Die Dirigentin Sian Edwards kommt als Professorin an die mdw

Vielen Wiener Musikinteressierten ist der Name Sian Edwards schon lange Jahre wohlbekannt: durch ihre Zusammenarbeit mit dem Klangforum Wien, dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien sowie ihr mehrfaches Engagement im Theater an der Wien, wo sie Jake Heggies Dead Man Walking, André Previns A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht), Benjamin Brittens The Rape of Lucretia und Giuseppe Verdis La traviata dirigierte.

Schon aus dieser Auflistung wird deutlich, dass die 1959 geborene Britin als Spezialistin für zeitgenössische Musik gilt, aber ebenso im klassischen Repertoire zu Hause ist. Nach ihren Studien bei Sir Charles Groves, Timothy Reynish und Norman Del Mar in ihrer Heimat sowie bei Ilja Alexandrowitsch Mussin am Leningrader Konservatorium debütierte sie 1986 in Glasgow mit Kurt Weills Mahagonny, dirigierte zwei Jahre später erstmals am Royal Opera House sowie bei der Münchener Biennale.

Seither hat sie international mit praktisch allen wichtigen Orchestern und Opernhäusern zusammengearbeitet. Nach einer Position als Music Director der English National Opera lehrt sie derzeit als Head of Conducting an der Royal Academy of Music. Inzwischen hat Edwards ein Ruf an die mdw ereilt – ihre Professur für Dirigieren wird sie mit Beginn des Wintersemesters 2022/23 antreten. Ein Gespräch.

Jede Biographie beginnt mit der Geburt. Bei Ihnen nennen manche Quellen den 27. Mai, andere den 27. August 1959 als Termin. Ich nehme an, Sie feiern Ihren Geburtstag im Sommer? Ist Ihnen bekannt, wie das Missverständnis entstanden ist?

Sian Edwards (SE): Ich habe keine Ahnung, warum mein Geburtstag im Grove (The Grove Dictionary of Music and Musicians, Anm.) falsch ist – was natürlich zu viel Verwirrung führt. Laut meinen Eltern wurde ich definitiv am 27. August geboren!

Immerhin sind Sie in bester Gesellschaft, gilt doch auch Beethovens Geburtsdatum als ein Rätsel. Sie haben mit vier Jahren Klavier zu lernen begonnen. War das Ihre eigene Initiative? Waren Sie ein Wunderkind?

SE: In meinem Elternhaus stand ein kleiner Flügel – ein Relikt aus der Familie meiner Mutter –, und ich wollte einfach darauf spielen! Ich war kein Wunderkind, aber ich hatte den enormen Wunsch, Musik zu machen, und so bekam ich ab meinem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht.

Später lernten Sie auch noch Horn. Was bewegte Sie dann zu Ihrer Entscheidung, sich ganz dem Dirigieren zu widmen?

SE: Meine frühen Jahre waren im ländlichen Sussex, in einer Schule mit sehr wenig Musik. Als mein Vater den Job wechselte und die Familie nach Oxford zog, fing ich an, Horn zu lernen, und spielte in allen Orchestern und Ensembles, wo ich konnte. In Großbritannien haben wir eine lebhafte Tradition des Amateurmusizierens, und als ich noch zur Schule ging, organisierten meine Musikerfreunde und ich unsere eigenen Konzerte – ich spielte in ihren und sie spielten in meinen Veranstaltungen.

© Katie Vandyck

Sie haben in England und St. Petersburg studiert: Was waren für Sie die wesentlichen Impulse aus der west- und osteuropäischen Musikkultur?

SE: In Großbritannien habe ich am Royal Northern College of Music in Manchester studiert. Ich bin dorthin gegangen, weil mein Hornlehrer plötzlich verkündete, er unterrichte nicht mehr in London. Ich habe während meines Hornstudiums viel dirigiert und dann ein Stipendium gewonnen, um als Dirigentin weiterzumachen. Vielleicht, weil es im 18. und 19. Jahrhundert keine sehr starke eigene britische Musikkultur gab, nahm das Publikum Musik aus dem Ausland an – und diese Offenheit hält an –, somit war es völlig natürlich, Dvořák, Tschaikowski und Sibelius zu hören und zu lieben.

In Ihrem Repertoire hat neue Musik immer eine große Rolle gespielt. Wie sehen Sie Ihre Schwerpunkte im Großen und Ganzen?

SE: Ich denke, es ist sehr wichtig, dass Musik als lebendige Kunst gesehen, gehört und verstanden wird – etwas, das sich ständig weiterentwickelt, sei es durch neue Werke oder die Entwicklung neuer Ideen zu alten Werken. Das Studium der „großen“ Werke ist eine lebenslange Beschäftigung, aber es ist wichtig, sich auch Zeit für neue oder neuere Musik zu nehmen.

Ist der Eindruck richtig, dass Sie einen besonderen Hang zur Oper haben? Wenn Sie sich entscheiden müssten, nur noch Oper oder Konzert zu dirigieren, was würden Sie wählen?

SE: Ich könnte niemals eines davon wählen! Aber die Zusammenarbeit mit Sänger_innen und Regisseur_innen als Teil eines Teams, das eine Opernproduktion kreiert, ist schon wunderbar.

Ihre ersten großen Auftritte waren in den 1980er Jahren in England und Deutschland. Fühlten Sie sich als Pionierin als weibliche Dirigentin? Haben Sie Widerstände gespürt?

SE: Ich glaube nicht, dass ich mich selbst mehr als „weibliche“ Dirigentin betrachtet habe, als Sie sich selbst als „männlichen“ Autor sehen! Aber natürlich gab es Menschen, die es sehr schwer fanden, eine Frau auf dem Podium zu akzeptieren, besonders eine junge Frau. Aber Dirigieren ist immer eine große Herausforderung, wenn man unerfahren ist, und es ist schwierig, objektiv zu analysieren, warum etwas funktioniert oder nicht funktioniert.

Neben Ihrer Funktion in der Royal Academy of Music leiten Sie auch das Sorrell Women’s Conducting Programme. Brauchen Dirigentinnen andere Fähigkeiten als Männer? Kommunizieren sie anders?

SE: Wir haben viele Frauen, die sich für ein Dirigierstudium an der Royal Academy bewerben, aber oft konkurrieren sie nicht auf dem gleichen Niveau wie ihre männlichen Kollegen um die begrenzte Anzahl von Plätzen, die wir haben. Das Sorrell-Programm ist ein kurzer Kurs – vier Wochenenden –, der darauf abzielt, Dirigentinnen zu ermutigen und sie herauszufordern, ihre musikalisch-technischen Fähigkeiten zu vervollkommnen.

Was ist Ihnen generell bei Ihrer pädagogischen Arbeit, dem Unterricht im Dirigieren, wichtig?

SE: Das Wichtigste in meinem Unterricht ist die Kombination musikalischer Ideen und des Wunsches, sie zu kommunizieren, mit den technischen Fähigkeiten, die diese Kommunikation ermöglichen, um effektiv zu sein.

Was erwarten Sie sich von Ihrer Arbeit als Professorin an der mdw? Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen?

SE: Ich freue mich sehr über die Einladung, an der mdw zu arbeiten, die selbst eine große Geschichte hat. Die Lehrenden und Studierenden dort sind allesamt inspirierende Musiker_innen, und ich freue mich darauf, Teil des Teams zu sein und dabei zu helfen, die nächste Generation von Dirigentinnen und Dirigenten heranzubilden.

Was verbinden Sie mit Wien?

SE: Ich habe in Wien wunderbare musikalische Erfahrungen gemacht, insbesondere mit dem ORF Radio-Symphonieorchester, dem Klangforum Wien und den Produktionen, an denen ich am Theater an der Wien mitgewirkt habe. Und natürlich gibt es wunderbare Konzertsäle – allesamt Teil der unglaublichen Musik- und Kulturgeschichte dieser schönen Stadt.

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