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1994 erhält der damalige Student der Musikakademie Sarajevo ein Stipendium der mdw, um sein Kompositionsstudium fernab des Kriegsgebietes fortzuführen. Heute ist der angesehene Komponist und Pädagoge Dekan seiner bosnischen Alma Mater und tritt damit in große Fußstapfen.
Der Vater war ein angesehener Geiger, der Großvater ein berühmter Schriftsteller – bereits in jungen Jahren ist Ališer Sijarić dadurch nicht nur von Musik, sondern auch von Literatur und anderen Kunstformen umgeben. Als Folge dessen entwickelt er früh eine Liebe zur künstlerischen Tätigkeit. Mit fünf Jahren erhält er seinen ersten Geigenunterricht. Sein Interesse an Komposition entwickelt sich erst Jahre später durch die Beschäftigung mit populären Musikrichtungen, wie dem Alternative Rock. Nach Abschluss des Gymnasiums sowie der Musikmittelschule folgt Ališer Sijarić weiter seiner Berufung: Er inskribiert an der Musikakademie Sarajevo für Komposition und Musikwissenschaft sowie gleichzeitig für Philosophie und Soziologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Sarajevo.
Das Komponieren erfordert einen breiteren Blick auf die Welt, deshalb habe ich zusätzlich Philosophie studiert.
Nach Kriegsbeginn muss sich der angehende Komponist jedoch für eine Studienrichtung entscheiden: „Zwei Studien gleichzeitig waren während des Krieges nicht möglich. Letztlich fiel meine Wahl auf Komposition, weil mir das Künstlerische wichtiger war und Philosophie für mich eher eine Ergänzung oder Vertiefung meiner kreativen Tätigkeit darstellte, als eine berufliche Perspektive.“ Zu Beginn des Krieges im Jahr 1992 wurde Ališer dem Militärorchester der Armee der Republik Bosnien und Herzegowina zugeteilt, für das er einen Marsch komponierte und mehrere andere Musikstücke arrangierte. „Musik und Kunst haben zur Zeit des Bosnien-Krieges eine große Rolle gespielt. Unsere eigene Kunst, die auf universellen humanistischen Prinzipien gründete, stellte eine Form des Widerstandes dar, der sich gegen die nationalistische Blut-und-Boden-Kultur unserer Feinde richtete.“ Ungeachtet der großen Gefahr fanden während der Belagerung Tausende Konzerte und Veranstaltungen statt und auch die Musikakademie Sarajevo führte den Unterricht trotz der gegebenen Widrigkeiten – so gut es ging – fort. „Viele Professor_innen haben damals die belagerte und durch den Krieg verwüstete Stadt Sarajevo verlassen, daher war es schwierig, den Unterricht zu organisieren“, erinnert sich der engagierte Pädagoge an seine Studienzeit. Der damalige Dekan der Musikakademie Sarajevo Osman-Faruk Sijarić, Ališers Vater, traf schließlich ein Abkommen mit dem damaligen Rektor der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien Michael Frischenschlager: 15 Stipendien gingen an Studierende aus Bosnien, deren Lehrende geflohen waren, – mit dem Ziel, diesen Student_innen die Fortsetzung ihres Studiums an der mdw zu ermöglichen. 13 der einstigen Stipendiaten kehrten später in ihre Heimat zurück und sind heute unter anderem als Lehrende an der Musikakademie sowie an Musikmittelschulen tätig.
Ich finde internationale Zusammenarbeit auf vielen Ebenen wichtig: Sie ermöglicht den Austausch professioneller, künstlerischer Erfahrungen und trägt strategisch gesehen zur Vernetzung von Institutionen bei. Das wiederum bereichert alle Beteiligten – im professionellen und künstlerischen Sinne.
„Diese Form der interakademischen Hilfe hat in der Nachkriegszeit einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau der musikalischen Infrastruktur in Bosnien geschaffen“, so der renommierte Komponist. Einige Jahre nach Ališers Ankunft in Wien wird er Mitglied von Gegenklang, einer Gruppe Kompositionsstudierender an der mdw, die sich mit dem Ziel zusammenschließen, ihre Musik öffentlich aufzuführen. „Wir kamen von allen Teilen der Welt – vier Österreicher, ein Luxemburger, ein Venezolaner, ein Spanier und ich, ein Bosnier. Es war eine wunderschöne und sehr kreative Zeit. Heute scheint es mir, dass ich durch die Interaktion mit meinen Freunden genau so viel gelernt habe, wie durch den Unterricht. Wir haben uns rund um die Uhr mit kompositorischen und ästhetischen Konzepten in der neuen Musik beschäftigt.“ Aufgrund seiner Erfolge während des Studiums und seiner künstlerischen Tätigkeit erhält der mdw-Student ein vierjähriges Stipendium des damaligen Bundesministeriums für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten. Im Jahr 2000 kehrt der angesehene Komponist in seine Heimat zurück und gründet dort die selbstständige Organisation der Neuen Musik Sarajevo – SONEMUS, sowie das SONEMUS-Festival, dessen künstlerische Leitung er bis heute innehat. „SONEMUS hat den Aufbau einer Neuen-Musik-Szene in Bosnien ermöglicht, die es dort bis dato nicht gegeben hat. Durch meine Vernetzung mit Kolleg_innen aus Wien und vielen anderen Musikzentren, konnten wir zahlreiche internationale Ensembles für das Festival gewinnen.“ Neben seiner vielfältigen künstlerischen Tätigkeit, widmet sich der bosnische Komponist auch dem künstlerischen Nachwuchs. Nach seinem langjährigen pädagogischen Wirken als Professor für Komposition an der Musikakademie Sarajevo folgt Ališer Sijarić im Jahr 2020 seinem Vater als Dekan nach.
Mein Vater hat immer gesagt, ich soll zurückkehren und die Musik- und Kompositionsszene in meiner Heimat neu aufbauen. Ich habe ihm gut zugehört.
„Mein Vater war während einer sehr schweren Zeit Dekan der Musikakademie Sarajevo. Er hat dafür gesorgt, dass die Akademie den Krieg überleben konnte, daher fühle ich eine gewisse Verantwortung, dieses Wirken fortzusetzen. Ich werde mein Bestes geben, um diese Institution auch in Zukunft zu unterstützen und zu fördern.“ Ungeachtet seiner Verpflichtungen als Dekan, ist es dem etablierten Künstler ein Anliegen, auch weiterhin künstlerisch und pädagogisch aktiv zu sein. „Das waren von jeher meine zwei größten Interessen und das ist es, was ich bin: Komponist und Professor.“
Veranstaltungstipp: Re-connecting with Sarajevo Roundtable im Rahmen des reConnect mdw – Alumni Festivals
14. Oktober, 10 Uhr, Seilerstätte 26, Festsaal