Engineering the Minorities: Folk Music, Ethnic Traditions, and the Chinese Narrative in the 21st Century

Ein Buchprojekt am MMRC

 

Kurzbeschreibung:

„Engineering the Minorities: Folk Music, Ethnic Traditions, and the Chinese Narrative in the 21st Century“ ist der vorläufige Titel eines Buchprojekts, das auf ethnographischen Daten basiert, die in den Jahren 2006–2007, 2012–2013, 2015–2019 und 2021–2022 in der Volksrepublik China gesammelt wurden. Ziel dieses Buchprojekts ist es, ein umfassendes Bild der Traditionen und Veränderungen in der chinesischen Volksmusik im 21. Jahrhundert zu zeichnen, mit besonderem Augenmerk auf die musikalischen Praktiken und Erfahrungen jener Gemeinschaften, die offiziell als Minderheiten in China anerkannt und/oder international als solche dargestellt werden. Das Projekt erforscht den historischen Wandel und die spezifischen Konnotationen von „Minderheit“ im chinesischen Kontext. Es untersucht auch die mehrdeutigen Bezeichnungen „volkskulturell“ und „traditionell“, die im Prozess eines „Engineerings“ der chinesischen Minderheiten verwendet werden. „Engineering“ beschreibt hier den Prozess, durch den ein Stück, ein Stil und ein Repertoire gezielt in ein Element des musikalischen Erbes, des kollektiven Gedächtnisses und der kulturellen Identität einer Minderheit verwandelt wird. Das Projekt zeigt die institutionellen Mechanismen und soziopolitischen Faktoren auf, die den Veränderungen in der Konzeption, (Re-)Konstruktion und Pflege der Musikkulturen der Minderheiten zugrunde liegen. Es wird auch untersucht, wie Bedeutungen durch die Interaktionen zwischen Individuen und jenen soziokulturellen Strukturen, die sich zur Regulierung ihrer musikalischen Aktivitäten und zur Beeinflussung ihrer Entscheidungen entwickelt haben, erzeugt worden sind.

Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden die westlichen Konzepte „Minderheit“, „Volksmusik“, „Volk/Nation“ und „ethnische Gruppen“ von einigen Eliten der Han, der großen ethnischen Mehrheit, nach China importiert. Seitdem wurden diese Begriffe zu einem kohärenten Großnarrativ verarbeitet, das von den von der ethnischen Mehrheit geführten Behörden laufend modifiziert wurde, um die Vergangenheit und Gegenwart des Landes zu erklären und die anstehenden Maßnahmen der Regierung gegenüber einer bestimmten Gruppe im Land zu legitimieren. Auf der Grundlage von Archivrecherchen und historischen Analysen wird das Buch Engineering Minorities diese Konzepte und ihre spezifischen Konnotationen und Funktionen im chinesischen Kontext untersuchen, um zu verstehen, was mit ihnen beschrieben und suggeriert wurde. Eine solche Untersuchung wird auch die Ziele und Pläne des Staates China beleuchten, die hinter seiner Politik im 21. Jahrhundert in Bezug auf Minderheitenkulturen stehen, deren Konstruktion und die Rolle, die der Volksmusik in diesem Prozess des „Engineerings“ zukommt.

Der Prozess der Konstruktion der Kultur einer Minderheitengruppe findet nicht nur innerhalb der jeweiligen Gruppe statt, um ihren Mitgliedern bei der Beantwortung von Fragen wie „Wer sind wir“, „Woher kommen wir“, „Wohin gehen wir“ und „Was ist für uns wichtig“ zu helfen. Dieser Prozess findet auch in den musikalischen Aufführungen und Darstellungen einer Minderheitencommunity statt, die von Mitgliedern genauso wie von Nicht-Mitgliedern dieser Communities dargeboten werden können, aber in jedem Fall als ursprünglich und authentisch bezeichnet werden und laufend ein Millionenpublikum in China und auf der ganzen Welt erreichen, um gemeinsames Wissen, Verständnis und Erwartungen über die Gruppe herzustellen. Auf der Grundlage ethnografischer Daten, die in Chinas Grundschulsystem, in Archiven, Instituten für die Vermittlung von Kunst und kulturellem Erbe sowie in regionalen Büros, die für die Organisation kultureller Aktivitäten zuständig sind, gesammelt wurden, wird in diesem Buch untersucht, wie Chinas zentralisierter Kontrollmechanismus funktioniert, um Elemente des musikalischen Erbes einer Minderheit zu erzeugen oder zu eliminieren und deren Mitglieder dazu zu bringen, die durch solche Elemente vermittelten Normen, Werte und historischen Darstellungen zu akzeptieren und sich damit zu identifizieren. Ebenso wird untersucht, wie die normativen Vorstellungen spezifischer Minderheiten geschaffen und verbreitet worden sind. Dies geschieht auf Basis von Feldforschung mit Musiker*innen aus Minderheiten, die in staatlich geförderten Programmen Standardausbildungen erhalten, um alte Genres ihrer Community zu präsentieren, mit professionellen Komponist*innen, die keiner Minderheit angehören, aber landesweit bekannte „Volks“-Lieder dieser Minderheit produzieren, mit Volkssänger*innen aus Minderheiten, die von den meistgesehenen Fernsehsendungen eingeladen werden, um solche Lieder als authentisch und ursprünglich vorzutragen, mit staatlich geförderten Instrumentalist*innen, die um die Welt reisen, um die Kultur einer Minderheit einem globalen Publikum vorzustellen, aber nie mit deren Mitgliedern gesprochen haben, usw. Schließlich wird das Buch auch ethischen Fragen reflektieren, die beim Forschen und Schreiben über Minderheiten und politisch sensible Themen aufgetreten sind.

 

Projektdurchführung: Kai Tang

Projektbeginn: Oktober 2022

Finanzierung: Deborah Wong Research and Publication Award der Society for Ethnomusicology, Österreichischer Wissenschaftsfonds FWF Grant-DOI 10.55776/Z352