Trinh T. Minh-ha zählt zu den wichtigsten Stimmen in der de- und postkolonialen sowie feministischen Auseinandersetzung in den Bereichen Film, Literatur, Kunst und Theorie. Im Rahmen der Interdisziplinären Ringvorlesung Transkulturalität findet am 22. März 2017 eine Public Lecture und Diskussion mit der an der Universität von Kalifornien, Berkeley (USA), lehrenden Filmemacherin und Theoretikerin statt. Im Anschluss an den Vortrag wird der postkoloniale Filmklassiker Surname Viet Given Name Nam gezeigt. Das Screening veranschaulicht, in welcher Weise es Minh-ha gelingt, konventionelle Seh-, Denk- und Rezeptionsgewohnheiten infrage zu stellen.

“It is necessary for me always to keep in mind that one cannot really theorize about film, but only with film. This is how the field can remain open.”
(Minh-ha 1992: 122)

Trinh T. Minh-ha
Trinh T. Minh-ha ©Trinh T. Minh-ha, Moongift Films

Trinh T. Minh-ha gilt als Vorreiterin interdisziplinären Denkens und Schaffens, was entlang von vielfältigen künstlerischen und wissenschaftlichen Formaten sichtbar wird. Sie ausschließlich in einer Einzeldisziplin zu verorten, wäre zu kurz gefasst, denn Minh-has filmische und theoretische Arbeiten verschränken vielschichtige Formen des Schreibens, Darstellens und Erzählens, was sie an gesellschaftspolitischen und geografischen Grenzen deutlich macht. Ihr Werk lässt sich einzig als Gesamtphänomen begreifen, das es aus unterschiedlichen disziplinären, kulturellen und diskursiven Perspektiven anzudocken gilt.

Postkoloniale Ästhetik

Bereits in den frühen 1980er Jahren komplexifiziert und überdenkt Minh-ha in ihren filmischen Arbeiten, inwieweit lokale, nationale und regionale Filmkulturen auf globaler Ebene miteinander in Verbindung stehen. Ihr Werk ist Ausdruck ihrer widerständigen Position, sich stets vorgeformten Kategorisierungen und strikten Zugehörigkeiten entgegenzusetzen. Sie sucht polyzentrische, multidirektionale und nicht-essentialistische Alternativen zu festgefahrenen eurozentrischen Theorien und historischen Perspektiven. Minh-has Erzählweise legt das Augenmerk auf die Verflechtung und Dekonstruktion, Fortdauer und Wirkungsmacht gegenwärtiger politischer, sozialer Kämpfe und wissenschaftlicher Praktiken und Denkweisen. Sowohl dem Film als Medium als auch der Filmwissenschaft als Disziplin wird eine kritische Perspektive entgegengesetzt, indem gleichzeitig Modelle okzidentaler Ideologien sowie deren theoretische und historische Bezugsrahmen hinterfragt werden.

Trinh T. Minh-ha
©Trinh T. Minh-ha, Moongift Films

In Minh-has künstlerischem Werk geht es um die Wechselwirkung zwischen historischer Vergangenheit der Repräsentationsformen von Kulturen, Subjekten und Wissen und deren Fortdauer in gegenwärtigen postkolonialen Gesellschaften. Diese Dynamik ist von facettenreicher Prozesshaftigkeit geprägt, was einem zentralen Anliegen der Postkolonialität entspricht. Dabei gilt es, Postkolonialität gezielt als konzeptuelle Zeit- und Ortsgebundenheiten aufzuspüren, die in Trinh T. Minh-has Filmschaffen als formgebende politische Äußerungen zur Sprache kommen, die sowohl sich selbst, als auch die Betrachtenden herausfordern, über imperiale und nationale Bildlogiken hinaus zu denken, zu agieren. Denn postkoloniales Filmschaffen zielt darauf ab, postkoloniale Subjekte, Epistemologien, Geografien und Geschichtsschreibungen miteinander in Beziehung zu setzen und diese durch die Optik postkolonialer Gegebenheiten zu äußern.

Praxis der Reflexivität

Was Trinh T. Minh-ha in ihrer jüngst erschienenen Publikation Lovecidal, Walking with the Disappeared benennt als: Sometimes the mind freezes and the heart goes on fasting: name, nation, identity, citizenship disappear(Minh-ha 2016), liegt bereits in ihrem frühen Werk begründet. Ihr 1982 im Senegal gedrehter 16-mm-Film Reassemblage lässt sich als ein Meilenstein postkolonialer Ästhetik begreifen: „I do not intend to speak about. Just speak nearby“, benennt Minh-ha in ihrem eigens gesprochenen Kommentar im Film ihren methodischen Zugang. Nicht zwangsweise das Was des alltäglichen Lebens von DorfbewohnerInnen auszustellen, sondern vielmehr dem Wie Form zu geben und eindeutige Zuschreibungen ethnologischer Praxis gar nicht erst zu veranlassen, steht im Vordergrund der filmischen Gestaltung. Dieser Praxis des „speaking nearby“ ist eine Kritik am klassischen Dokumentarfilm,der vorgibt, authentisch zu sein, inhärent.

Sprache der Multivokalität

A Tale of Love
A Tale of Love ©Trinh T. Minh-ha, Moongift Films

Auch Minh-has dritter und vielfach ausgezeichneter Film Surname Viet Given Name Nam (1989) erschließt die Themenkomplexe von Geografien, Darstellungsräumen und Narrativen als theoretisch und formal mehrschichtige Reflexionen dahingehend, wessen Stimme in welcher Weise zur Sprache kommt. Der Film gilt neben Forgetting Vietnam (2015) als eine zutiefst persönliche dokumentarisch-essayistische Auseinandersetzung mit historischem und gegenwärtigem Erinnertem, Erlebtem und Konflikthaftem sowie sozio-kulturellen Verfasstheiten einzelner Stimmen von Frauen im Nord- und Südvietnam. Der filmischen Montage liegt ein komplexes Zusammenspiel von Tanzsequenzen, Printtexten, Oralpoesie sowie Gesprächen von Frauen im Vietnam und den USA zugrunde. Diese sind teilweise mehrfach übersetzt beziehungsweise nachgespielt, ohne dies ausdrücklich zu thematisieren. Durch inhaltlich gesetzte Leerstellen, narrative Brüche und formal-ästhetische Irritationen erfahren Darstellungsmechanismen und filmische Repräsentation einen Perspektivenwechsel. Darstellungsmechanismen und filmische Repräsentation werden anhand der fragmentarischen Konstruktion von Bild und Ton sichtbar gemacht: Do you translate by eye or by ear?(Minh-ha 1992: 80) fragt Minh-has Voice-Over in Surname Viet Given Name Nam.

Erzählweisen verändern

Die US-amerikanisch-vietnamesische Filmemacherin und Theoretikerin erfasst ihre filmische Vorgehensweise als ein Grenzereignis, das in ihre Biografie eingeschrieben ist und welches es gleichzeitig zu dekonstruieren gilt. Der narrative Raum des Filmemachens dient dabei als Entwurf für kreative Verhandlungen von kulturellen Differenzzuschreibungen, was Anna Babka in der Einleitung zu Minh-has feministischem Klassiker Woman, Native, Other folgendermaßen betitelt: Differenz als Angelegenheit, Besonderheit und Lust (Babka in Minh-ha 2010: 17).

A Tale of Love
A Tale of Love ©Trinh T. Minh-ha, Moongift Films

Vorstellungen von Ich und Wir neu zu verhandeln entspricht veränderten Erzählweisen im postkolonialen Denken. Keine der beiden Bezugsgrößen wird durch eine fixe, homogene und allzeit unveränderbare Beschaffenheit konstituiert; die Neuerzählung von Wir und Ich setzt vielmehr einen Kontrapunkt zu den seit den 1980er Jahren schier nicht enden wollenden Debatten der Identitätskonstruktion. Die Filmemacherin äußert diese Beziehung in nicht-hierarchischen Gesten und fordert damit die RezipientInnen heraus, mit dem Bild und seiner Bedeutung in Distanz zu treten, wodurch gewohnte Denkmuster ins Wanken geraten.

Minh-ha ist Vorreiterin in mehrfacher Hinsicht, ihr Werk ist translatorischer Knotenpunkt von konzeptuellen Reibungsflächen, geopolitischen Verwobenheiten und globalen Verflechtungen, wodurch eine zeitlich abgeschlossene Historizität ausgehebelt und gleichermaßen zeitlos wird. Es handelt sich um Filme, die bestens altern – was wahrlich nicht von jedem Filmwerk zu behaupten wäre, da sie in ihrer Beschaffenheit zeitlos sind – ohne vorzugeben, es sein zu wollen. Dies beweist einmal mehr, dass sich Minh-has Filme als postkoloniale Meilensteine etabliert haben und (nach wie vor) als solche rezipiert werden.

Zitierte Literatur

A Tale of Love
A Tale of Love ©Trinh T. Minh-ha, Moongift Films
  • Babka, Anna (2010) „Einleitung“, in: Babka, Anna (Hg.), Minh-ha, Trinh T. Woman Native Other, Postkolonialität und Feminismus schreiben. Wien: Turia + Kant, 9–24.
  • Minh-ha, Trinh T. (2016) Lovecidal, Walking with the Disappeared. New York: Fordham University Press.
  • Minh-ha, Trinh T. (1992) „Film as Translation, Interview conducted by Scott MacDonald, 1989,“ in: Minh-ha, Trinh T. (Hg.) Framer Framed. New York/London: Routledge.

Veranstaltungshinweis

Public Lecture („Resonance, Resistance and The Creative Everyday”) und Diskussion mit Trinh T. Minh-ha im Rahmen der Interdisziplinären Ringvorlesung Transkulturalität der mdw. Anschließend Filmscreening von Surname Viet Given Name Nam (108 min, 1989).

Mittwoch, 22. März 2017, 17.00 Uhr

Kleines Filmstudio
Anton-von-Webern-Platz 1
1030 Wien

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