Stellt man heute die Frage nach interessanter zeitgenössischer Filmmusik, so wird man schnell auf Filme zu sprechen kommen, deren Soundtracks aus Musik verschiedenster Richtungen und Genres – häufig einer Mischung aus populärer und ‚Kunstmusik‘ – und meist aus bereits existierenden Aufnahmen kompiliert sind. Oft wird daneben auch eigens komponierte Musik eingebunden. In der Regel stehen hinter solchen Produktionen musikaffine Regisseur_innen. Diese Tradition ‚postmoderner kompilierter Soundtracks‘1, wie sie u. a. in Sofia Coppolas Historiendrama Marie Antoinette (2006, Musik von Jean-Philippe Rameau bis New Order), in Paul Thomas Andersons There Will be Blood (2007, Jonny Greenwood, Arvo Pärt, Johannes Brahms …) oder in Giorgos Lanthimos Thriller The Killing of a Sacred Deer (2017, Sofia Gubaidulina, György Ligeti, Franz Schubert …) zu hören sind, geht in dieser Form zurück auf Filme von Stanley Kubrick, der für seinen Scifi-‚Monolithen‘ 2001 – A Space Odyssey (1968) ausschließlich existierende Aufnahmen (von Johann Strauß bis György Ligeti) benutzte – damals eine wirkliche Neuheit. Die filmmusikalische Kompilierpraxis an sich ist bekanntlich deutlich älter und reicht bis zur Begleitmusikpraxis der Stummfilmzeit zurück, in der – salopp gesagt – vor allem in die volle Kiste des romantischen Repertoires gegriffen wurde.

Das Komponieren originaler Filmmusiken mit modernem Anspruch ist dagegen vor allem ein – wenn auch vergleichsweise seltenes – Phänomen der ersten Tonfilmjahrzehnte von den 1930er bis in die 1960er Jahre, wobei zunächst starke Impulse vom europäischen (Kunst-)Kino ausgingen. Eine breitere, d. h. kontinuierliche schriftliche Reflexion über moderne Musik im Film findet sich ab dem Jahr 1937 in der in New York erscheinenden Zeitschrift Modern Music im Rahmen der Kolumne „On the Hollywood Front“, deren erster Autor der amerikanische ‚Bad Boy of Music‘ George Antheil war. Wie der Titel andeutet, ging es in der Kolumne – neben einer Handvoll Filmen insbesondere aus der Sowjetunion (u. a. Alexander Nevsky, R: Sergei Eisenstein, M: Sergei Prokofjew, 1938) und aus Frankreich (Le Sang d’un poète, R: Jean Cocteau, M: Georges Auric, 1932) – vor allem um Produktionen der heimischen Filmindustrie, wobei es sich bei einigen der genannten Komponisten um Immigranten aus Europa handelte. Die Filmauswahl folgte grundsätzlich der Frage nach einem zeitgemäßem ‚Underscoring‘ und der Frage, was aus filmmusikalischer Sicht überhaupt unter ‚modern‘ zu verstehen sei. In seinem Initialartikel schrieb Antheil entsprechend: „Music, in the motion picture business, is on the upgrade. It may interest musicians to know that I have been remonstrated with because I did not write quite as discordantly as had been expected. ‘We engaged you to do “modernistic” music – so go ahead and do it.’ Out there they still call any kind of new music ‘modernistic’ (whatever that may be) but one can no longer doubt that Hollywood is developing a real taste for it.“2 An dieser Einführung wird sichtbar, dass sich der weitere Diskurs, mitunter etwas verzweifelt, an so scheinbar banalen Fragen abarbeiten wird, ob und inwiefern das Vorkommen von dissonanter Musik schon als Indiz für modernes filmmusikalisches Denken und Schreiben zu bewerten wäre. Klar wird zwischen den Zeilen aber auch, dass es um weitere Aspekte gehen wird. Die Diskussionen, die sich in den folgenden Jahren, während des Zweiten Weltkriegs und nach Kriegsende, um eine zeitgemäße Filmmusik drehten, lassen sich an einigen interessanten, bislang unaufgearbeiteten Quellen nachverfolgen.3

Eine Person, die in diesem Umfeld wiederholt auftauchte und auch schriftlich hervortrat, war Hanns Eisler, der 1947 das weithin bekannte, gemeinsam mit Theodor W. Adorno verfasste Buch Composing for the Films veröffentlichte. Weitgehend unbekannt ist jedoch, dass einige der darin behandelten Themen bereits seit Jahren von vielen anderen Film(musik)schaffenden in und um Hollywood diskutiert wurden, wie – neben der schon erwähnten Kolumne – an einem unveröffentlichten Transkript einer Podiumsdiskussion mit dem Titel Seminar on Music (mit dem handschriftlich dazu notierten Untertitel Role of Modern Music in the Modern Film) deutlich wird, die am 17. Mai 1945 im Beverly Hills Hotel in Los Angeles stattfand. Diese von der Hollywood Writers Mobilization finanzierte Veranstaltung brachte damals umtriebige (Filmmusik-)Komponisten und Musikprofessoren wie Adolph Deutsch, Leigh Harline, Hugo Friedhofer, Walter Rubsamen und Ingolf Dahl zusammen – im Publikum befanden sich weitere illustre Kollegen, u. a. David Raksin –, um sich an einer Definition des zeitgenössischen Idioms moderner Musik zu versuchen, die Frage nach der Autonomie moderner Musik und damit der Freiheit des Komponisten im Verhältnis zum modernen Film zu stellen und das Bedürfnis nach Erziehung des Publikums und der Filmproduzenten zu formulieren. Interessanterweise läuft der genannte Definitionsversuch auf ein Konzept hinaus, das sich am ehesten mit den ‚Tugenden‘ der Neuen Sachlichkeit deckt: generell ein Vermeiden des romantischen Idioms, von übertriebener Sentimentalität und den üblichen dissonanten Klischees („The way dissonance is used will make a score contemporary“); befürwortet werden der sparsame Einsatz von Musik, eine ‚Ökonomie der Mittel‘, filmmusikalische Kontrapunkte und ein größerer Akzent auf Form. Als gelungene Filmmusiken werden u. a. Aaron Coplands Musik zu Of Mice and Men (1939), Bernard Herrmanns Musik zu Citizen Kane (1941), Louis Gruenbergs Musik zu The Fight for Life (1940) oder Hanns Eislers – unter Laborbedingungen geschaffene – Musik zum Dokumentarfilm White Flood (1940) genannt, insgesamt auffallend viele Sozial- und Kriegsdramen bzw. -dokumentationen, letztere noch unter dem Eindruck des gerade zu Ende gehenden Weltkriegs. Erst einige Jahre später, um die Mitte der 1950er Jahre, wurde eine von Arnold Schönberg beeinflusste Schreibweise prominenter, wie Leonard Rosenmans atonale Musik zu Vincente Minnellis psychologischem Drama The Cobweb (1955), für das er diese Art von ‚gedankenlesender expressionistischer Musik‘ für angemessen hielt.

Die oben genannte Podiumsdiskussion endete übrigens mit der Bemerkung „[I]f one had more freedom, we would all of us write better and possibly more contemporary music.“ Tatsächlich zeigt sich, dass besonders diejenigen Filmmusiken als gelungen gelten, bei denen die Komponierenden – oder die Musik Kompilierenden – relativ große Autonomie genießen. Dies war und bleibt im täglichen Filmbusiness aber wohl weiterhin eher die Ausnahme.

  1. Siehe Julie Hubbert: „He Got Copland. Musical Style in the Postmodern Soundtrack”, in: Zwischen „U“ und „E“: Grenzüberschreitungen in der Musik nach 1950, hg. von Friedrich Geiger und Frank Hentschel, Wien: Peter Lang Verlag, 2011, S. 135–157.
  2. Modern Music 14/2, 1937, S. 46–47.
  3. Die betreffenden Quellen wurden im Rahmen meines Vortrags während des am 11. und 12. Juni 2022 veranstalteten Symposiums „Exile, Modernism, and Hollywood“ an der mdw vorgestellt. Eine Veröffentlichung zum Thema ist im Journal of Film Music geplant.
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