„Das, was wir vom Dirigenten, von der Dirigentin am Pult sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter befindet sich eine wahre Kompetenzpyramide aus musikalischen Fertigkeiten bis hin zu Managementfähigkeiten“, sagt Alois Glaßner, Leiter des Instituts für Musikleitung an der mdw. Das mdw-Magazin sprach mit ihm über die umfassende Dirigierausbildung, das Studium und ein Berufsbild im Wandel sowie die Pläne des Instituts.

Im Diplomstudium Dirigieren kann man aus drei Studienzweigen wählen: Orchesterdirigieren, Chordirigieren und Opernkorrepetition. Um ins Studium aufgenommen zu werden, muss man sich erst mit 50–80 Mitbewerber_innen messen und eine mehrteilige Zulassungsprüfung bestehen, um einen der etwa zehn Studienplätze zu ergattern. Die Bewerber_innen müssen bereits über umfangreiche Kenntnisse in Musiktheorie, Formanalyse und Gehörbildung verfügen, technische Voraussetzungen am Klavier, im Gesang und Dirigieren erfüllen und sich auch gut vor einem Vokal- oder Instrumentalensemble präsentieren können. Daher haben Studieninteressierte oft schon andere Studien absolviert, wie Instrumental-, Kompositions- oder Pädagogikstudien. Es gibt aber auch jene, die sich unmittelbar nach der Matura oder schon während der letzten Schuljahre bewerben und die Prüfung schaffen.

© Alois Glaßner

Das Studium selbst ist umfassend und fordernd, um die Studierenden so gut wie möglich auf ihr späteres Berufsleben vorzubereiten. Die Arbeit des Dirigenten, der Dirigentin am Pult beim Konzert oder in der Oper ist der für das Publikum sichtbare Teil. Neben den nötigen musikalischen Fertigkeiten und dem fachlichen Wissen spielen aber auch die persönlichen „Soft Skills“ eine große Rolle. Leitungs- und Führungskompetenz und damit verbundene kommunikative Fähigkeiten sind zentrale Studieninhalte. Das Bild des dem Orchester gegenüber autoritär auftretenden Dirigenten ist nicht mehr zeitgemäß. „Heute ist eher ein partnerschaftlicher Zugang zur Arbeit gefragt, der Dirigent/die Dirigentin leitet als primus inter pares. Daher gibt es auch Fächer wie Kommunikative Kompetenz im Studienplan“, erklärt Glaßner. „Die Studierenden müssen sich zutrauen, die leitende Rolle anzunehmen, und sich darin zurechtfinden, ohne von oben herab zu agieren. Gelingt es dem Dirigenten, der Dirigentin, die Musiker_innen oder Sänger_innen für die eigene Interpretation zu gewinnen, entstehen für das Publikum magische Momente“, ist Glaßner überzeugt. Durch die breitgefächerten Inhalte des Studiums qualifizieren sich Studierende auch für andere Betätigungsfelder als das der Musikleitung. Absolvent_innen, aber auch jene, die nur einen Teil des Studiums absolviert haben, profitieren von den erworbenen Leitungs- und Kommunikationskompetenzen und fassen dadurch beispielsweise im Musikmanagement oder bei Künstleragenturen Fuß. Andere arbeiten in der Lehre in verschiedenen musikalischen Fächern an Universitäten und Konservatorien. „Dirigieren ist im Kern auch eine pädagogische Tätigkeit“, so Glaßner. „Dirigieren ist wie eine Sprache, die nonverbal mit Gesten funktioniert. Wie beim Sprechen sollte man auch beim Dirigieren inhaltlich etwas zu sagen haben und sich verständlich mittels einer sauberen Schlagtechnik ausdrücken“, erläutert Glaßner. Musikleitende Arbeit findet immer auf drei Ebenen statt, beginnend mit der Werkerschließung – dem Erlernen des Stücks durch Studieren der Partitur, Spielen auf dem Klavier sowie Einlesen in die Entstehungsgeschichte. Im nächsten Schritt beginnt die Probenarbeit: Das angeeignete Werk wird in der eigenen Interpretation dem Chor oder Orchester vermittelt. Schließlich der finale Schritt: das Leiten des Orchesters oder Chores bei der Konzert- oder Opernaufführung. Im Dirigierunterricht sind die drei Ebenen stets präsent. Bei der Werkerschließung lernen die Studierenden in Kleingruppen unter Anleitung der Lehrenden am Klavier ein Stück. Probenarbeit wird an der mdw hauptsächlich mit den Übungsklangkörpern Pro Arte Orchester und WebernStudioChor geübt. Unter Feedback der Lehrenden proben die Studierenden die zuvor erarbeiteten Stücke und führen diese immer wieder auch in Studienkonzerten auf. Das ist ein wichtiger Teil der Dirigierausbildung, da Dirigent_innen ihr „Instrument“ nicht wie etwa Instrumentalist_innen zu Hause üben können. „Das Instrument des Dirigenten, der Dirigentin besteht aus Menschen. Er oder sie muss das Kollektiv so inspirieren und anleiten, dass es die Musik macht, die seiner oder ihrer Vision entspricht, aber auch die Expertise und Kompetenz des Chores oder Orchesters berücksichtigen“, betont der Institutsleiter.

Aus diesem Grund wünscht sich Glaßner Kooperationen mit professionellen Klangkörpern, die angehenden Dirigent_innen regelmäßige Dirigierpraktika ermöglichen. „Dadurch könnten nicht nur Studierende wertvolle Erfahrungen sammeln, auch für die Klangkörper wäre es eine Bereicherung, wenn sie sich dem Nachwuchs öffnen. Erfahrene Dirigent_innen fallen nicht vom Himmel“, meint Glaßner. Den Anforderungen des Berufsbildes gerecht zu werden, erfordert eine stetige Weiterentwicklung des Studiums. Die nächste Reform steht 2024 mit der Umstellung des Diplomstudiums auf Bachelor- und Masterstudium bevor. Dazu Glaßner: „Dirigierausbildungen stehen heute im internationalen Vergleich und Studierende sind oft sehr mobil. Wir möchten gerne unseren eigenen, aber auch hochqualifizierten Studierenden, die anderswo einen Bachelor gemacht haben, mit einem Masterstudium ein attraktives Angebot machen.“ Ein zentrales Anliegen von Glaßner ist es, am Institut ein noch vielfältigeres Lehrangebot zu bieten. Ein Beitrag dazu sind die ab Wintersemester 2022 startenden Professuren von Andrés Orozco-Estrada und Sian Edwards (siehe Interview S. 26 und Gespräch auf S. 29), die ihre internationale Erfahrung und Expertise am Institut einbringen werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt für Glaßner sind fortlaufende Überlegungen, wie noch mehr Frauen für das Dirigierstudium motiviert und zur erfolgreichen Zulassung gebracht werden können. Die Dirigentin und versierte Pädagogin Sian Edwards kann hierzu wertvolle Impulse geben.

Alois Glaßner selbst hat an der mdw Orgel, Kirchenmusik, Komposition, Dirigieren und Gesangspädagogik studiert. Seit 1991 lehrt er an der mdw, 2004 wurde er als Professor für Dirigieren ans Anton Bruckner Institut berufen, im Herbst 2018 übernahm er die Professur für Chordirigieren am Institut für Musikleitung, dem er seit Juli 2021 vorsteht. „In meiner Studienzeit an der damaligen Musikhochschule habe ich ein profundes Ausbildungsangebot für Chordirigieren vermisst, daher freut es mich besonders, jetzt auch mit der Entwicklung und dem Ausbau dieses Bereichs betraut zu sein“, so Glaßner.

Die Frage, was noch weiter zu tun sei, um Absolvent_innen noch besser auf die Berufswelt vorzubereiten, treibt ihn und die Lehrenden am Institut stetig an. Jedoch räumt er ein: „Im Studium kann man nicht alles vorwegnehmen, was sich im Laufe des durchaus harten Lebens im Dirigierbereich ergeben wird. Aber wir helfen den Studierenden, eine starke musikalisch-leitende Persönlichkeit zu entwickeln, die den kommenden Stürmen im Leben standhalten kann.“

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