Maria Bunea nahm an dem Forschungsprojekt „Reverse Ethnomusicology: Migrant Musicians as Researchers“1 teil. Hier gibt sie Einblicke in ihre Forschung und ihre Erfahrungen als Musikerin-Forscherin.
Ich trat dem Projekt „Reverse Ethnomusicology: Migrant Musicians as Researchers“ [Ethnomusikologie umgekehrt: Migrant*innen forschen] im Jahr 2023 bei – ein Jahr nachdem ich mein Studium im Konzertfach Gitarre an der mdw abgeschlossen hatte und mich am Beginn meines zweiten Studiums der Alten Musik (Laute) an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien befand. Als Musikerin-Forscherin wurden mir die Freiheit und der Raum geboten, meine eigenen Forschungsfragen zu einem Thema meiner Wahl zu entwickeln und die Forschung auf kreative Art und Weise umzusetzen. Meiner Ansicht nach kann man „Reverse Ethnomusicology“ als ein gespiegeltes Setting betrachten, in dem geschulte Forscher_innen beobachten, wie und welche Fragen Musikerinnen und Musiker zu verschiedenen Themen entwickeln und wie sie an deren Beantwortung herangehen. Im Laufe meines eigenen Projektes wurde mir klar, dass auch ich mich dafür interessiere, wie Musiker_innen Forschung betreiben.
Ich beschloss, meine Forschung auf den Bereich zu konzentrieren, in dem ich selbst auftrete, insbesondere auf die Herausforderungen, Strategien und Entscheidungsprozesse von Musiker_innen und Komponist_innen, die niedergeschriebene Musik aus der Vergangenheit mit zeitgenössischen Perspektiven und Aufführungspraktiken verbinden. Ich wollte erforschen, wie professionelle Musiker_innen mit der Tatsache umgehen, dass die meiste Musik, die sie aufführen, „alt“ ist (ein Begriff, den ich mittlerweile als inakkurat empfinde), und welcher Methoden sie sich bedienen, um ihrem Publikum ein besseres Verständnis dieser Musik zu ermöglichen. In den letzten eineinhalb Jahren führte ich Interviews mit Musiker_innen, die im Bereich der klassischen Musik in Wien tätig sind, und ich beobachtete Konzerte, die mehr oder weniger direkt mit dem Thema meiner Forschung zu tun hatten. Bei regelmäßigen Treffen mit der Projektgruppe diskutierte und reflektierte ich meinen Forschungsprozess. Zu den unzähligen Themen, die im Laufe des Projekts auftauchten – im Grunde die Freuden und Sorgen des modernen Musiker_innenlebens – zählen unter anderem auch die Wahl des Repertoires, die Art und Weise, wie man mit dem Publikum in Kontakt tritt, die Beschränkung kreativer Möglichkeiten in einem professionellen, institutionellen Kontext, das Publikum als „Konsument“ mit bestimmten Ansprüchen, die Verständlichkeit historischer Musikstile und der zeitgenössischen Musiksprache, den persönlichen Geschmack und Ansätze zur Aufführungspraxis.
Neben den wertvollen Schlussfolgerungen, die meine eigene Herangehensweise an die Musik bereichert haben, war einer der lohnendsten Teile des Projekts die Bereitschaft und Großzügigkeit meiner Interviewpartner_innen – allesamt Freund_innen und Musiker_innen, die ich bewundere – mit mir ihre intimsten Erfahrungen in und mit der Musik zu teilen. Es hat mich überrascht, dass manche Dinge anscheinend nur im Rahmen eines Interviews gesagt werden können, als Antwort auf eine präzise formulierte Frage. In der Routine unseres Alltags fallen die wichtigen Dinge des Lebens (oder der Musik) so leicht unter den Tisch, dass wir oftmals gar nicht darüber sprechen. Sich wirklich Zeit zu nehmen, über diese Dinge nachzudenken und zu diskutieren, war für mich unglaublich anregend und bereichernd.
Im Laufe meines Forschungsprojektes hatte ich den Eindruck, dass man mir eine Lupe gegeben hatte, um die Dinge genauer zu betrachten. Diese Linse war und ist bei mir nun so gut wie immer dabei. Scheinbar triviale Dinge, wie die Gestaltung eines Konzertflyers, eine Bemerkung in einer Probe oder ein dramatisches Vibrato in einem Konzert, nehme ich jetzt ganz anders wahr. Das Beobachten größerer und kleinerer Dinge wirft neue Fragen auf und bietet neuen Raum zum Erforschen. Im Laufe des Projekts erwiesen sich die Ansätze der einzelnen Musiker_innen zwar als ein guter Ausgangspunkt, sie warfen jedoch wiederum neue Fragen auf: Wie weit können Musiker_innen gehen, um dem Publikum weniger bekanntes Repertoire näher zu bringen? Wie viel Vorwissen ist nötig, um Musik zu genießen? Wie viel Freiheit haben Musiker_innen bei der Interpretation der Musik anderer Künstler_innen wirklich? Und noch viele weitere Fragen …
Zurückblickend war bereits mein Studium der klassischen Musik an der mdw ein großes Forschungsprojekt, denn das „Erforschen“ des Instruments, des Repertoires und meiner eigenen Musikalität war ein wesentlicher Teil meines Studiums. Am Ende des Projekts kann ich andere Musiker_innen und Studierendene nur dazu ermutigen, Forschung als ein Werkzeug zu betrachten, das nicht nur den eigenen Wissenshorizont erweitert, sondern auch eine tiefere Verbindung zur Musik schafft und uns als Musiker_innen bereichert.