One Nation Under a Groove. „Nation“ als Kategorie populärer Musik (= Beiträge zur Popularmusikforschung, Bd. 46). Hg. Ralf von Appen und Thorsten Hindrichs. 2020. Bielefeld: Transcript Verlag.

Das Thema des Sammelbandes, der die Vorträge der 29. Jahrestagung der Gesellschaft für Popularmusikforschung enthält, trifft nicht nur aufgrund der zunehmend national geprägten Corona-Strategien einen gesellschaftspolitischen Nerv. Die Herausgeber, der Mainzer Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs und der an der mdw tätige Ralf von Appen, vertreten einen dezidiert politischen Anspruch und begründen ihre Auseinandersetzung mit der Kategorie „Nation“ damit, dass „Nationalismus und Rechtspopulismus in vielen Ländern der Welt wieder mehrheitsfähig geworden sind“ (8).

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Die einzelnen Artikel des Bandes beschäftigen sich jedoch primär mit Musik, deren Name bzw. Genre sich auf Nation als Klischee bezieht. Neben einigen interessanten Details erfahren wir, dass die Berufung auf eine Nation (bzw. Region oder eine mythisierte Abstammung) hauptsächlich der Förderung des Verkaufs von Musikprodukten dient. Beiträge über Italo Disco, das Irland-Bild im deutschen Folk-Rock-Song, technologische Präzisionsarbeit aus dem Schwarzwald, französische Chansons und ‚Teutonic Metal‘ geben ausführlich darüber Auskunft. Eine Abhandlung über Hip-Hop im Spannungsfeld österreichischer Parteipolitik und regionaler Zugehörigkeiten sowie ein Text, der sich mit dem Phänomen strategischer Ignoranz von Wissen in populärmusikalischen Kontexten befasst, runden den Sammelband ab.

Als Herzstück möchte ich Magdalena Fürnkranz’ Beitrag über die gegenwärtige Bedeutung von Austropop hervorheben. Es gelingt der Autorin als Einziger, durch ihre Analyse der historischen Wurzeln des Austropop und seiner Neuauflage als „Great Austrian Songbook“ tieferliegende Zusammenhänge zwischen den Kategorien „Nation“, „populäre Musik“ und „Gender“ aufzuzeigen. Sie verlässt die Klischee-Ebene und deutet an, wie Mechanismen von Nationalismus im Kontext von durch Kultur essenzialisierte Identitäten zu untersuchen wären.

Die zwei vorangestellten Theorie-Kapitel, die sich den Konzepten „Nation“ und „Nationalismus“ einerseits typologisch, andererseits historisch annähern, liefern gute Ansätze. Es stellt sich jedoch die Frage, warum heutiger Nationalismus – der neben einigen Diskontinuitäten sehr viele Kontinuitäten mit dem „klassischen“ Nationalismus aufweist (vgl. Gingrich 2006) – einerseits als Post-Nationalismus konzeptualisiert wird bzw. andererseits in Richtung eines Backlash argumentiert wird.

Insgesamt trägt die Publikation in jedem Fall dazu bei, die politischen Dimensionen populärer Musik besser zu beleuchten. Einer dem engagierten Anspruch der Herausgeber gerecht werdenden Analyse des Zusammenhanges von populärer Musik und Nationalismen würde jedoch ein Einbeziehen der Konzepte „Ethnizität“, „Identität“ und „Kultur“ als Elemente gleicher Rangordnung – im besten Falle transdisziplinär – guttun. Dieses Buch stellt dafür schon einmal gutes Ausgangsmaterial bereit.

Gingrich, Andre (2006). Neo-nationalism and the reconfiguration of Europe. In Social Anthropology 14, 2, 195–217.

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