Künstlerischer Schaffensprozesse

 

Die Kunstsoziologie (Musiksoziologie ist hier mitimpliziert) konzentriert sich seit den letzten 50 Jahren primär auf die Untersuchung verschiedener Aspekte, die Einfluss auf die Kunstproduktion und Kunstrezeption haben, etwa Institutionen, Machtverhältnisse, Inklusions- und Exklusionsmechanismen, Netzwerke, Kollaborationen und Antagonismen, Angebots- und Distributionsstrukturen, durch Imagebildung und Imagetransfer induzierte Nachfrage konzentriert. Kurt Blaukopf (1982: 16) spricht schon früh einen blinden Fleck des Faches an: die Analyse genuiner künstlerischer Schaffensprozesse.

Tasos Zembylas untersucht kreative Schaffensprozesse mit einem arbeitssoziologischen und wissenstheoretischen Forschungsinteresse. Der empirische Fokus liegt auf unterschiedlichen Kunstformen, etwa Literatur (Zembylas und Dürr 2009; 144f. Zembylas 2014b), zeitgenössische Kunstmusik (Zembylas und Niederauer 2016; 2018) und im geringeren Umfang mit Bezug auf die bildenden Kunst (Zembylas 2005). Untersucht werden vor allem die soziale Rahmung kreativer Schaffensprozesse, die Organisation der Arbeitsabläufe, Arbeitsroutinen, die Rolle der verwendeten materiellen Arbeitsmittel, Strategien der Ideengenerierung, soziale Interaktionen mit anderen Peers, das emotionelle Selbstmanagement der Künstler*innen, Feedbackschleifen, Korrekturarbeiten u.a. Zembylas’ Forschungsansatz ist nicht rekonstruktiv, sondern Schaffensprozesse werden in actu dokumentiert und analysiert. Dieser Ansatz impliziert verschiedene methodologische Herausforderungen (Zembylas und Dürr 2009, S. 17-25, 91f.; 144f. Zembylas 2014b, S. 115-121; Zembylas und Niederauer 2016, S. 11-19), und erfordert die aktive Mitwirkung der Künstler*innen beim Datenerhebungsprozess.

Abgesehen von der Durchführung konkreter empirischer Studien sind daraus auch vergleichende Analysen (Zembylas 2012b, 2014a; 2016; 2020) sowie theoretisch-reflexive Publikationen (Zembylas 2012a; 2022a; 2022b) entstanden.

 

Literatur

Blaukopf, Kurt (1982): Musik im Wandel der Gesellschaft. Grundzüge der Musiksoziologie, München: Piper.

Zembylas, Tasos (2005): „Visuelle Kompetenz. Zur Formation von Könnerschaft und Kennerschaft im künstlerischen Feld“, in: Károly Kókai (Hg.): Visual Culture. Budapest: Museum Ludwig Budapest, S. 137-157.

Zembylas, Tasos (2012a): „Epistemologie der künstlerischen Praxis“, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Heft. 56/2, S. 203-215.

Zembylas, Tasos (2012b): „Auf den Spuren von Tacit Knowing im künstlerischen Schaffensprozess“, im: Sociologia Internationalis, Vol.12, No.1-2, S. 87-113.

Zembylas, Tasos (2014a): “The Concept of Practice and the Sociology of the Arts”, in ders. (Hg.): Artistic Practices. Social Interactions and Cultural Dynamics, London: Routledge, S. 7-16.

Zembylas, Tasos (2014b): “Forms of Knowing in the Literary Writing Process”, in ders. (Hg.): Artistic Practices. Social Interactions and Cultural Dynamics, London: Routledge, S. 112-131

Zembylas, Tasos (2016): „Schreiben-Können. Überlegungen zur Schreibkompetenz in den Geistes- und Kulturwissenschaften“, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 41(1), S. 203-214.

Zembylas, Tasos (2020): “Plurale Wissensformen in diversen Kunstwelten“, in: Rico Hermkes et al. (Hg.): Implizites Wissen. Berufs- und wirtschaftspädagogische Annäherungen, Bielefeld, wbv, S. 65-85.

Zembylas, Tasos (2022a): “Aisthesis”, in Judith Siegmund (Hg.) Handbuch Kunstphilosophie, Bielefeld: Transcript, im Erscheinen

Zembylas, Tasos (2022b): “Handlungswissen/Produktionswissen“ in Judith Siegmund (Hg.) Handbuch Kunstphilosophie, Bielefeld: Transcript, im Erscheinen

Zembylas, Tasos/Claudia Dürr (2009): Wissen, Können und literarisches Schreiben. Eine Epistemologie der künstlerischen Praxis, Wien: Passagen Verlag.

Zembylas, Tasos/Martin Niederauer (2016): Praktiken des Komponierens. Soziologische, wissenstheoretische und musikwissenschaftliche Perspektiven, Wiesbaden: Springer-VS.

Zembylas, Tasos/Martin Niederauer (2018): Composing Processes and Artistic Agency: Tacit Knowledge in Composing, London: Routledge.