Oder: Wie denken wir AN BEETHOVEN, wenn wir das BEETHOVEN-ANDENKEN im Jubiläumsjahr gestalten?

Dem Beethoven-Jubiläumsjahr kann man sich in Wien kaum entziehen. Von großen Plakatflächen blickt Beethoven in unzähligen Varianten seines berühmten Porträts gefertigt von Joseph Karl Stieler auf uns herab. Neben der mdw widmen auch viele andere Wiener Kulturinstitutionen – von den Konzert- und Opernhäusern über weitere Universitäten bis hin zu Basis.Kultur.Wien – dem Komponisten über das ganze Jahr verteilt Programmschwerpunkte. Dabei werden Beethoven-Bilder und -Klischees wie das vom herausragenden Genie oder vom mürrischen Eigenbrötler und Sonderling immer wieder bedient und – oft unhinterfragt – reproduziert. Diese Inszenierungen waren im Vorfeld des Jubiläumsjahrs absehbar und Grund genug, forschend darüber nachzudenken, wie solche Narrative überhaupt entstehen, was sie uns über uns und unser Gedenken sagen und mit welchen Erinnerungsbildern wir das Gedenken in diesem Jahr gestalten (wollen).

Reflexion über das Erinnern
Das Theater an der Wien um 1805. Ansicht des Papageno-Tors und der Fassade von der Jägergasse (heute: Millöckergasse) © ÖNB/Bildarchiv

Dies hat sich das Forschungsprojekt Erinnerungsort Beethoven: Theater an der Wien, das seit 2018 am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der mdw angesiedelt ist, zur Aufgabe gemacht. Mit einem Fokus auf der Phase, in der Beethoven am Theater an der Wien lebte und arbeitete, dort mehrere Akademien aufführte und den Fidelio komponierte, untersuchen wir, wie und wodurch die davon ausgehende Erinnerungskultur geprägt wurde.

Sehr konkret ging es zunächst um das unmittelbare Umfeld Beethovens während seines Wirkens am Theater an der Wien. Hier wurde ein Komponist erkennbar, der als einer von vielen Akteurinnen und Akteuren in einem lebendigen Theaternetzwerk lebte und arbeitete. Zeitgenoss_innen beschrieben ihn als geselligen Kollegen, der als Bewohner des Hauses in die Arbeitsprozesse am Theater eingebunden war. Seine Oper Fidelio wurde im Rahmen der alltäglichen Produktionsprozesse überarbeitet und umbesetzt, neu geprobt und wiederaufgeführt – und stach keineswegs als außergewöhnliches Werk eines Ausnahme-Genies aus dem Spielplan heraus. Warum aber gingen diese Erinnerungen an den geselligen Komponisten nicht in das Beethoven-Gedächtnis ein? Warum ist das Theater an der Wien in der städtischen Erinnerungskultur stärker an Mozart, Die Zauberflöte und Schikaneder geknüpft als an Beethoven und dessen Fidelio?

Diese Überlegungen führten uns zu der Frage, wie im Laufe der über 200-jährigen Erinnerungsgeschichte an Beethovens Zeit am Theater an der Wien erinnert wurde. Denn lange Zeit passte das Theater an der Wien nicht ins Bild der Wiener Beethoven-Erinnerungsorte: Offenbar stellte man sich Beethoven lieber als einsam durch die grünen Hügel der Vorstädte wandernden und von der Natur inspirierten Einzelgänger vor, und nicht als einen von vielen am schnelllebigen Theateralltag beteiligten Akteuren. Warum galt die Uraufführung des Fidelio 1805 lange als Misserfolg im Gegensatz zur Aufführung der dritten Fassung am Kärntnertortheater 1814? Welche Rolle spielt dabei die französische Besatzung Wiens zur Zeit der Uraufführung? Und wie ändert sich das Bild, wenn man den Fidelio nicht isoliert als einzige Oper Beethovens, sondern im Kontext des zeitgleich gespielten Bühnenrepertoires am Theater an der Wien betrachtet?

Ausstellung, Buchpublikation, Wandelkonzerte

Mit diesen Themen und Fragestellungen beschäftigte sich eine Gruppe von PhD-Studierenden der mdw in einem Forschungsseminar am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung im Sommersemester 2019. Gemeinsam wurde hier das Konzept für eine Ausstellung unter dem Titel BEETHOVEN|AN der Wien|DENKEN erarbeitet, die im Frühjahr 2020 gezeigt wird (Ausstellungseröffnung war am 15.2.2020 im Theater an der Wien). Ein Schwerpunkt der Ausstellung ist beispielsweise das Thema Wohnen im Theater: Beethoven hatte im Theater an der Wien eine Dienstwohnung, um die sich zahlreiche Geschichten und Imaginationen ranken. Wie die Wohnung jedoch konkret aussah, wie groß sie war, was er darin tat – komponieren, Klavier spielen, Korrespondenz führen, Besuch empfangen … – lässt sich nicht abschließend beantworten. Wie sich aber im Laufe der Zeit verschiedene Personen diese Wohnung vorstellten, welche Überlegungen oder Behauptungen sie damit verknüpften, spiegelt in besonderem Maße die Erinnerung ihrer jeweiligen Zeit, die Themen und Fragen, die auf Beethoven projiziert wurden, wider. So präsentiert die Ausstellung verschiedene Inszenierungen der Beethoven-Wohnung, wie auch ein von den Besucher_innen selbst bespielbares „Puppenhaus“, in dem darüber reflektiert werden kann, welche Beethoven-Bilder mit verschiedenen Vorstellungen von Beethovens Wohnraum verknüpft sind: Wohnte das über den weltlichen Dingen stehende Genie in einem „kreativen Chaos“? Wie sieht die Wohnung eines Heroen aus, dessen Denkmäler wie Pokale die Regalreihen füllen? Und wie die eines rebellischen „Popstars“?

Theaterzettel vom Theater an der Wien zur Uraufführung von Beethovens Oper Fidelio am 20. November 1805 © ÖNB/Theatermuseum

Das Begleitbuch zur Ausstellung mit dem daran angelehnten Titel BEETHOVEN.AN.DENKEN, in dem die Themen der Ausstellung in einzelnen Beiträgen u. a. der Studierenden kommentiert und vertieft werden, erschien im Februar 2020 im Böhlau-Verlag. Daneben entstand in Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien ein Konzept für Wandelkonzerte im Theatergebäude: Looking 4 Ludwig thematisiert Beethovens dortiges Wirken und lässt seine Musik an verschiedenen, dem Publikum sonst unzugänglichen Orten, durch Studierende der mdw erklingen.

mdw.ac.at/imi/erinnerungsort-beethoven

mdw.ac.at/Beethoven2020

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