Das größte Missverständnis in einem kleinen Land ist die Verbindung von Kritik und Freundschaft. Ein kleines Land ist eng, und wo es eng ist, wo kaum Raum zum Atmen bleibt und noch weniger, um sich zu bewegen, da ist die Angst nicht weit. Wenn man Angst hat, sucht man Sicherheit. Nicht Freiheit, nicht Konfrontation, nicht Radikalität. Sondern Nähe. Manchmal zu viel davon.

In einem kleinen Land sind sich Kritiker und Künstler oftmals nahe, zu nahe. Näher, als es beiden Seiten guttut. In einem kleinen Land will man sich nicht wehtun. Und falls doch, dann bewusst. Um zu disziplinieren, auszuschließen, Hierarchien zu festigen. Macht auszuüben. Wenn Kritik persönlich wird, dann wird sie verletzend. Abwertend, zum Liebesentzug, im schlimmsten Fall vernichtend. Dabei kann Kritik viel bewirken. Wenn sie wertschätzt, fundiert ist, wenn sie über die Enge hinausgeht. Sie kann den Künstler weiterbringen, Fehler aufzeigen, die er korrigieren kann, ihm neue Perspektiven eröffnet. Blinde Flecken sichtbar machen. Licht ins dunkle Dickicht werfen, in dem man sich manchmal verfängt. Auch als Künstler. Gerade als Künstler. All das kann Kritik können, wenn sie von Herzen kommt. Unvoreingenommen, ehrlich, respektvoll. Ohne eingreifen zu wollen, den anderen zu verformen und zu verändern. Ein guter Kritiker ist der beste Freund, den man haben kann. Er lässt einem nichts durchgehen, nickt nichts einfach ab. Weder aus Bequemlichkeit noch aus Harmoniesucht und schon gar nicht aus Angst, den anderen zu treffen. Denn ein guter Kritiker zielt nicht, er lädt nicht nach, er schießt nichts ab.

Er ist kein Jäger und kein Richter, der sich in der Pose desjenigen gefällt, der entscheidet. Daumen hoch, Daumen runter. Ein guter Kritiker ist Publikum und das mit Leidenschaft. Er will nicht richten, nicht beurteilen, nicht zerstören. Sondern beobachten. Und all das, was er sieht, berichten. Ganz gleich wie eng, wie klein das Land ist, in dem er lebt, wie groß die Angst um ihn herum. Ein guter Kritiker sieht immer die Weite.

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