„Man muss spüren, dass du ein Problem hast!“ Harald Krewer, Lehrender am Max Reinhardt Seminar der mdw, erklärt seinen Studierenden im Aufnahmestudio des ORF-Funkhauses die grundlegende Haltung in der Textpassage. Im Rahmen des Faches Hörspiel lernen Schauspiel- und Regiestudierende des Max Reinhardt Seminars gemeinsam ein Hörspiel zu produzieren. Während der Schauspielstudierende mit dem Text vor sich versucht diesen eindringlich vorzutragen, leitet ihn der Regiestudierende mit möglichst präzisen Anweisungen an. Wieder und wieder wird ein Textfragment gelesen, jede Intonation, jedes Ausatmen, jede Pause unter die Lupe genommen und analysiert. Schnell wird klar: Die Konzentration auf die Stimme als beherrschendes Erzählmittel ist eine hohe Kunst. Sie entscheidet darüber, ob die HörerInnen der Geschichte folgen wollen, wie packend ein Text ist. Keine Requisite, kein Einsatz von Licht und keine Kameraeinstellung helfen bei der Dramaturgie, allein die Stimme, begleitet von Musik und Geräuschen, erzählt die Geschichte.

Das Pflichtfach Hörspiel gliedert sich in drei Bereiche. In einer Einführung werden den Studierenden das Hörspiel und seine Formen nähergebracht. Hörspiele aus verschiedenen Epochen und von unterschiedlichen SchauspielerInnen gelesen werden angehört, um so einen Einblick in die Bandbreite an Interpretationen zu bekommen. Die Regiestudierenden suchen schließlich einen Text aus, den sie mit Schauspielstudierenden aufnehmen möchten. Im praktischen Teil finden die Aufnahmen mit TonmeisterInnen im ORF-Funkhaus in der Argentinierstraße statt. An zwei Tagen – die Zeit ist bewusst knapp, um auch das Zeitmanagement zu schulen – erarbeiten die Studierenden unter Anleitung von Harald Krewer ihre Interpretation des Textes.

Im dritten Teil der Lehrveranstaltung wird schließlich die Gestaltung der gewählten Fassung mit Musik und Geräuschen vorgenommen. Essenziell ist hier das eigenverantwortliche Ausgestalten des Hörspiels, denn produziert wird nicht für die Schublade – die fertigen Hörspiele werden von Radio Ö1 gesendet und erreichen somit ein großes Publikum.

Hoerspiel
©Annamaria Kowalsky

„Die Faszination für das Medium Hörspiel ist nach wie vor ungebrochen“, ist Harald Krewer überzeugt. Als es noch kein Fernsehen gab und das Radio das Leitmedium darstellte, waren Hörspiele des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wahre „Straßenfeger“. Die Hörspiele wurden live mit Bands im Studio gesendet. Zum Teil standen die SchauspielerInnen sogar in Kostümen vor den Mikrofonen. Vor der Zeit der Digitalisierung war die Erzeugung von Geräuschen im Hörspiel deutlich aufwendiger als heute. Jedes Geräusch war auf Band aufgezeichnet oder musste im Studio nachgestellt werden. Im Studio des Funkhauses findet man zur Erinnerung an diese Zeit nach wie vor verschiedene Treppen, Fenster oder Türen, um Schritte, Fensteröffnen, Türenknallen und viele weitere Geräusche zu erzeugen. Heute werden diese oft aus Filmen und Videos entnommen, eigene Aufnahmen für bestimmte Geräusche sind kaum mehr notwendig. Auch die verwendete Literatur für das Hörspiel hat sich verändert, da es kaum mehr eigens dafür geschriebene Texte gibt. AutorInnen wie Ilse Aichinger oder Ernst Jandl haben diese noch extra verfasst.

Harald Krewer versucht auch die Tradition des Hörspiels in seinem Unterricht zu vermitteln. Er selbst ist Absolvent des Max Reinhardt Seminars und hat durch die dortige Hörspielarbeit sein Interesse am Hörspiel entdeckt. War er anfangs auch noch als Theaterregisseur tätig, so hat sich seine Arbeit schließlich ganz ins Aufnahmestudio verlagert. Neben seiner Lehrtätigkeit an der mdw ist er für Ö1 als Hörspielregisseur tätig und betreibt er eine Produktionsfirma für Audioformate und einen Hörbuchverlag.

„Die Reduktion auf das gesprochene Wort und eine gut erzählte Geschichte machen die Faszination am Hörspiel aus“, erklärt er seine Leidenschaft für die akustische Kunstform. Für die Studierenden stellt das Hörspiel auch eine besondere Herausforderungen dar: Anders als auf der Bühne oder beim Film sind RegisseurIn und SchauspielerIn durch eine Glasscheibe getrennt, oft auch ohne direkten Blickkontakt, und die Anweisungen erfolgen nur über das Mikrofon. Während für Theater oder Film oft wochenlang eine Rolle eingeübt wird und die SchauspielerInnen sich intensiv mit einem Text beschäftigen, ihn schlussendlich auswendig lernen, haben sie beim Hörspiel den Text direkt vor sich und nur wenig Zeit diesen auf ihre Weise zu interpretieren. Die Textaneignung erfolgt somit innerhalb eines kürzeren Zeitfensters. Regiestudierende wiederrum müssen lernen ihre Anweisungen möglichst präzise an die SchauspielerInnen zu kommunizieren.

„Ein Hörspiel ist mehr mit Musik vergleichbar, ein Text ist wie eine Partitur“, meint Harald Krewer. Rhythmuswechsel, Lautstärke, Pausen und das Timbre der Stimme der/des Vorlesenden entscheiden über die Qualität eines Hörspieles, ähnlich wie bei einem Lied. Die Schauspielerin/der Schauspieler muss den Text sorgfältig strukturieren und ein Gespür für die Melodie des Textes entwickeln. Darin besteht die wahre Kunst eines gelungenen Hörspiels.

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