Für die Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum werden seit einigen Jahren zentrale Vorsprechen von der Ständigen Konferenz Schauspielausbildung (SKS) organisiert. Dort präsentieren sich die jeweiligen Abschlussjahrgänge dem Fachpublikum und hoffen so auf Engagements an unterschiedlichen Theaterhäusern. Während dies 2020 digital stattfinden und teilweise abgesagt werden musste, konnte der aktuelle Abschlussjahrgang des Max Reinhardt Seminars 2021 wieder auf Reisen gehen. Die Studierenden des Abschlussjahrgangs 2022 nehmen uns mit auf ihren Kurztrip zu den Absolvent_innen-Vorspielen (AVO) nach Neuss, Berlin und München.
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Ich packe meinen Koffer und nehme mit:
  • Zahnbürste
  • Laptop für Last-Minute-Bewerbungen
  • Handyladekabel
  • Kostüme (wichtig!)
  • eine Waschmaschine1
  • Bierdeckel2
  • Sedcards und Programmhefte
  • Unterhosen und Kleidung
  • kein Shampoo (alle haben ihr Shampoo vergessen)
  • Handtücher (sehr wichtig!)
Die Teams:
  • Team Zug: Caro, Pia, Sophie, Kathi, Nils
  • Team Auto: Lukas (Schauspielregie), Basti, Enzo, Til, Etienne
  • Team Premiere: Lili
Let’s go!

Kathi dachte in der Nacht vor der Abreise nur an die Packliste. Sie hasste Kofferpacken, umso schlimmer war es, wenn man als Gruppe verreiste und jemand anderer etwas vergaß. Deshalb erinnerte sie ihren Jahrgang noch einmal an eigene Handtücher. Die Vorstellung, dass eine Person ihr Handtuch vergessen haben könnte und sich eine Woche lang mit einem alten Shirt abtrocknen musste, raubte ihr den Schlaf. Mit einem nett gemeinten „Danke Muddi <3“ befreite sie ein Kommilitone dann endlich von ihren Sorgen, und Kathi konnte friedlich einschlafen.

Der nächste Morgen verlief unheimlich reibungslos. Die gesamte Reisegruppe teilte sich in zwei Teams – Team Zug und Team Auto – auf. Unbeabsichtigt waren im Team Auto ausschließlich Jungs – ein Zufall, den man aufgrund der Stereotypisierung vielleicht lieber verschweigen sollte. Allerdings hatten wir festgestellt, dass die fünf geübtere Gangschaltungsfahrer waren.

Niemand hatte verschlafen, alle waren guter Laune und fuhren pünktlich ab. Fast ein bisschen langweilig. Um das Team Auto zu ärgern, täuschte Team Zug in der Jahrgangs-WhatsApp-Gruppe vor, dass Caro den Zug nicht rechtzeitig erwischt hätte. Abwechselnd beratschlagten wir über die nächste Zugverbindung und baten Team Auto (das bereits seit zwei Stunden unterwegs war) zurückzufahren, um Caro in Wien abzuholen, worüber dieses nicht besonders erfreut war. Der Spaß wurde schließlich aufgelöst mit einem Foto der im Zug sitzenden Caro. Team Auto war erleichtert. Team Zug amüsiert. Die Reise ging weiter.

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In einem Vorort von Neuss erreichten wir schließlich unsere erste Unterkunft. Eine kleine Jugendherberge, die neben einem alten Ehepaar ausschließlich uns beherbergte. Erst einmal war Abendessen angesagt, und wir ließen uns in einem griechischen Restaurant mit dem einladenden Namen „Marias Grill-Imbiss“ nieder (die Sterne haben uns dorthin geführt, und die Sterne lügen nicht). Es war einer von drei Orten, an denen man zu unserer Ankunftszeit spätabends noch warmes Essen bekam, und wir waren probierfreudig! Nachdem wir uns auf einen fast leeren Magen und hungrig von der Reise Gyrosteller, Pita, Pommes und Kölsch gegönnt hatten (danke nochmals an Maria und ihre Mitarbeiterinnen, die superfreundlich zu uns verlorenen, hungrigen Reisenden waren!), war uns allen erst einmal ein bisschen übel – zu viel des Guten. Mit vollen Bäuchen verteilten wir uns alle in unseren Pyjamas auf den drei Hochbetten des Nilpferd-Schlafzimmers und erinnerten uns an Erlebtes der vergangenen Jahre an der Schauspielschule. Es wurde viel gelacht, geschwiegen und nachgedacht, vor allem wurde Welcome to St. Tropez (DJ Antoine vs. Mad Mark Radio Edit) als Motivationshymne gespielt. Wir waren bereit!

Am 16. November um 15 Uhr hatten wir auf der Probebühne des Rheinischen Landestheaters in Neuss unser erstes Absolvent_innen-Vorspiel. Zuvor hatten wir eine Stunde Zeit, uns auf der Bühne und in den Garderoben einzurichten und vorzubereiten. Florian Reiners, unser Sprachgestaltungsprofessor, der mit uns nach Neuss gereist war, gab uns ein paar letzte Tipps zur Akustik des Raumes. Nach einem kurzen technischen Durchlauf ging es dann endlich los! Etwa hundert schwitzige Minuten später waren wir fertig. Zum Durchschnaufen blieb allerdings keine Zeit. Das Programm war eng getaktet, damit innerhalb einer Woche rund 24 Schauspielschulen in allen drei Städten die Gelegenheit zum Vorsprechen bekamen. So kam es jedes Mal nur im Foyer des Theaters beim Ein- oder Ausräumen der Koffer zu Begegnungen mit den Jahrgängen aus einer der anderen Schauspielschulen.

Da das zweite Vorsprechen bereits am nächsten Tag um 18 Uhr im sechs Autostunden entfernten Berlin stattfinden sollte, düsten wir, wieder in zwei Gruppen aufgeteilt, weiter in die Bundeshauptstadt. In der Rushhour des Ruhrpotts gestaltete sich die Autofahrt nicht so zügig wie erhofft. Da der Zug, in dem nun Pia, Caro, Sophie, Kathi und Nils saßen, einen unerwarteten mehrstündigen Aufenthalt vor Hannover machte, kamen beide Teams erst spätnachts in Berlin an. Zum Glück stand dem Ausschlafen nichts im Wege.

In Berlin spielten wir im BAT-Studiotheater der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Das Vorspielen machte uns allen sehr viel Spaß, denn der Raum war wunderbar und die Uhrzeit für unsere Nachteulenseelen perfekt.

Was uns dennoch überraschte, war, wie sehr uns die Reise bereits in den Knochen saß. Die Fahrt einmal durch ganz Deutschland mit all der Anspannung und dem Stress hatten wir vor lauter Vorfreude vielleicht ein wenig unterschätzt. Dennoch hielten wir uns damit nicht lange auf und gingen nach dem Vorspiel in Berlin etwas essen und trinken. Der nächste Tag war wieder ein Reisetag, es sollte weitergehen nach München. Pia und Kathi stellten in dieser Nacht fest, dass der erstbeste Döner um 4 Uhr nachts in Berlin besser war als der beste Döner in Wien. Am nächsten Tag hätten die beiden dann wirklich fast den Zug verschlafen, und ihnen wurde in der Berliner U-Bahn bewusst, wie schlimm es ist, dort zu sitzen und zu wissen, dass es noch vier Stationen zu fahren gibt und die Zeit langsam knapp wird. Als sich die Türen öffneten, legten sie den Sprint des Jahres hin. Auch dieses Hindernis wurde erfolgreich gemeistert, die beiden rannten und kamen verschwitzt, aber gerade noch rechtzeitig im ICE an.

Der ICE löste mittlerweile eine Art Heimatgefühl in uns aus, dieselben Vierersitze mit Tisch in denselben Zügen und dieselbe Bordbistrokarte. Team Auto schickte Team Zug währenddessen schöne Fotos von seinem Brunch in Berlin und fuhr anschließend auch los.

Alle waren nun auf dem Weg von Berlin nach München, und die gut gelaunte Autogruppe tuckerte nach stundenlangem Rollen im Stau zu einer wohlverdienten Snackpause an eine Raststation. Nachdem alle ausgestiegen waren, bekam der Wagen hinter Team Auto, liebevoll wie es eben ist, noch einen großen, freundlichen Grinser durch die Scheibe. Blöd nur, dass das eine Polizeistreife war, die das als unumgängliche Aufforderung für eine Ausweis- und Drogenkontrolle bei den fünf hippen Boys auffasste. Nach einer Probenabgabe hinter der nächsten Ecke, kurzem Unwohlsein und einem schnellen Snack (steinharte Brezel) ging es weiter im Stau Richtung Süden.

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Nach vier Reisetagen und zwei Vorsprechen kamen alle völlig übernächtigt in der Münchner Jugendherberge an, die wir uns mit an die 50 Achtklässlern teilten. Am Abend vor dem Vorspiel, das, obwohl in Bayern, zu einer sehr unchristlichen Uhrzeit – 10 Uhr (!) – stattfinden sollte, saßen wir in einem urigen italienischen Restaurant zusammen. Der Abend ging schnell vorüber, und kurz vor 24 Uhr lagen wir alle im Bett. Doch als die Uhr Mitternacht schlug, versammelten wir uns um Lukas und feierten mit ihm in seinen Geburtstag hinein. Er war es auch, der mit uns die vielen unterschiedlichen Szenen und Monologe zu einem runden Abend zusammengesetzt hatte und uns während der Reise mit schützender Regiehand begleitete. Wir schlichen uns auf ein begrüntes Vordach, das unsere Zimmer miteinander verband, zündeten Teelichter an und sangen ganz leise Happy Birthday (um die Jugendlichen nicht zu wecken und um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, denn das Betreten des Dachs war vermutlich eine Grauzone).

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker (nicht bei allen) bereits um 6 Uhr. Bei der Spielstätte angekommen, versuchten wir, uns durch intensives Aufwärmen wach zu bekommen.

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Lili konnte aufgrund einer Theaterpremiere am Vorabend in Wien erst an diesem Tag nach München dazukommen: „Nach 3½ Jahren endlich. Das AVO. Damals im ersten Jahr, ich erinnere mich noch gut, wir tollten im Garten herum und genossen stolz in heißer Sommerluft unser sich dem Ende neigendes erstes Jahr, da brüllte ein Kommilitone vom Balkon herunter: ‚Heute spielt ihr Frisbee, aber morgen ist AVO!‘ Damals lachten wir noch, aber im Grunde hatte er recht. Die Zeit ist rasant verflogen. Plötzlich war also AVO, aber dann doch anders, zumindest für mich. Ende des Sommers war klar, ich würde nur bei einer Station dabei sein können: München.“ Neuss und Berlin hatte sie nur mit einigen Fotos und WhatsApp-Nachrichten im Jahrgangschat miterlebt. Zwölf Stunden nach der Premiere in Wien stolperte Lili nach nur etwa zwei Stunden Schlaf mit knurrendem Magen und trockenem Mund auf die Probebühne des Residenztheaters: „Trotz Müdigkeit und zunehmenden Lampenfiebers freute ich mich riesig, da hockte die Bande, die eine Woche durch Deutschland getourt und jetzt am letzten Tag der Reise angekommen war. Nun war ich auch dabei. Nach dem Vorspiel alle erschöpft, stießen wir auf Lukas’ Geburtstag an. Auch wenn ich nur fünf Stunden dabei war, ich fühlte mich, als hätte ich ein wichtiges Kapitel mit dem Jahrgang zusammen abgeschlossen.“

Nach dem letzten Vorspiel war es für unser Gefühl immer noch recht früh am Morgen, obwohl wir bereits eine Achterbahnfahrt hinter uns hatten. Wir setzten uns in die Kantine der Kammerspiele und nach einem Spaziergang durch die Münchner Innenstadt in ein Café, aßen und tranken zusammen. Schließlich waren wir bereit für die Abschiedsumarmungen, denn die Gruppe teilte sich für die Rückfahrt wieder auf.

Das Kapitel AVO-Reise war geschafft. Erschöpft, aber glücklich, dass wir diese Reise zusammen durchlebt hatten, machten wir uns auf den Weg zurück nach Wien in den Lockdown.

Autor_innen: Caroline Baas, Pia Zimmermann, Sophie Juliana Pollack, Katharina Rose, Nils Arztmann, Lukas Michelitsch, Sebastian Egger, Enzo Brumm, Tilman Tuppy, Etienne Halsdorf, Lili Winderlich

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  1. Die türkise Waschmaschine war unser Bühnenbild und ersetzte auf der Bühne Stühle, Tische, Sofas, Throne, Podeste, WCs, ein Haus, eine Kokaindose und eine Klimakapsel.
  2. Die Bierdeckel waren unser (auf nachhaltigem Papier gedruckter) Flyer-Ersatz und Marketinggag.
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