Kommentare deaktiviert für Eröffnung des International Research Center Gender and Performativity
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Es ist voll – mehr als voll. Der Joseph Haydn-Saal ist bist auf den letzten Platz besetzt, Menschen sitzen auf dem Boden, auf Fensterbänken oder lehnen an den Wänden – trotz Übertragung ins Foyer und sommerlicher Temperaturen. Dabei gibt es heute nicht etwa Musik auf Weltklasse-Niveau, sondern vor allem Reden zu hören: Grußworte und eine Keynote, wobei alles um Fragen von Geschlecht, Performance und Performativität kreist. Das International Research Center – Gender and Performativity (ICGP) wird offiziell eröffnet.
Mit knapp zwei Monaten Abstand blicke ich auf diese tolle Veranstaltung zurück, an deren Umsetzung ich seit März 2025 mitwirken durfte. Was sie auf jeden Fall gezeigt hat: Das Interesse und der Diskussionsbedarf an der Schnittstelle von Gender und Performance, bzw. Performativity Studies ist groß. Über 300 Gäste konnten wir vom 12. bis 14. Juni an der mdw begrüßen, um die Beiträge internationaler und lokaler Vertreter_innen aus Kunst und Wissenschaft zu diskutieren. Es ist, das betonten alle Redner_innen am Eröffnungsabend, keinesfalls selbstverständlich in unserer politischen Gegenwart – in Österreich und darüber hinaus – ein solches Zentrum zu eröffnen. Gender Studies stehen unter Druck, sie sind vermehrt Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt. Rektorin Ulrike Sych macht in ihrer Begrüßung deutlich, dass die mdw sich solchen Entwicklungen entgegenstellt, indem sie Gender- und Diversitätsfragen in Lehre und Forschung zum integralen Bestandteil der Universität macht. Auch die Grußworte des Zentrums für Frauen*- und Geschlechterforschung der TU Berlin (Hannah Meissner) und der Forschungsplattform GAIN der Universität Wien (Sylvia Mieszkowski) verweisen auf den größeren gesellschaftspolitischen Rahmen. Angriffe auf Gender Studies werden als Angriffe auf Wissenschaftsfreiheit lesbar gemacht. Das ICGP ist aber nicht nur potenziell betroffen von solchen Dynamiken, sondern, das verdeutlichte Evelyn Annuß, seit 2019 Professorin für Gender Studies an der mdw und Leiterin des ICGP, in ihrer Eröffnungsrede, auch ein wissenschaftlicher, kritischer Akteur. Darum gehöre es zu den Aufgaben des Zentrums, die gesellschaftlichen, historischen und politischen Hintergründe dieser Verwerfungen zu analysieren:
We are living in dragging times in which the undoing of a normative matrix is being superseded by the dismantling of existing institutions by the libertarian far right, times that call for revisiting the figures of thought and analytical tools with which we work. Attacks on queers as well as on reproductive and trans rights—i. e., manifestations of so-called anti-genderism—are part of the contemporary unleashing of a neo-authoritarian turn and the fascisation of economic liberalism around the globe. Undoing is about to become a new normal. Anti-genderism thus needs to be contextualized, and its stagings need to be analysed.
Das spiegelt sich auch in den drei Kernarbeitsbereichen des Zentrums wider: die Auseinandersetzung mit den Performing Arts im weiteren Sinne (Theater, Musik, Performance, Tanz, aber auch Film und Medienkunst) unter besonderer Berücksichtigung von Fragen des Geschlechts und Begehrens, deren Aufführung und Inszenierung; die Arbeit mit bzw. an zeitgenössischen Performativitätstheorien; und die Analyse politischer Spektakel und deren Medialität. Ausgehend von einer Perspektive, die besonders an (Gender-) Performances und Performativität mit Blick auf ästhetische Formen und ihre politischen Implikationen geschult ist, sollen am ICGP alltägliche Inszenierungen und Mediatisierungen von Geschlechtlichkeit in ihrer Verschränkung mit Dimensionen wie race, Klasse oder Behinderung aus globaler Perspektive untersucht werden.
Die Eröffnung gibt bereits einen Eindruck von der Breite und der Komplexität dieses Arbeitsfeldes. Die Beiträge reichten von Jack Halberstams (Columbia University) Eröffnungskeynote zu feministischer Gewalt und dem Konzept der „Dereliction“ (Verfall/verfallen lassen) über Mbongeni Mtshalis (University of Cape Town) Überlegungen queerer Mobilisierungen von Spiritualität und Indigenitätskonzepten in Südafrika und Tavia Nyong’os (Yale University) Neuperspektivierung von Afropessimismus und Futurismus bis zu Ulrike Hansteins (Kunstuniversität Linz) Analyse von Archiv, Publikum, Performance und Dokumentation bei Valie Export oder Ulrike Haß’ (Ruhr-Universität Bochum) genauer Lektüre von Florentina Holzingers Performances. Wenn ich einen Programmpunkt herausgreifen müsste, so wäre es das Gespräch der Wiener Theaterwissenschaftlerin Sandra Umathum mit der ghanaischen Performance-Künstlerin Va-Bene Elikem Fiatsi aka crazinisT artisT. In einer wunderbaren Mischung aus Zurückhaltung und Kontextualisierung hat Sandra Umathum Va-Bene Elikem Fiatsi im vollen Saal eine Bühne bereitet auf der es mit ein paar Bildern und Videos, vor allem aber Elikem Fiatis Erzählungen gelingt, ihre radikalen Performance-Arbeiten, die neben der Verhandlung der eigenen Geschlechtlichkeit und Transition vor allem vom Protest gegen die Kriminalisierung und Diskriminierung von LGBTIQ+ geprägt sind, um nur einige zu vermitteln. Gerade die Problematisierung der Rolle evangelikaler Akteure mit Verbindungen nach Europa und in die USA in Elikem Fiatsis Arbeit zeigten auf, wie dringend notwendig es ist, europäische und US-amerikanische Perspektiven auf Geschlechterfragen in ihrer Partialität und Hegemonialität zu verstehen und zu dezentrieren, mithin um andere Situierungen zu erweitern.
Im Wintersemester setzt das ICGP seine internationale Forschungs- und Vernetzungsarbeit fort: Vom 10. bis 12. Dezember findet ein zweiter Teil der Eröffnung statt, der aufgrund der mdw Campus Party in die Vorweihnachtszeit verschoben wurde. Neben der Antrittsvorlesung von Evelyn Annuß und der Präsentation der gerade bei mdwPress erscheinenden ICGP-Publikationen sind auch wieder viele internationale Gäste eingeladen – zum Beispiel Zimitri Erasmus (Universität Witwatersrand, Johannesburg) und Eric Lott (City University of New York). Erasmus wird in ihrer Keynote und einer vorher stattfindenden Lehrveranstaltung zum Thema Articulations with „Race“ sprechen. Lott adressiert das Nachleben populärkultureller Minstrel Shows und deren Gendering. Im Rahmen unserer Second Opening werden wir auch die Auseinandersetzung mit Fragen der autoritären Wende fortsetzen, welche im Rahmen der Eröffnung auf dem Podium Facing the Authoritarian Drift schon adressiert und für besonderen Diskussionsbedarf gesorgt hat. Wir freuen uns auf den gemeinsamen Austausch – aller Herausforderungen zum Trotz.