Wer Musikpädagogik hört, denkt oft zuerst an eine konkrete Praxis: das musikalische Lernen und Lehren im Klassenzimmer, in Musikschulen, in Workshops oder in der Arbeit mit Menschen unterschiedlicher Hintergründe – von Kindern und Jugendlichen bis hin zu Senior_innen. Weniger präsent ist zunächst die Forschung, die diese Praxis begleitet, sie analysiert, kritisch hinterfragt und weiterentwickelt. Tatsächlich ist die Musikpädagogik als Wissenschaft noch vergleichsweise jung. Ein frühes Signal setzte Sigrid Abel-Struth 1970 mit ihrem Aufsatz Materialien zur Entwicklung der Musikpädagogik als Wissenschaft, der als Meilenstein gilt. Seither hat sich das Feld erheblich verbreitert und ausdifferenziert: Stand lange Zeit vor allem der Unterricht in formalen Bildungskontexten im Zentrum, so richtet sich musikpädagogische Forschung heute auf ein weites Spektrum an Handlungsfeldern und Fragestellungen – insbesondere zu künstlerischen, pädagogischen und gesellschaftlichen Themen.
Das IMP: produktive Verbindung von Forschung und Praxis
Das Institut für musikpädagogische Forschung und Praxis (IMP) spiegelt die Dynamik dieser Entwicklung und ihre Vielfalt in besonderer Weise wider. Neben den beiden klassischen Forschungs- und Praxisfeldern – schulischem Musikunterricht sowie Instrumental- und Gesangspädagogik – sind hier auch die Elementare Musikpädagogik, Musikvermittlung und Community Music sowie die Bildungswissenschaft verankert. Aus dieser Breite ergibt sich ein Forschungsverständnis, das musikalische Bildung und musikalische Lern- und Lehrprozesse in einem weiten Sinn versteht und dabei auch der Fluidität von formalen, non-formalen und informellen Lernkontexten Rechnung trägt: Forschung, die in besonderer Weise auf musikalische Praxis Bezug nimmt und an ihrer Reflexion und theoretischen Durchdringung bzw. Fundierung ebenso interessiert ist wie an ihrer Weiterentwicklung.
Kennzeichnend für das Forschungsverständnis am IMP ist zugleich eine klare gesellschaftliche Haltung: Musik, Musizieren und (musikalische) Bildung betrachten wir als grundlegende Rechte aller Menschen – unabhängig von sozialen, ethnischen, religiösen oder fähigkeitsbezogenen Merkmalen. Unsere Forschung steht für eine diversitätssensible und inklusive Auffassung von Musikpädagogik und für eine Pädagogik, die auf kulturelle Teilhabe und Teilgabe ebenso wie auf kritische Reflexion von Machtverhältnissen zielt und postkoloniale Perspektiven einbezieht.
Forschungsschwerpunkte
Die Forschung am IMP richtet sich auf zentrale Fragen musikalischer Bildung und Praxis und deren gesellschaftliche Relevanz. Dazu gehören das Musiklernen in verschiedenen Lebensphasen, die Bedingungen und Wirkungen musikalischer Lehr- und Lernprozesse sowie die vielfältigen Formen des Musizierens – vom Elementaren Musizieren über schulischen und institutionellen Unterricht bis hin zu neuen Konzertformaten und dialogorientierten Projekten im Community-Bereich. Besonders untersucht werden die Rolle von Musikschulen in der Bildungslandschaft, die Professionalisierung von Musikpädagog_innen angesichts sich wandelnder Berufsfelder sowie innovative Vermittlungs- und Konzertformate, Fragen der Inklusion, Diversität und Partizipation. Allen Themenfeldern gemeinsam ist das Interesse an der Wechselwirkung von künstlerischer Praxis, pädagogischer Gestaltung und gesellschaftlichem Wandel. Die Ausgaben der Buchreihe des IMP wiener reihe musikpädagogik spiegeln sowohl die Breite der Forschungsinteressen als auch die laufende Auseinandersetzung mit dieser Wechselwirkung wider.
Interdisziplinarität
Musikpädagogische Forschung am IMP ist häufig interdisziplinär. Sie bezieht unter anderem Perspektiven aus Musiksoziologie, Ethnomusikologie und Musikwissenschaft ebenso wie aus Bildungswissenschaft, Cultural Institution Studies, Cultural Studies und Gender Studies mit ein. Methodisch reicht musikpädagogische Forschung von theoretischen, quantitativen und qualitativen Arbeiten über historische, kulturwissenschaftliche und ethnografische Ansätze bis hin zu philosophisch-hermeneutischen, kritischen und komparatistischen Zugängen sowie zur Entwicklungsforschung, Design-Based Research und künstlerischen Forschung.
Internationalität
Ein weiteres Kennzeichen unserer Forschungstätigkeit ist die enge internationale Vernetzung. Diese zeigt sich nicht nur in zahlreichen Vorträgen, Publikationen und drittmittelfinanzierten Projekten – aktuell etwa in den von Erasmus+ kofinanzierten Projekten CC-ECME – Early Childhood Music Education und Teacher Education Academy for Music.Future-Making, Mobility and Networking in Europe (kurz TEAM) –, sondern auch in den aktiven Funktionen unserer Mitarbeiter_innen in bedeutenden Forschungsnetzwerken wie dem Arbeitskreis für Musikpädagogische Forschung (AMPF), der European Association for Music in Schools (EAS), dem Forum Musikvermittlung, Social Impact of Making Music (SIMM) oder Music Educators and Researchers of Young Children (MERYC). Damit gestaltet das IMP musikpädagogische und professionsspezifische Diskurse über nationale Grenzen hinweg mit und bringt Impulse in europäische und globale Debatten ein. Mit den am Institut angesiedelten Zeitschriften b:em – Beiträge empirischer Musikpädagogik und dem International Journal of Music Mediation (IJMM) verfügt das IMP zudem über zwei international profilierte Publikationsorgane, die aktuelle Forschungsergebnisse sichtbar machen und wissenschaftliche Austauschprozesse fördern.
Einladung zum Dialog, zur Zusammenarbeit und zum Weiterlesen
Das IMP versteht sich als offener Ort für Austausch und Kooperation in vielerlei Hinsicht: innerhalb der mdw, mit anderen (musik)pädagogischen Institutionen, mit den Berufsfeldern, den Bildungsverantwortlichen sowie mit weiteren Institutionen, etwa im Sozial- und Kulturbereich. Wir laden Kolleg_innen aus Wissenschaft, Kunst, Pädagogik und Gesellschaft ein, gemeinsam mit uns Fragen musikalischer Bildung weiterzudenken und neue Kooperationen und Projekte zu entwickeln. Denn Musikpädagogik ist nicht nur Gegenstand der Forschung, sie ist ein lebendiger Beitrag zur Gestaltung einer offenen, solidarischen und vielfältigen Gesellschaft.
In den kommenden Ausgaben stellen wir Ihnen konkrete Forschungsprojekte am IMP vor. Stay tuned!
Autor_innen: Eveline Christof, Michael Göllner, Isolde Malmberg, Axel Petri-Preis, Werner Rohrer
