Die Faszination für verschiedene Ethnien und Klangwelten begleiten den kurdischen Syrer bereits ein Leben lang. Ein neues Masterstudium an der mdw ermöglicht dem leidenschaftlichen Musiker schließlich die Verwirklichung eines lang gehegten Traumes: die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem weiten Feld der Ethnomusikologie.

Salah ist elf Jahre alt, als er sich sein erstes eigenes Instrument baut. Er ist daran interessiert, Klänge zu erzeugen. In dem kleinen Dorf Darbasiyah im Nordosten von Syrien, wo er in einer Familie mit elf Kindern aufwächst, gibt es keine musikalischen Bildungseinrichtungen. Seinen Kontakt zur Musik beschreibt er als authentisch und natürlich. „Ich war nie in der Musikschule, aber ich erinnere mich, dass mich Gesang schon immer berührt hat.“ Seine Mutter singt ihm von Geburt an vor, sein Nachbar zeigt ihm erste Griffe auf der Bouzouk, einer syrischen Langhalslaute.
Musik zu machen, hat mir einen Sinn im Leben gegeben. Mein Herz hat es verlangt und ich bin ihm gefolgt.
„Ich glaube, ich bin als Musiker geboren, denn in meiner großen Familie macht sonst niemand Musik.“ Als er mit achtzehn Jahren die Idee entwickelt seiner Passion zu folgen, ist sein Vater dagegen. Er schickt ihn nach Damaskus, um Französisch für ein IT-Stipendium zu lernen. Bei einem Konzert in der Hauptstadt Syriens trifft er stattdessen auf seinen zukünftigen Bouzouk-Lehrer, der ihm fortan seinen ersten richtigen Instrumentalunterricht gibt. Der junge Kurde ist zwanzig Jahre alt, als er sich für die Musik entscheidet. „Ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht darüber nachgedacht, was ich später mit dem Studium anfangen könnte, ich musste es einfach machen.“ Sein neuer Lehrer bereitet ihn auf die Zulassungsprüfung am Konservatorium Damaskus vor, kein einfaches Unterfangen, da die Ansprüche hoch sind und Bouzouk nicht als Hauptfachinstrument angeboten wird. Allen Widrigkeiten zum Trotz kann der engagierte Musiker die Kommission überzeugen und wird kurz darauf als erster Student mit Bouzouk als Hauptfach zugelassen. Nach seinem Abschluss im Jahr 2004 gründet Salah Ammo die Band Joussour, was wörtlich übersetzt „Brücke“ bedeutet. Sein Ziel ist es, die diversen ethnischen und musikalischen Einflüsse seiner Heimat zu verbinden. „Ich wollte ein Mosaik der syrischen Musik präsentieren“, erklärt der vielseitige Künstler. Nebenbei widmet er sich solistisch der kurdischen Musik, komponiert für Theater und Film und unterrichtet ab 2007 in Homs an der Musikakademie. Rasch entwickelt die Gruppe Joussour eine guten Ruf und tritt in zahlreichen renommierten Konzerthäusern, wie der Oper von Damaskus auf. Bei ausländischen Gastspielen repräsentieren sie die traditionelle syrische Musik, wie etwa im Rahmen der bedeutenden Kairoer Konferenz für arabische Musik. 2010 erhält er ein Produktionsstipendium für sein erstes Album Bayê Sibê. Die geplante Präsentation im Frühjahr 2011 kann jedoch aufgrund des Kriegsbeginns in Syrien nicht mehr durchgeführt werden. Er entschließt sich zu einem Masterstudium im Ausland und erhält ein Studentenvisum für das Vereinigte Königreich. Um seine Familie zu sich holen zu können, beantragt er Asyl, wird aber aufgrund eines früheren Visums aus Österreich abgewiesen und dorthin deportiert. Zwei bis drei Wochen verbringt er im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, eine Zeit, die er als sehr schwierig beschreibt. „Ich hatte keinen Pass, nur eine Nummer und durfte den mir zugewiesenen Ort nicht verlassen. Ich war allein und hatte Angst“, erinnert sich der gebürtige Syrer. „Selbst einer Einladung zum renommierten Morgenlandfestival in Deutschland, als Repräsentant der kurdisch-syrischen Musik, durfte ich nicht folgen.“

Für mich war das Studium der Ethnomusikologie immer ein heimlicher Traum.
2013 verschlägt es den syrischen Musiker schließlich nach Wien, wo er sich dem Wiederaufbau seiner musikalischen Karriere widmet. Bei einem Konzertbesuch lernt er den österreichischen Perkussionisten Peter Gabis kennen, der ihn kurz darauf einlädt, gemeinsam mit ihm zu musizieren. Als Duo nehmen sie das Album ASSI – A Story of a Syrian River auf, das für die Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik nominiert wird. 2014 schafft es das Duo sogar ins Finale des Austrian World Music Award. Als Salah einige Jahre später im Rahmen eines Konzerts in Salzburg über die Bouzouk und die Musiktraditionen seiner Heimat referiert, trifft er auf Ulrich Morgenstern, Lehrender am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, der ihm von einem neuen Masterstudium für Ethnomusikologie an der mdw berichtet. „Ich war fassungslos, denn für mich war dieses Studium immer ein heimlicher Traum.“ Der Weg dorthin gestaltet sich aufgrund von bürokratischen Hürden schwierig, dennoch kann Salah mit dem Studium im Jahr 2019 beginnen. „Ich habe dafür gekämpft, an der mdw studieren zu können. Schlussendlich war ich der erste Student, der eine Prüfung im Masterstudium Ethnomusikologie abgelegt hat. Und auch der erste, der dieses Studium abgeschlossen hat.“ Kurz nach Studienbeginn erfolgt ein erneuter Rückschritt, Covid-19 erschwert den Studien- und Berufsalltag enorm. Um sich weiterhin sinnvoll zu beschäftigen, besucht der interessierte Student an der mdw einen Kurs zur Viktor-Frankl-Methode, einer Form der sinnzentrierten Psychotherapie. „Mir war klar, dass ich diese Ausbildung machen wollte, und ich hatte Zeit, da aufgrund von Corona keine Konzerte möglich waren.“
Ich verarbeite durch meine Kunst meine eigenen schmerzhaften Erfahrungen.
Das Studium unterstützt ihn dabei, sich mit der Verarbeitung seiner eigenen erlittenen Traumata zu befassen. Seit einem halben Jahr ist Salah Ammo nun als psychosozialer Berater der Diakonie tätig und kann mit seiner eigenen Geschichte jungen geflüchteten Menschen helfen. Heute weiß der studierte Ethnomusikologe, dass die Wege als Berufsmusiker_in vielfältig sein können und dass er sich in einem Punkt sicher ist: „Wenn man tief im Innersten Musiker_in ist, dann muss man seiner Berufung folgen, sonst wird einem immer etwas fehlen.“
