Ein zentrales Anliegen der Aufführungspraxis ist die Verwendung von historischen beziehungsweise historisch nachgebauten Musikinstrumenten, deren Erforschung und Beherrschung uns näher an die Musik bringt, die darauf entstanden ist. Dies bedeutet eine ständige Auseinandersetzung der Musiker_innen mit Objekten aus privaten oder öffentlichen Sammlungen, mit bildlichen sowie schriftlichen Quellen und eine intensive Zusammenarbeit mit Instrumentenbauer_innen, Kurator_innen, Restaurator_innen und anderen Forscher_innen in diesem Gebiet.

© Jens Lindworsky

Institutionen wie die mdw spielen bei diesem Prozess eine wichtige Rolle: So ist im Laufe der langen Geschichte der Universität eine beeindruckende Sammlung an historischen Instrumenten entstanden. Vom Chalumeau aus dem 17. Jh. bis zum Wiener Hammerklavier des Biedermeiers sind zahlreiche Originale und Nachbauten angeschafft worden. Diese Instrumente stehen allen Studierenden zur Verfügung, die sich auf diesem Gebiet weiterbilden möchten.

© Jens Lindworsky

Eine besondere Sparte innerhalb dieser Sammlung bilden Cembaloinstrumente. Cembali haben über die Jahrhunderte verschiedensten Ausformungen erlebt – um diese Vielfalt abzubilden, ist die mdw ständig bemüht, ihren Bestand zu erweitern und zu aktualisieren. Einen wichtigen Beitrag dazu bildet das 2017 von Ingomar Rainer initiierte Projekt Das Wiener Cembalo im historischen Kontext. Hauptziel des Projektes war die Rekonstruktion eines nicht mehr vorhandenen Cembalos, wie es typischerweise um 1660 in Wien hätte gebaut werden können.

© Alfons Huber

Rund um dieses Hauptobjekt wurden zusätzlich vier Cembali nach verschiedenen Vorbildern angeschafft, die Einflüsse und Auswirkungen des Wiener Cembalobaustils in Europa unterschiedlich beleuchten. Durch die finanzielle Unterstützung des Universitätsinfrastrukturprogrammes des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWFT) 2017 wurde dieses Projekt ermöglicht und 2020 abgeschlossen.

© Jens Lindworsky

Alfons Huber, damals Leiter der Restaurierungswerkstatt der Sammlung alter Musikinstrumente des Kunsthistorischen Museums (KHM) Wien, bekam gemeinsam mit Albrecht Czernin, Spezialist für historische Tasteninstrumente, den Hauptauftrag: den Bau eines hypothetischen Cembalos, wie es in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts am Wiener Hof oder in einer der bedeutenden Musikkapellen des österreichischen Hochadels üblich war.

© Jens Lindworsky

Huber hat sorgfältig Baumerkmale gesammelt, um das eigentlich nicht zu lösende Puzzle so gut wie möglich zu vervollständigen. Kompromisslos hat er gemeinsam mit Albrecht Czernin versucht, nicht nur die klangliche, sondern auch die gesamte Wirkung eines solchen Instrumentes nachzuahmen.

Nach monatelanger Arbeit in der Wiener Werkstatt von Albrecht Czernin wurde das Instrument im April 2020 geliefert. Um einen kleinen Einblick in den Forschungsprozess zu gewähren, möchten wir zwei auffallende Merkmale beispielhaft vorstellen:

Die Wiener Bassoktav

Der Tastatur-Bassbereich wirkt für das nicht eingeweihte Auge sicher befremdlich: Die Ordnung der mehrfachgeteilten Tasten ist faktisch einzigartig in der Musikgeschichte.

Die Wiener Bassoktav

Das älteste Zeugnis für die sogenannte Wiener Bassoktav ist das 1676 in Kremsmünster verfasste Compendium von Alessandro Poglietti. Kurze Oktaven sind im 16. und 17. Jh. die Norm. Da gewisse tiefe Töne (Fis, Gis) kaum verwendet werden, werden sie aus Gründen der Platzersparnis ersetzt: Die erste Taste E durch C, Fis durch D und Gis durch E. Im Laufe der Zeit kam es zu einer ersten üblichen Erweiterung dieses Musters: Zwei Obertasten werden „geteilt“, D/Fis und E/Gis. Die Wiener Bassoktav geht noch einen Schritt weiter: mit zusätzlichen Tönen (F1, G1, A1, B1, H1), die durch eine sehr originelle Kombination an geteilten Tasten zu bedienen sind, wobei die erste Taste F1 sogar oft als Tastaturbacke getarnt wird.

Spielbare Tasteninstrumente mit einem solchen Umfang sind heute extrem selten: So leistet unsere Rekonstruktion einen wichtigen Beitrag dazu, diese Lücke in der Wahrnehmung der Geschichte der Wiener Tasteninstrumente zu füllen.

© Jens Lindworsky
Die Ausstattung

Aus pragmatischen Gründen ist es heute selten möglich, den originalen Prunk eines historischen Cembalos bei Nachbauten widerzuspiegeln. Um doch die Chance zu bekommen, die Gesamtwirkung auf Spieler_in und Zuhörer_innen eines solchen Instrumentes zu erleben, haben wir versucht, besonders auf die Ausstattung zu achten. Um dem Instrument einen gewissen höfischen Charakter zu verleihen, wurden aufwendige Furnierarbeit, Intarsien aus exotischen Holzarten und eine auffällig bunte Außenfassung eingesetzt. Das Rezept für die Fassung stammt aus Ars Vitraria Experimentalis von Johann Kunkel (Frankfurt/Leipzig, 1689):

Eine feine Manier/die Clave Cord und Clave Cimbeln, auch ander Tischerwerck anzusprengen. Erstlich Leim träncke deine Arbeit/hernach streichs mit schwarzer Leim=Farb ein paar mal an/wenns wohl trocken/so besprengs nach Belieben mit abgeriebenen Beliweiß/so auch mit Leim=Wasser angemacht/wenn es wieder gantz trocken/so nimm einen mit Oel abgeriebenen Grünspan1/und überlasure es mit solcher Oehl=Farb über und über/so werden die weissen Flecken grün/und geht nimmer mehr ab.

Mit diesem besonderen Cembalo werden wir uns nicht nur der gesamten österreichischen Cembaloliteratur des 17. Jahrhunderts, wie sie an den Höfen von Kaiser Ferdinand II. bis Josef I. oder in den Kapellen der großen Adelshäuser aufgeführt wurden, widmen können, sondern auch beim Ensemblespiel neue Klangräume erschließen. Dieses einzigartige Instrument wird uns bei der Entwicklung unseres neuen Instituts begleiten und uns dabei unterstützen, neue Klangwelten zu erobern.

  1. Für dieses Instrument wurde rotes Pigment verwendet anstatt Grünspan wie bei Kunkel angegeben.
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