Wie Dirigent, mdw-Professor und Musikwissenschafter Johannes Wildner die Pandemie aktiv und reflektierend nutzt, und warum er die Krise als Chance sieht.

„Grüß Gott! Johannes Wildner, der Wanderer vom Eichkogel, begrüßt Sie ganz herzlich zu unserer gemeinsamen Eichkogel-Wanderung.“ So heißt der Dirigent sein Publikum in den YouTube-Videos jedes Mal willkommen. Besser gesagt jeden Tag. Was am 22. März 2020 als Erklärung für pandemiebedingt abgesagte Konzerte, als Nachrichten „aus der Kultur-Quarantäne“ begann, wurde bald zur täglichen Betrachtung unterschiedlichster zeitgenössischer und historischer Themen. Auch viele Gedenktage nutzt er, um zeitübergreifende Topoi und ihm eigene Werte zu transportieren.

© Stephan Polzer

Und es mangelt dem Intendanten der Oper Burg Gars nicht an Gesprächsstoff. Zum Interview traf ihn das mdw-Magazin dort. Die Opernfestspiele mit Mozarts Die Entführung aus dem Serail auf der wunderschön im Waldviertel gelegenen Burgruine waren gerade in vollem Gange, die Zeit knapp bemessen, und dennoch wurde der künstlerische Leiter nicht müde, die Geschichte der Burg und der Opernfestspiele mit unwahrscheinlicher historischer Prägnanz zu erläutern.

Das Videoprojekt fing eigentlich damit an, dass das für den 1. Mai 2020 geplante Konzert des Wiener Johann Strauss Orchesters pandemiebedingt abgesagt werden musste. Dirigent Johannes Wildner sollte Videobotschaften an das internationale Publikum ins Netz stellen, um die Situation zu erklären. Ein professionelles Kamerateam lehnte er ab, hielt sich das Smartphone vors Gesicht und nahm sich selbst damit auf. Doch gerade dieses „Selbstgestrickte“, wie es der Intendant nennt, kam beim Publikum sehr gut an, und so ist er diesem Stil bis heute treu geblieben.

Wildner erzählt, wie es dann weiterging. „Die Idee, das am Eichkogel zu realisieren, ist entstanden, weil ich vom Garten hinter unserem Haus in Mödling direkt auf den Eichkogel gehen kann, ohne öffentliche Verkehrsflächen zu benützen.“ Sein Publikum nahm er also mit auf die Wanderung und erzählte zunächst über Johann Strauss und Ludwig van Beethoven. Einige Medien in Österreich und Deutschland wurden auf die Serie von kurzen Videos aufmerksam, stellten Fragen und gaben neue Ideen. „Ab der 50., damals noch so genannten Corona-Wanderung habe ich begonnen, nicht nur über das Strauss-Orchester zu sprechen, sondern auch andere Themen aufzugreifen“, erklärt der Dirigent. Ab der 70. Folge nannte er sie Eichkogel-Wanderung, um die negative Corona-Konnotation loszuwerden und dem damals mutmaßlichen baldigen Ende der Pandemie Rechnung zu tragen. Auch die Wanderungen führten bald weiter, über die Weinstraße hinauf zum Husarentempel und zum Anninger, dem Hausberg Mödlings, auf den Pfaden Beethovens und Schuberts.

„Eigentlich, denke ich, geht das so weiter, denn es fällt mir immer etwas Neues ein“, sieht der Intendant der Zukunft seiner Videoreihe lächelnd entgegen. „Im Vordergrund steht die Freude, etwas mitzuteilen, an das ich gerade denke, etwas weiterzugeben, das mir am Herzen liegt. Ein Vorbild für mich ist Christa Kummer. Nach dem Motto ‚Einsparen, kleiner werden, leiser treten, um die Umwelt zu schonen und den Kohlendioxid-Ausstoß zu verringern‘, versuche auch ich, eine Bewegung zu gestalten: eine Wanderbewegung, die uns zurückführt in die unverklärte Romantik, als wir die Dinge dynamischer, als wir hinter die Fassaden gesehen haben.“ Auch Begegnungen, Erlebnisse und Jahrestage aus Kultur, Geschichte und Politik geben Anregungen für Betrachtungen, die in Bild und Ton festgehalten werden. „Wo ist das Volk von Schiller und Goethe hingeraten, was haben wir mit den Werten der Französischen Revolution in den vergangenen 200 Jahren gemacht?“, nennt Wildner als beispielhafte Fragen, die ihn auf seinen Wanderungen begleiten. „Für mich haben die Wanderungen auch die Funktion, die Augen zu öffnen, dass das Alltägliche so unglaublich spannend, informativ und enthüllend sein kann.“

Auf den Stellenwert der Resilienz angesprochen, verweist der Wanderer vom Eichkogel ebenfalls auf die Epoche der Romantik. „Von ihr können wir lernen, dass wir keine Angst vor der Zukunft haben brauchen und keine Angst vor Veränderung, denn sie kommt ohnehin.“ Und konkret auf die vergangenen eineinhalb Jahre zurückblickend zieht er ebenfalls ein positives Resümee: „Wir haben in dieser Zeit sehr viel gelernt in Bezug auf Online-Unterricht, es ist eine hervorragende Möglichkeit, internationale Studierende zu erreichen, die nicht nach Wien kommen können. Ich habe eine Studierende, die ein ganzes Jahr lang nicht aus China rauskonnte, in dieser Zeit über Zoom unterrichtet. Wir gehen auch kreativ mit dem Medium um. Zum Beispiel spielt ein Studierender ein Stück am Klavier, das wird dann einer anderen Studierenden geschickt, die es daraufhin dirigiert. Ein dritter Studierender gab dazu Feedback. Wir lassen uns immer wieder Neues einfallen. Aber natürlich gibt es Einschränkungen, gerade in Hinsicht auf Orchesterarbeit und Auftrittsmöglichkeiten.“

© Stephan Polzer

Abschließend fasst Johannes Wildner zusammen: „Wenn uns die Coronakrise etwas gelehrt hat, dann, dass wir nicht ununterbrochen abhängig sind vom täglichen Applaus, dass wir eine Definition unseres Selbstwerts finden, die in uns ist und nicht von außen kommt. Unser Eigenwert soll eben nicht bestimmt sein vom finanziellen Abgeltungsfaktor eines Auftritts. Auch den Wert dessen, was wir anzubieten haben, bestimmen wir aus uns heraus. Ich bin dankbar dafür, diese Erfahrung gemacht zu haben. Freilich ist das für jemanden, der am Beginn seiner Laufbahn steht, sehr schwer , die Studierenden wollen natürlich vordirigieren und vorspielen. Als Lehrender sehe ich hier meine Aufgabe zu helfen und den Studierenden zu zeigen, was sie vorbereiten können, um es dann, wenn es gefragt ist, zu präsentieren. Ich vergleiche die Entwicklung gern mit einer Pflanze, die über einen Betonblock wächst und aufblühen kann. Die Fantasie muss Raum bekommen. Jeder und jede muss aktiv sein. Vieles ist möglich. Nur Raunzen geht nicht.“

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