Symposium Transkulturalität_mdw 2021

Das internationale Symposium Transkulturalität_mdw fand 2021 am 7. und 8. Mai online unter dem Titel Contesting Border Regimes – Sounds and Images statt. Nach dem bereits siebenjährigen Bestehen des Projektes, dem interdisziplinäre wissenschaftliche und künstlerische Beiträge rund um das Verständnis von Kultur, kulturellen Grenzen und deren theoretischen und praktischen Schnittpunkten in Bildung und Politik zu verdanken sind, lag der Fokus dieses Jahres auf aktuellen Fluchtbewegungen und den soziopolitischen und kulturellen Realitäten und Ungleichheiten, die sich daraus ergeben. Dank der digitalen Meeting-Software, die aufgrund der Covid-19-Beschränkungen immer mehr in den Bildungsalltag integriert wird und dieser Art von Event zu einer größeren internationalen Plattform verhilft, konnten sich mehr als 100 Teilnehmer_innen aus der ganzen Welt – sowohl Mitwirkende als auch Zuhörende – online treffen und austauschen. Auf dem Programm standen Vorträge, Musik, Lyrik und Performances, eine Filmvorführung, Podiumsdiskussionen und wissenschaftliche Präsentationen. Mit dem Vorsatz, verschiedene Formen von künstlerischen Ausdrucksweisen, Studienfeldern und Aktivismus miteinander in Dialog zu bringen, wurden Vertreter_innen der akademischen Welt sowie vieler anderer Felder eingeladen.

Von links nach rechts: Faris Cuchi Gezahegn, Ganaël Dumreicher & Miriam Adefris © mdw

Das Event wurde von Gerda Müller, Vizerektorin für Organisationsentwicklung, Gender & Diversity, eröffnet. Sie betonte, dass die mdw neben dem Erreichen akademischer Expertise einen besonderen Schwerpunkt darauf setze, das Bewusstsein der Studierenden für kritisches Denken zu schärfen, vor allem im Hinblick auf die Schaffung einer faireren Universität mit mehr Diversität. Das Symposium Transkulturalität sei ein wesentlicher Schritt hin zur Erfüllung dieses beständigen Zieles. Ursula Hemetek, Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie sowie des Research Centers for Music and Minorities (MMRC), präsentierte das Thema Transkulturalität_mdw 2021 und das Konzept der Grenzüberschreitung in Bezug auf kulturelle Diversität und Ungleichheit. Sie hob hier auch hervor, dass das Symposium innerhalb der mdw sowie über sie hinaus einen Raum für Reflexion und Gestaltung eröffne.

Daraufhin erläuterte Tonica Hunter, die Kuratorin des künstlerisch-musikalischen Beitrags Metamorphosis//Metahuman, die Idee der bewussten Verschränkung von künstlerisch-musikalischen Performances und Vorträgen, Präsentationen und Diskussionen, die es ermöglicht, Musik in den Diskurs einzubinden. Metamorphosis//Metahuman verhandelt die vielfältigen Identitäten des Hauptakteurs Faris Cuchi Gezahegn mit der Intention, körperliches Erleben und Selbstbilder, die White Supremacy und Unterdrückung thematisieren und infrage stellen, durch Musik, Klang, Gesang, Poesie, Bilder und Kollagen zu dekonstruieren und rekonstruieren. Weitere Mitwirkende dieses künstlerisch-musikalischen Projekts waren Miriam Adefris (Harfe), Dora Deliyska (Klavier), Ganaël Dumreicher (Elektronik) und Ciara Moser (E-Bass).

Aus den Forschungsbereichen Visual and Film Studies, Cultural Studies und Migrations- und Grenzstudien kommend, diskutierte die erste Vortragende Brigitta Kuster den Trend unter jungen Migrant_innen aus dem Maghreb, die sich selbst als „harraga“ bezeichnen, ihre Mittelmeerüberquerung nach Europa in provisorischen Booten zu filmen und diese Videos dann auf YouTube hochzuladen. Sie sprach von ihrer Theorie, dass diese audiovisuellen Beweisstücke transnationaler Migration, die der Dinglichkeit der tatsächlichen Bedingungen während der Seereise entspringen, durch post-kinematische, narrative Strukturen umgehende und Montagetechniken anwendende Ansätze (Affectics) neue Möglichkeiten und emotionale Verbindungen zwischen Politik und Ästhetik erzeugen.

Der erste Tag endete mit der Online-Vorführung des Films Purple Sea (67 Minuten, 2020; deutscher Titel: Das Purpurmeer) der Regisseur_innen Amel Alzakout und Khaled Abdulwahed. Der Film besteht aus Bildern und Geräuschen, zufällig von Amel Alzakout am 28. Oktober 2015 aufgenommen, als ihr Boot beim Versuch, mit anderen Geflüchteten zur griechischen Insel Lesbos zu gelangen, sank. Mit der Absicht, einen sicheren Raum für das Schildern dieses tragischen Vorfalls zu schaffen, der 42 Menschen das Leben kostete, wurden die Aufnahmen später zu einem Film verdichtet; ergänzt um Alzakouts Stimme aus dem Off. In einem interaktiven Dialog mit den rohen Bildern erzählt sie die Geschichte aus der Intimität ihrer eigenen Lebenserfahrung, Erinnerung und Fantasie. Nach dem Film folgte eine Podiumsdiskussion mit den beiden Regisseur_innen und dem Cutter Philip Scheffner unter der Moderation von Evelyn Annuß.

Am zweiten Tag des Symposiums untersuchte der Politikwissenschaftler Ilker Ataç das Konzept der „Urban Citizenship“, bei dem der Fokus auf einer im Entstehen begriffenen lokalen und inklusiven Politik im Feld der Migration in verschiedenen europäischen Städten liegt. Diese Politik erzeugt durch das Engagement von Institutionen wie Gemeinden sowie der Zivilgesellschaft und zivilgesellschaftlicher Grassroot-Initiativen neue politische Visionen, die im Kontrast zur restriktiven Migrations- und Grenzstrategie auf paneuropäischer und nationalstaatlicher Ebene stehen.

Von links nach rechts: Ioannis Christidis, Ursula Hemetek & Anja Brunner © mdw

Das Symposium endete mit der Präsentation von drei wissenschaftlichen Arbeiten und einer hybriden Podiumsdiskussion mit den Ethnomusikolog_innen Anja Brunner, Ioannis Christidis und Evrim Hikmet Öğüt. Diese Arbeiten behandeln die musikalischen Praktiken von syrischen Migrant_innen und Geflüchteten in Verbindung mit ideologischen, politischen, räumlichen und musikalischen Grenzen. Brunner beschäftigte sich mit Musikerinnen aus Syrien, die in Österreich und Deutschland leben, beleuchtete ihre Erfahrungen im Exil sowie die Musik und Lebensstrategien, die sie entwickelten, um mit ihren neuen sozialen Realitäten konform zu gehen. Das Überschreiten von Grenzen im Leben dieser Musikerinnen betrifft sowohl physische als auch symbolische Grenzziehungen, was weitere musikalische Verhandlungen mit imaginierten oder realen kulturellen und musikalischen Unterschieden impliziert. Christidis untersuchte, wie gewisse politische Mainstream-Diskurse rund um die Idee einer „gemeinsamen europäischen Identität“ (Europeanity), die auf dem Ausschluss von nicht-europäischen „Anderen“ auf kultureller, politischer und physischer Ebene basiert, von syrischen Schutzsuchenden und Migrant_innen in musikalischen Strategien hinterfragt, verhandelt oder adaptiert wurden, und zwar in zwei unterschiedlichen, aber dennoch ähnlichen Kontexten: in Thessaloniki (Griechenland), 2015 während der Flucht und in Wien (Österreich), in den Jahren 2019 und 2020, einem der Hauptziele von syrischen Geflüchteten. Öğüt sprach über die Straßenmusik von syrischen Musiker_innen auf dem Taksim Square und der Istiklal Street in Istanbul, Türkei, im Rahmen von „social non-movements“. Mit ineffektiver Migrationspolitik in der Türkei und dem begrenzten Zugang zu Veranstaltungsräumen konfrontiert, behaupten diese Musiker_innen ihre Existenz in der Stadt, indem sie ihre eigenen musikalischen, räumlichen und sozialen Strategien entwickeln. Den Präsentationen folgte eine lebendige Diskussion, die von Ursula Hemetek geleitet wurde.

Das Symposium wurde organisiert von einem Team bestehend aus Evelyn Annuß, Julia Fent, Ursula Hemetek, Therese Kaufmann, Gerda Müller und Hande Sağlam. Das von Pit Kaufmann koordinierte Team des Audio-Video-Zentrums der mdw kümmerte sich um die digitale Unterstützung und die audiovisuelle Aufnahme. Das Feedback der internationalen Teilnehmer_innen, vor allem das Format betreffend – die Integration von musikalischen Kompositionen, Performances und akademischen Diskussionen und das hohe Niveau von technischen und ästhetischen Standards –, war sehr positiv.

Teile des Symposiums können in der mdwMediathek nachgesehen werden unter: mediathek.mdw.ac.at/contestingborderregimes

Weitere Informationen über das Programm des Symposiums unter: mdw.ac.at/ive/symposium-2021

Weitere Informationen über den künstlerischen Beitrag Metamorphosis//Metahuman und den Film Purple Sea unter: tonicahunter.com/work

 

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