„Die découpage ist mein liebstes Spielfeld“

Die Filmakademie Wien hat eine neue Regie-Professorin. Jessica Hausner im Gespräch über ihren Zugang zum Medium Film und die Schwerpunkte, die sie in der Lehre setzen möchte. Im Frühjahr 2021 erscheint in einer Schriftenreihe der Filmakademie Wien ein Buch über das künstlerische Werk der Filmemacherin.

Für die kommenden zwei Jahre hat die Filmakademie Für Für die kommenden zwei Jahre hat die Filmakademie Wien Jessica Hausner als Regie-Professorin gewinnen können. Hausner studierte in den 1990er-Jahren selbst an der Filmakademie Regie und feierte als Teil der sogenannten nouvelle vague viennoise bereits als Studentin internationale Erfolge. Der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere ist ihr englischsprachiges Debüt Little Joe (2019). Der Film wurde in den internationalen Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes eingeladen und mit dem Prix d’interprétation féminine ausgezeichnet.

Inwieweit lässt sich Filmregie lehren? Was möchtest du deinen Student_innen mit auf den Weg geben?

Jessica Hausner © Lukas Allmaier, Filmakademie Wien

Jessica Hausner (JH): In einem künstlerischen Beruf kommt es immer auf die persönliche Sichtweise an. Als Lehrende kann ich fragend und beratend zur Seite stehen. Damit meine ich, dass es für die Studierenden wichtig ist, für sich selbst herauszufinden, was sie sagen wollen und wie sie es sagen können. Es handelt sich also um eine Entwicklung der künstlerischen Persönlichkeit. Ich kann dabei helfen, die eigenen Vorstellungen und Fähigkeiten der Studierenden ans Tageslicht zu befördern. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die eigene Arbeit selbst zu hinterfragen und einzuschätzen. Diese Form der konstruktiven Kritik zu üben, sehe ich als Teil meiner Aufgabe.

Auf welchen Aspekt des Filmemachens möchtest du dich in deiner Lehre besonders fokussieren?

JH: Ich finde es spannend, die Möglichkeiten der Filmsprache auszuloten und zu erweitern. Die sogenannte Auflösung, die découpage, ist mein liebstes Spielfeld. Ich erforsche gerne die suggestiven Wirkungen von Bildsprache und Schnitt. Daher lasse ich mich inspirieren von Filmen von Maya Deren oder Lucrecia Martel. Beide haben die Filmsprache erneuert und innovative Elemente eingesetzt, die sehr wirkungsvoll funktionieren.

Besonders wichtig ist mir der Stil. Die Suche nach dem geeigneten Tonfall, in dem sich eine Geschichte erzählen lässt, ist für mich essenziell. Der naturalistische Erzählstil ist nur einer von vielen, obwohl er im Kinospielfilm vorherrscht. Insofern finde ich es spannend, mit den Studierenden auch andere Stile zu erforschen, und die Vorstellung, dass Film Realität wiedergibt, zu hinterfragen. Das lässt den Gedanken zu, dass Film eine neue Realität erschafft. Und der Tonfall, der Stil, ist ausschlaggebend dafür, was ich als Zuseher_in davon mitnehme.

Inwiefern beeinflussen dich die Erfahrungen aus deiner Studienzeit an der Filmakademie Wien in deiner neuen Aufgabe als Regie-Professorin?

JH: Insofern, als Wolfgang Glück der Professor war, der mir eine hilfreiche Auskunft gegeben hat: Er sagte zu meinem Drehbuch Flora (1996): „Dir muss es gefallen. Du musst wissen, was du da erzählen willst und du musst es verstehen. Nicht ich.“ Das sagte er mit einer solchen schlichten Überzeugung, dass ich innehielt und auf einmal das Gefühl hatte, wieder im Besitz meiner Urteilskraft zu sein, die ich im Laufe des Studiums beinahe verloren hatte. Auf einmal wusste ich wieder, dass ich nun mal nur meine eigenen Vorstellungen habe und niemals die der anderen erfüllen werde können, selbst wenn ich es wollte. Das war erleichternd und erschreckend zugleich: Ich habe verstanden, dass ich voll und ganz verantwortlich bin für das, was ich tue.

Regie-Professorin zu sein bedeutet daher für mich, mich auf die Vorstellungswelten der Studierenden einzulassen und diese mit ihnen weiterzuentwickeln.

Was hat sich zwischen deiner Zeit als Studentin und heute an der Filmakademie Wien verändert?

JH: Es gibt heute viel mehr Austausch und Vergleich, mehr Möglichkeiten und mehr Einflüsse. Wir waren in den 90er-Jahren noch hinter den sieben Bergen. Eine Festivaleinreichung hat jede_r selbst gemacht, per Post, begleitet von einem Festnetztelefonat oder einem handgeschriebenen Brief an den jeweiligen Festivaldirektor – damals gab es in entscheidenden Positionen nur Männer. Jetzt also mehr Vernetzung und mehr Frauen, die Filme machen und damit internationale Anerkennung erreichen. Die gab es damals auch noch nicht. Mit dem erleichterten Zugang zu Informationen und Inhalten durch die Digitalisierung entsteht aber auch ein größerer Druck, sich vergleichen zu müssen. Früher waren wir vielleicht länger unbeobachtet.

Wie schätzt du die Situation für junge Filmschaffende in Österreich heute ein?

JH: Grundsätzlich denke ich, dass die Chancen gut sind. Es gibt Filmförderung und die Bemühung, ausgewogen zu entscheiden. Darüber hinaus gibt es Streaming-Plattformen, die Inhalte brauchen und gerne junge Talente dafür nutzen. Umso wichtiger ist es, in einer Filmakademie eigene Positionen zu entwickeln. Herauszufinden, wo man/frau hin will und wohin nicht.

© Sonderzahl

Kerstin Parth, Laura Ettel, Jana Libnik, Nicolas Pindeus (Hg.)
Aus der Werkstatt: Jessica Hausner Sonderzahl 2021
Band 2 einer Schriftenreihe der Filmakademie Wien, hg. von Kerstin Parth und Claudia Walkensteiner-Preschl

Band 2 der Reihe Aus der Werkstatt stellt mit Jessica Hausner eine der wichtigsten österreichischen Autorenfilmerinnen in den Fokus. Mit den Herausgeber_innen sprach Hausner ausführlich über ihr gesamtes filmisches Schaffen – beginnend bei ihren frühen Akademie-Kurzfilmen bis hin zu ihrem aktuellsten Film Little Joe (2019), der im Wettbewerb der Filmfestspiele in Cannes ausgezeichnet wurde. Die Reihe Aus der Werkstatt basiert auf einem Oral-History-Projekt der Medien- und Filmwissenschaft an der Filmakademie Wien.

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