Auftakt einer neuen mdw-Veranstaltungsreihe mit Birgit Sauer und Julia Roth

Noch vor „Ibiza“, also unter anderen österreichischen Regierungsbedingungen, entstand die Idee zu einer Veranstaltungsreihe über populistische Politiken und deren Kritik im akademischen und im künstlerischen Kontext. Unser Anliegen war es, das gesellschaftliche Engagement in verschiedenen Feldern der mdw zu bündeln. Entsprechend ist diese Reihe eine ebenso kollektive wie disziplinenübergreifende Initiative, an der sich immer mehr Kolleg_innen mit durchaus unterschiedlichen politischen Positionen und institutionellen Affiliationen beteiligen. Neben Gerda Müller, Vizerektorin für Organisationsentwicklung, Gender & Diversity, sind das Ralf von Appen (Popularmusik), Sarah Chaker (Musiksoziologie), Andrea Glauser (Kulturwissenschaft), Therese Kaufmann (Forschungsförderung), Dagny Schreiner (Personalentwicklung), Claudia Walkensteiner-Preschl (Filmakademie) sowie Mariama Diagne und Evelyn Annuß (Gender Studies). Inzwischen gibt es an der mdw also ein breites Bündnis, das seit 2020 ein vielfältiges Programm in den nächsten Semestern gestaltet – von wissenschaftlichen Vorträgen über praktische Workshops und Podiumsdiskussionen bis hin zu Formaten der künstlerischen Forschung. In gemeinsamen Web-Vorträgen kooperiert Populismus kritisieren nun zudem auch international mit dem Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der Freien Universität (FU) Berlin. Denn gerade Genderfragen sind zentrale Ausgangspunkte, um populistische Politiken zu verstehen.

Birgit Sauer © Otto Penz

Den Auftakt der neuen Reihe übernahm kurz vor dem Jahreswechsel entsprechend die bekannte Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer (Universität Wien) mit einem Vortrag über Rechtspopulismus und maskulinistische Identitätspolitiken. Gewidmet war ihr Beitrag der komparativen Frage nach rechtsextremen Regierungspolitiken und deren Gendering in Österreich und Deutschland. Sauer ist nicht nur eine mit zahlreichen Staats- und Wissenschaftspreisen dekorierte Wissenschaftlerin, sondern eine jener Akademiker_innen, für die die Geschlechterforschung eine dezidiert politische Angelegenheit geblieben ist.

Mit 150 Anmeldungen wurde die coronabedingt ins Netz verlegte Auftaktveranstaltung zu einem großen Erfolg. Eineinhalb Stunden lang wurde im Anschluss an den Vortrag weiterdiskutiert. Angesichts der US-Wahl stand diese Diskussion nicht zuletzt unter dem Eindruck der Abwählbarkeit rechtspopulistischer Regime. Die Präsentation ist auf der Website (mdw.ac.at/ikm/populismuskritisieren) einsehbar.

Unsere Veranstaltungsreihe war von Anfang an der Notwendigkeit geschuldet, sich mit dem Rechtsruck der letzten Jahre unter zeitgenössischen medialen Bedingungen auseinanderzusetzen und dabei unterschiedlichen Perspektiven und differierenden Formaten Raum zu geben. Seit 2019 haben sich die politischen Vorzeichen auch in Österreich gewandelt. Und doch ist diese Veranstaltungsreihe heute aktueller denn je. Spätestens seit dem Wiener Anschlag im November 2020 werden im Namen „des Volkes“ wieder zunehmend Affekte mobilisiert und Ressentiments geschürt. Unmittelbar vor Sauers Vortrag wurde das am geplanten Anti-Terror-Paket deutlich, mit dem unter anderem die Sicherungsverwahrung für Gesinnungsdelikte auf unbestimmte Zeit und die Aberkennung von Staatsbürgerschaft, mithin die Etablierung ausnahmezustandsähnlicher Maßnahmenpolitiken, vorgeschlagen wurde. Anstelle einer Auseinandersetzung mit dem Versagen des Verfassungsschutzes und der innerbehördlichen Kommunikation gerieten so vor allem junge muslimische migrantische Männer ins Visier. Deutlich wurde hierbei, so ein Fazit der Diskussion um Sauers Vortrag, dass sich auch die Gender Studies in Auseinandersetzung mit populistischen Politiken nicht auf die Kritik antifeministischer Meinungsmache beschränken können.

Daran knüpfte der Webvortrag Gender als Affektbrücke und Arena von Julia Roth, Amerikanistin mit Schwerpunkt Gender Studies an der Universität Bielefeld, zu Beginn dieses Jahres an. Organisiert vom Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung der FU Berlin, schalteten sich wiederum etwa 150 Interessierte aus zahlreichen Ländern zu, um den „rechtspopulistischen Komplex“ – so Roth – nicht nur als Phänomen der Retraditionalisierung, sondern als genuin modernes Phänomen unter neoliberalen Bedingungen zu bestimmen. Dabei stand nicht zuletzt die Aneignung von Opferpositionen durch die Rechte und auch die Schnittstelle zu nationalistischen Positionen im feministischen Diskurs zur Debatte.

Vortrag Julia Roth (links unten im Zoom-Fenster) © zur Verfügung gestellt

Fortgeführt wird die Reihe am 25. März 2021, mit einem mdw-Vortrag von Gabriele Dietze, die weitere Geschlechterakzente setzen wird. In den kommenden Semestern folgen der Workshop Argumentieren gegen rechts von Martin Reisigl, eine Podiumsdiskussion über den Kulturbetrieb, zu dem Katalin Erdödi, Peter Laudenbach, Rachel Mader und Monika Mokre eingeladen sind, sowie eine Schwerpunktveranstaltung zu Popmusik und Populismus mit Emilia Barna, Ágnes Patakfalvi-Czirják, André Doehring, Kai Ginkel, Mario Dunkel und Anna Schwenck. Perspektivisch sind zudem eine Lecture Performance mit Arne Vogelgesang, Absolvent des Max Reinhardt Seminars sowie eine Filmreihe im neuen, mdw-eigenen Kino im Future Art Lab geplant. Weitere Vorträge sind in Kooperation mit der FU Berlin angedacht.

Die Veranstaltungsreihe steht freilich auch an der mdw nicht allein, wenn es um das Engagement gegen Rechtspopulismus geht. Sie korrespondiert unter anderem mit einer Initiative des Rektorats, die zum diesjährigen Tag der Menschenrechte die Diskursanalytikerin Ruth Wodak, Autorin des Standardwerks Politik mit der Angst, eingeladen hat. Und auch in der Forschung bildet sich momentan ein entsprechender geistes- beziehungsweise kulturwissenschaftlicher Schwerpunkt zu Ästhetik, performativen Praktiken und Politik heraus. So konnte Silke Felber als Senior Scholar mit einem von der FWF-Akutförderung ermöglichten Forschungsprojekt zur österreichischen Corona-Diskurspolitik (Performing Gender in View of the Outbreak ) gewonnen werden. An der mdw wird es also zukünftig auf unterschiedlichen Ebenen um die Kritik des Populismus und entsprechender politischer Auftrittsformen gehen. Stay tuned!

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