Vom 23. bis 25. Juni fand an der mdw die Konferenz Facing_Drag mit namhaften internationalen Gästen aus unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Feldern und aus den Performing Arts statt und knüpfte damit an die letztjährige Online-Tagung an. Organisiert vom Gender-Studies-Team am IKM (Evelyn Annuß, Julia Ostwald und Silke Felber) wurde „Drag“ als Schlüsselkonzept zur Theoretisierung mimetischer Praktiken wie Cross Dressing in den Gender Studies aufgegriffen und im Kontext aktueller Fragen in Bezug auf koloniale und rassistische Darstellungsformen reperspektiviert. Die Konferenz stand im Kontext der Bemühungen um eine mdw-spezifische geisteswissenschaftliche Profilierung der Gender Studies und der aktuellen Internationalisierungsstrategie. Entsprechend ist eine Folgekonferenz für das Wintersemester 2023/24 an der University of Cape Town geplant. Im kommenden Semester wird bereits eine Filmreihe mit Fatima Naqvi (Yale), Diedrich Diederichsen (Wien) und dem Berliner Filmemacher Stephan Geene im Kino des Future Art Lab der mdw stattfinden.

Bei der diesjährigen Konferenz waren dank des „Erasmus+“-Programms auch 22 Studierende der Amsterdamer Theaterwissenschaft zu Gast. Im Rahmen eines Essay-Wettbewerbs der Studierenden wurde Nora de Bruines unten stehender Artikel prämiert.

Performing Drag: Poetische und performative Praktiken im akademischen Diskurs

Ende Juni fand an der mdw im Herzen Wiens die Konferenz Facing_Drag statt. Die Teilnehmer_innen – ein internationales Publikum bestehend aus Wissenschaftler_innen, Künstler_innen sowie Studierenden – setzten sich mit einer großen Bandbreite an Themen und Konzepten um das Begriffsfeld „Drag“ auseinander. Jay Pather, Kurator und Professor für darstellende Kunst an der Universität Kapstadt, beschrieb Drag in seinem vorhergehenden Einführungsworkshop für Studierende als „subversiven und transgressiven Akt“ sowie als „Akt der Reimagination“. Als Konzept mag Drag je nach Kontext unterschiedlich konnotiert sein; es operiert jedoch jeweils als performative kulturelle Äußerung, durch die Machtstrukturen, Normen und Erwartungshaltungen herausgefordert werden können. Pather beschrieb seine ursprüngliche Motivation, Drag in Südafrika – dem Land, in dem er lebt und arbeitet – neu zu denken, vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, koloniale Hinterlassenschaften zu dekonstruieren. Durch Vorstellungen von europäischer „Modernität“, so Pather, wurden Körper und Kulturen entweder als „zivilisiert“ oder „primitiv“ situiert und so ein Raum des Disempowerment geschaffen. Durch diese Situierungen aber sind körperliche Praktiken genuin politisch. „Dragging“, das Unterlaufen entsprechender Zuschreibungen an die Körper, kann daher als widerständige Praxis angesehen werden, um aus gegebenen Machtstrukturen und Normen auszubrechen.

© IKM

Am nächsten Tag eröffnete Keynote Speaker Zimitri Erasmus (Johannesburg) die Konferenz mit einem Vortrag über „Kreolisierung“, wiederum verstanden als Gegenmodell zu einem Denken in vorgefertigten Kategorien. Mit Deleuzes und Guattaris Konzeptualisierung des Rhizomatischen korrespondierend, que(e)rt Kreolisierung Erasmus zufolge Race in der Post-Apartheid-Ära und stellt die vermeintliche Starrheit von Kategorisierungen infrage, wie auch Jay Pather in seinem Einführungsworkshop bereits hervorgehoben hatte. Laut Erasmus umschreibt Kreolisierung jene generativen Praktiken der Bezugnahme, durch die sich Leute selbst rehumanisieren, die unter der europäischen Kolonialherrschaft zu Waren und Objekten herabgesetzt wurden. Nadia Davis (Kapstadt) lieferte am darauffolgenden Tag ein anschauliches Beispiel für Kreolisierung in action, als Drag. Anhand des District Six Carnival in Kapstadt zeigte sie, wie Drag dort als Mimikry eingesetzt wurde und wird – als Überlebensstrategie der Ausgegrenzten und aus der Innenstadt Vertriebenen, um sich das Zentrum zurückzuerobern und dabei das Verschmelzen von Kulturen in einer immer noch von Kolonialismus und Apartheid gezeichneten Stadt zu erkunden. So erscheint der Karneval selbst als performative Kreolisierung. Wie Karin Harrasser (Linz) bereits zuvor in ihrem Vortrag über unser koloniales Erbe, jesuitische Spektakel und deren Nachleben dargelegt hatte, sind kulturelle Praktiken wie Rituale, Musik, Tanz oder eben der Karneval auch Instrumente, um Hegemonien wieder infrage zu stellen. Die Jesuiten versuchten, die von ihnen zu anderen Gemachten kulturell zu dominieren, indem sie u. a. Musik sowie andere Formen künstlerischer Erziehung dazu einsetzten, deren Körper zu refigurieren. Ausbildung und kulturelle Praktiken bildeten also die Grundlage für Aneignungen und Disziplinierung. Genau deshalb aber wurden performative Praktiken in Drag, die kulturelle Normen und Machtstrukturen wieder unterwanderten, so wichtig und effektiv. Denn wie von dem Literaturwissenschaftler Michail Bachtin diskutiert, können Karneval oder andere Formen von kulturellem Drag als Mittel angesehen werden, um gegebene Machtstrukturen temporär neu zu ordnen, vorübergehend eine andere Identität anzunehmen und so den Ausblick auf Befreiung spürbar zu machen. Genau darin besteht das Potenzial von „Dragging“ als subversivem und transgressivem Akt.

Am meisten beeindruckten mich die Vorträge der drei Künstler_innen und Wissenschaftler_innen Nora Chipaumire (New York/Harare), meLê Yamomo (Amsterdam) und Raz Weiner (London). Denn neben den wissenschaftlichen Beiträgen zu kulturellem „Dragging“ ließen sie ihre theoretischen Beiträge performativ werden und brachten so gewissermaßen autopoietische Erkundungen ihrer eigenen Positionalitäten und Drag-Praktiken hervor. meLê Yamomos filmische Untersuchung der Relation zwischen Körperbild und Sound lieferte ein gelungenes Beispiel dafür, wie künstlerische Arbeiten zur Vermittlung von Forschungseinsichten eingesetzt werden können. Der Film führte vor Augen, wie wir erwarten, dass spezifische Körper auf eine bestimmte Art sprechen und dadurch zu deren Ermächtigung oder eben zu ihrer Depotenzierung beitragen. Laut Yamomo ist diese soziale Dramaturgie über Jahrhunderte gewachsen; sein Film warf daher folgende Fragen auf: Wer darf für wen sprechen? Wie präsentiert der Körper das Gesagte? Zugleich kann die von Yamomo für seine theoretische Auseinandersetzung gewählte künstlerische Form auch als Kommentar zum akademischen Diskurs selbst interpretiert werden. Er stellt die Frage, inwiefern auch wir im Rahmen einer Tagung anders, in academic drag erscheinen.

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Raz Weiners Vortrag zeigte im Rekurs auf seine eigene Drag-Persona, wie Performances die Diskussion um Positionalität und Identität hervorrufen. Dadurch hob auch er hervor, wie performative Praktiken dazu beitragen, bestimmte Normen neu zu denken und Identitätskonzepte zu hinterfragen. Die Performance-Künstlerin Nora Chipaumire wiederum erläuterte im Rahmen ihres Artist Talks, dass es in ihrer künstlerischen Arbeit weder darum ginge, zu erklären oder zu übersetzen, was ein Körper auf der Bühne macht, noch darum, Brücken zwischen unterschiedlichen Kulturen zu schlagen. Es ginge ihr mithin nicht um Repräsentation, sondern um Präsentationen des Sich-aufs-Spiel-Setzens, anstatt überkommene Werte fortzuschreiben. Denn für sie ziele „Dragging“ gerade nicht darauf, eine vermittelnde Position im kulturellen Feld einzunehmen. So wurde die Konferenz zu einem exzellenten Ausgangspunkt, um über wissenschaftliche Praktiken, künstlerische Untersuchungen von theoretischen Diskursen sowie die politische Bedeutung nachzudenken, in solchen Rahmen Position zu beziehen.

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