigkeit entwickelt, wahrzunehmen, wann es mir in den Anforderungen meines Lebens nicht mehr gut geht, und darauf auch reagieren kann. Wenn man daran arbeitet, lässt sich hier viel erreichen.

GM: Neben all den genannten Tipps, die auch ich zu hundert Prozent unterschreibe, wünsche ich mir, dass die Angebote, die es gibt, auch wahrgenommen werden. Auch im Wissen um die vorher besprochene Exzellenz. Ich möchte an dieser Stelle die Studierenden dazu ermutigen, Hilfe und Unterstützung anzunehmen. Ich wünsche mir, dass diese Themen ernst genommen werden. Es gibt hier die Expert_innen, die dafür da sind, die Angehörigen der mdw zu begleiten.

Ich finde es besonders wichtig, wenn Menschen lernen, früh auf sich zu hören, nicht erst wenn sie Probleme oder Schmerzen haben.

Bernhard Riebl

Projekt Kunst und Gesundheit
mdw.ac.at/kunstundgesundheit

Personalentwicklung – Zentrum für Weiterbildung
mdw.ac.at/zfw

Abteilung Musikphysiologie
mdw.ac.at/mrm/iasbs

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