60 Jahre Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie

Im Interview mit dem mdw-Magazin blicken Ursula Hemetek, ehemalige Leiterin des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie sowie Gründerin des Music and Minorities Research Center (MMRC), und Marko Kölbl, aktueller Leiter des Instituts, auf die bewegte Institutsgeschichte zurück, geben Einblicke in aktuelle Entwicklungen und diskutieren gegenwärtige politische Herausforderungen.

Aus welcher Motivation heraus wurde 1965 das Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie gegründet?
Ursula Hemetek (UH): Wir haben dazu mit Walter Deutsch, dem Gründer des Instituts, ein langes Interview geführt. Seiner Meinung nach hat man auf politischer Ebene festgestellt, dass an einer Akademie, was die mdw damals noch war, wo musiziert und Kunst unterrichtet wurde, Studierenden auch theoretisches Wissen mitgegeben werden sollte. Deswegen wurden 1965 die ersten beiden wissenschaftlichen Institute gegründet: das Institut für Volksmusikforschung, damals das Deutsch-Institut, und das Institut für Musiksoziologie, das damalige Blaukopf-Institut. Walter Deutsch war eigentlich primär Komponist und Musiker, hat sich aber mit Volksmusik beschäftigt. Ursprungsidee der Gründung war laut ihm das Interesse an europäischer Volksmusik, insbesondere der Komponierenden, um Verbindungen mit der klassischen Musik herauszuarbeiten und sich inspirieren zu lassen. Er sollte einen Melodienkatalog Europas erstellen. Die Volksmusikforschung ist eigentlich durch die Gründung des Instituts im akademischen Bereich angekommen.

© Stephan Polzer

Marko Kölbl (MK): Der Wunsch nach einer Institutionalisierung des Fachbereichs hat schon vor 1965 bestanden. Es gab bereits im Nationalsozialismus Bestrebungen, die allerdings intern rigoros abgelehnt wurden. Auch das Österreichische Volksliedwerk hat damals befunden, dass Volksmusik im akademischen Kontext nichts zu suchen hat. In der Nachkriegszeit, noch vor Institutsgründung, gab es dieses Ansinnen erneut, aber anders konzipiert, nämlich viel mehr in Richtung vergleichende Musikwissenschaft. Aber auch das hat nicht funktioniert. Es ist interessant, dass der Wunsch, den Fachbereich institutionell zu festigen, schon vor 1965 bestand und dass es bis zur Institutsgründung mehrere Anläufe gab.

Welchen Stellenwert hatte bei der Gründung die Minderheitenforschung in Österreich?
UH: 1965 gab es keine Minderheitenforschung, zumindest nicht im Fach Volksmusikforschung. Und das Fach Ethnomusikologie als solches hat in Österreich noch nicht existiert. Es gab die vergleichend–systematische Musikwissenschaft an der Universität Wien. Die Minderheitenforschung am Institut hat eigentlich mit meinem Arbeitsbeginn bei Walter Deutsch 1987 begonnen. Meine erste Aufgabe war, Protokolle von Tonaufnahmen zu erstellen und auch musikalische Transkriptionen von Feldforschungen zur österreichischen Volksmusik zu machen. Ich hatte zu Hochzeitsliedern in Stinatz, also Liedgut des Burgenlandes, gearbeitet und meine Dissertation zu Burgenlandkroat_innen verfasst und im Zuge dessen bereits mit Walter Deutsch zusammengearbeitet. Walter Deutsch hatte auch hier ein umfassendes Wissen, und da Burgenlandkroat_innen in Österreich leben, waren musikalische Äußerungen von Minderheiten für ihn auch Teil der Volksmusikforschung. Aber das war nicht in den 1960er-Jahren, sondern in den späten 1980ern.

Das heißt, die Minderheitenforschung entstand erst viel später?
UH: Ja, Ende der 1980er- bzw. Anfang der 1990er-Jahre. Minderheitenforschung wurde damals mit „fremdsprachig“ konnotiert. Im Fach hieß es zu jener Zeit, dass Volksmusikforschung sich mit dem Eigenen beschäftigt und Ethnomusikologie mit dem Fremden. Das ist heute nicht haltbar und war es damals schon nicht.

Wie haben sich Themen- bzw. Forschungsfelder verändert oder vielleicht sogar erweitert?
MK: Zur Zeit der Gründung des Instituts war klar, dass alpenländische österreichische Volksmusik der Forschungsgegenstand ist. Heute gibt es in unserem Masterstudium keine Vorgabe, in welchem Musikstil man sich künstlerisch auszudrücken hat oder mit welchem man überhaupt zur Zulassungsprüfung kommen darf. Dass es 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und zehn Jahre nach Republiksgründung einen Fokus darauf gab, das „Österreichische“ in den Vordergrund zu stellen, ist vielleicht logisch. Aber das Bewusstsein, dass zu dem Österreichischen auch Minderheiten gehören, die in der Forschung beachtet werden sollten, musste sich erst entwickeln. Es war ja dann wiederum eine Entwicklung am Institut, Menschen, die nach Österreich migrieren, auch als zu Österreich zugehörig zu denken und deswegen auch ihre Musik als relevant für die Forschung zu betrachten.

UH: Erst im Zuge meiner Romaforschung habe ich gelernt, wie viele verschiedene Gruppen es gibt und dass natürlich nur ein Teil sogenannte Autochthone sind. Die größte Gruppe sind im Zuge der Arbeitsmigration zugewanderte Roma, vor allem aus dem ehemaligen Jugoslawien. Damit hat auch die Migrationsforschung am Institut begonnen, die dann 1995 mit dem Bosnienkrieg stark ins Zentrum getreten ist, weil eine junge Wissenschaftlerin aus Sarajevo zu uns ans Institut kam. Im Rahmen eines Drittmittelprojektes haben wir uns mit den musikalischen Äußerungen bosnischer Geflüchteter in Österreich beschäftigt. Das war Fluchtforschung und etwas Neues, und es wurde diskutiert, ob das Minderheitenforschung ist, – und natürlich ist es das. Der Minderheitenbegriff hat sich in dieser Zeit politisch entwickelt. Zuvor waren Volksgruppen die Minderheiten in Österreich. Durch politische Diskussionen wurde der Begriff auf verschiedene Gruppen, die Diskriminierung erfahren haben, beispielsweise sexuelle Minderheiten oder natürlich Migrant_innen, ausgeweitet.

Eine aktuelle Entwicklung ist, dass Volksmusik in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Wirkt sich das auch auf die Forschung aus?
MK: Ich würde nicht sagen, dass Volksmusik boomt. Das trifft eher auf volkstümliche Popularmusik oder auch ethnisch markierte Popularmusik zu, die ja auch ein wichtiger Teil der Forschung in unserem Fach ist. Diesen Musikstilen messe ich eine große Relevanz bei und hier sehen wir vielleicht auch Booms. Sie sind relevant für das Publikum und das muss man ernstnehmen. Aus Forschungsperspektive ist es spannend, dass derzeit gewisse Musiker_innen in der volkstümlichen Popularmusik ein großes Publikum in Österreich haben, gleichzeitig aber die österreichische alpenländische Volksmusik an Bedeutung verliert. Ethnisch markierte Popularmusik für migrantische Communitys in Österreich ist extrem wichtig und boomt sehr. Es ist egal, ob das für die serbische Community Turbo-Folk ist, Afghan Pop für afghanische Geflüchtete oder kroatische Popularmusik für Burgenlandkroat_innen. Die Relevanz ist relativ ähnlich.

© Stephan Polzer

Wirken sich diese Entwicklungen auf die Studierendenzahlen aus?
MK: Es spielt sicher eine Rolle, wenn wir uns anschauen, wer jetzt an unserem Institut arbeitet und welche Themen behandelt werden. Es ist nicht überraschend, dass wir so viele internationale Studierende haben, die mit ihren eigenen musikalischen Traditionen hierherkommen und die mdw mit diesen extrem bereichern.

UH: Wir hatten auch in den 1990er-Jahren 48 Prozent ausländische Studierende. Nur damals hat es niemanden interessiert, was diese noch mitbringen. Ich habe schon vor langer Zeit angeregt, dass man bei Aufnahmeprüfungen erheben sollte, ob es andere musikalische Kompetenzen gibt. Das ist nicht umgesetzt worden. Was wir aber gemacht haben, ist unsere Bi- bzw. Multimusikalitätsstudie, bei der IGP-Masterstudierende, klassisch mit Fragebogen, soziologisch befragt wurden, was sie denn noch für andere Musiksprachen sprechen. Abgefragt wurde, ob sie sich selbst als bimusikalisch oder multimusikalisch definieren und dem haben damals bereits 67 Prozent zugestimmt. Und 2015 haben wir eine weitere Bimusikalitätsstudie mit Tiefeninterviews mit ausgewählten Studierenden durchgeführt. Es war ein guter Beleg dafür, dass wir das Masterstudium Ethnomusikologie brauchen. Obwohl ich ehrlicherweise nicht gleich an ein eigenes Masterstudium dachte, sondern zunächst nur Curricula ändern wollte. Aber August Schmidhofer von der Universität Wien, der Studienprogrammleiter war, hat mich angesprochen und vorgeschlagen, ob wir nicht ein gemeinsames Masterstudium Ethnomusikologie machen wollen. Wir haben dann tatsächlich an einem interuniversitären Curriculum gearbeitet. Das ist aber leider aus mehreren Gründen gescheitert. Deswegen haben wir dann gesagt: „Gut, dann machen wir es selber.“ Die Definition der Zulassungsprüfungwar am Anfang schwierig, aber dieses Problem konnte inzwischen gelöst werden.

In welcher Relation stehen Kunst und Wissenschaft am Institut?
MK: Wir wollen profund wissenschaftlich ausbilden, fragen bei der Zulassung aber vorrangig künstlerische Kompetenzen ab. Das passt nicht zusammen. Und doch ist es produktiv. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass es in der Ethnomusikologie immer hilft, wenn man künstlerische Kompetenz hat. Es ist keine Voraussetzung, man muss nicht Musiker oder Musikerin sein, um ethnomusikologisch forschen zu können. Aber es ist hilfreich, weil man Musik auf eine andere Art und Weise forschend analysierend wahrnehmen kann. Diese Doppelrolle Musiker_in/Forscher_in ist auch etwas, das in der Institutsgeschichte durchaus verankert ist.

UK: Es war ungewöhnlich für wissenschaftliche Institute, dass hier auch eine künstlerische Umsetzung erfolgt. Das hat mich auch so am Institut fasziniert, als ich hierhergekommen bin. Da ist gespielt worden, was man in der Feldforschung gelernt hat, oder es ist auch in einer hohen Qualität auf Bühnen präsentiert worden.

MK: Es hängt immer davon ab, ob es Räume für etwas gibt oder eben nicht. Und für traditionelle Musik gab es keine im akademischen Bereich. Das hat sich bei uns auch erst in der Musikpädagogik durch Rudi Pietsch und dem Unterricht richtig institutionalisiert und später dann mit dem Studium. Natürlich kann man sich fragen, warum es in unserem Bereich eigentlich nur ein Masterstudium gibt, das alles erfüllen muss. Andere haben das aufgefächert in Konzertfach, in ein wissenschaftliches Studium, ein pädagogisches Studium, dass dann so oder so ausgerichtet ist. Das liegt aber auch an der Wertigkeit, die gewissen Musikstilen zugesprochen wird. Vielen Musikstilen, mit denen sich die Ethnomusikologie beschäftigt, wird sehr wenig Wert beigemessen. Das ist kein Vorwurf an bestimmte Institutionen oder Akteur_innen, sondern spiegelt globale strukturelle Ungleichheit wider.

UH: Als die wissenschaftlichen Institute sich zusammengetan haben, kam es auch zu einem Umdenken. Davor hieß es: Die Wissenschaft dient der Reflexion der Kunst. Das war’s. Künstler_innen sollten reflektieren und dafür war die Wissenschaft zuständig. Es war ein langsamer Prozess, bis allen klar wurde: Wir dienen nicht der Reflexion, sondern vertreten ein Fach.

MK: Es gibt jetzt mehr Chancen Wissenschaft, aber auch künstlerische Praxis ganz neu zu denken, eben nicht als voneinander getrennte Entitäten. Die künstlerische Forschung steckt in ihren Anfängen, bietet aber durchaus auch Zugänge. Das ist ein Thema für Kunstuniversitäten, diese zwei Felder zusammenzudenken und sich auch nicht zu fürchten vor einer Verwässerung jeweils eines der beiden Bereiche.

Frau Hemetek, Sie haben 2018 den Wittgenstein-Preis erhalten und damit 2019 das MMRC gegründet. Warum war Ihnen die Gründung eines eigenen Forschungszentrums an der mdw wichtig?
UH: Weil eine international sichtbare wissenschaftliche Verankerung in einer eigenen Institution der ethnomusikologischen Minderheitenforschung weltweit nicht existiert. Das MMRC ist das einzige Forschungszentrum für musikalische Minderheitenforschung. Mir ist es wichtig, den Nachwuchs zu fördern, und ich möchte, dass eine strukturelle Verankerung da ist, die Nachwuchswissenschaftler_innen Forschung ermöglicht. Dass das Forschungszentrum an der mdw entstehen soll, war mir auch wichtig. Letztendlich verdanke ich diesem Haus ja meine Karriere und habe immer hier gearbeitet. Es war also nur logisch.

Wie kann man sich den Erhalt eines so prestigeträchtigen Preises vorstellen?

UH: Ich habe an einem Samstag erfahren, dass ich den Wittgenstein-Preis erhalten werde. Mir wurde erklärt, dass ein Text gebraucht wird, wo der Forschungsschwerpunkt beschrieben und erklärt wird, was mit dem Geld passieren wird und geplant ist. Den Text wollten sie bis Dienstag und bis dahin durfte ich niemandem etwas sagen. Rektorin Sych musste ich aber informieren. Am Montag wurde eine Sitzung mit allen relevanten Stellen einberufen. Und wir haben tatsächlich an diesem Montag alles ausgemacht und am Dienstag konnte ich die Idee vorlegen. Im November 2019 wurde das Zentrum dann eröffnet. Ich finde, das war eine sinnvolle Verwendung dieser 1,4 Millionen Euro. Und es läuft sehr gut.

Was sind konkret die Forschungsschwerpunkte am MMRC?
UH: Der erste PreDoc war Ioannis Christidis, der seine Dissertation über syrische Geflüchtete geschrieben hat. Anja Brunner ist mit ihrem gesamten Forschungsprojekt, das vom Österreichischer Wissenschaftsfonds (FWF) drittmittelfinanziert war, zu uns gekommen. Und sie hat auch zu syrischen Geflüchteten gearbeitet. Am Anfang war Flucht ein Forschungsschwerpunkt, speziell syrische Geflüchtete. Das hat sich jetzt ein bisschen verschoben. Wir haben 2023 einen starken Roma-Schwerpunkt gemacht anlässlich des Jubiläums der 30 Jahre Anerkennung der Roma/Romnja als Volksgruppe in Österreich. Da gibt es die digitale Ausstellung Ružake Gila, die sich fast nur aus dem Archiv des Instituts speist. Und wir haben das internationale Journal Music & Minorities (M&M), das bei mdwPress erscheint, etabliert.

Woran wird am MMRC aktuell geforscht?
UH: Wir haben die Initiative Advancing Music and Minorities Research (AMMR), mit der wir Forschende bei ihrer Drittmittelantragsstellung mit 8.000 Euro unterstützen. Ganz wichtig hier zu erwähnen ist Malik Sharif, der jetzt mein Stellvertreter am MMRC ist. Er ist sicher der Beste, was Drittmittelprojekte für Ethnomusikologie in Österreich betrifft. Seit er bei uns ist, läuft vieles besser bei der Antragstellung und er unterstützt die Forschenden hierbei. Derzeit sind drei Projekte in Bearbeitung. Zwei Projekte wurden bereits vom FWF bewilligt. Ein Projekt in Ghana von Amos Darkwa Asare: We sing to live: The songs of a minority fishing community und das andere in Indien von Christian Friedrich Poske: Sounds of Trauma: Naga Song Responses to Political Conflict. Beide arbeiten jetzt hier und eröffnen mit ihren Projekten ganz neue Aspekte. Wir haben aber auch immer wieder eigenfinanzierte Projekte, wie die digitale Ausstellung Ružake Gila. Das nächste Projekt ist ein Principle Investigator Project von Jelena Gligorijevic, die im Mai beginnen wird und sich besonders mit der queeren und weiblichen „Yugo“-Musikszene in Wien beschäftigen wird. Aber im Februar 2026 machen wir ein großes Zukunftssymposium, weil da die Wittgenstein-Gelder auslaufen und eine Zäsur sein wird. Wir wollen einerseits mit allen Beteiligten eine Rückschau machen und andererseits eine Zukunftsvision entwickeln.

Inwiefern überschneidet sich die Arbeit des MMRC mit der des Instituts?
MK: Wenn man schaut, wer zu welchen Themen am Institut arbeitet, arbeitet die Mehrheit zu Minderheiten. Insofern könnte man sagen, es gibt eine Doppelung. Aber als Institut mit Minderheitenschwerpunkt ist es ein Traum, am selben Haus eine koexistierende Forschungsinstitution zu haben, die sich hauptsächlich um drittmittelfinanzierte Forschung kümmern kann und forschende Räume eröffnet. Denn als Institut machen wir ja nicht ausschließlich Forschung und haben noch viele andere Betätigungsfelder, insbesondere die Lehre.

UH: Und ihr profitiert auch von unserer Forschung. Die Trennung war mir von Anfang an wichtig, auch für die Außenwirkung. Denn ein Institut hat andere Aufgaben. Natürlich werden beide miteinander assoziiert, weil wir an derselben Universität sind. Aber mit dem MMRC erreichen wir zusätzlich andere Kreise als das Institut.

MK: Genau. Und als Institut können wir uns nicht primär um Forschungs- und Nachwuchsförderung in der Forschung kümmern.

© Stephan Polzer

Warum ist es wichtig Tanz, Vokal- und Instrumentalmusik spezifischer traditioneller Stile nicht nur theoretisch zu erforschen, sondern auch durch Veranstaltungen einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen?

MK: Wenn die mdw „Universität für Musik und darstellende Kunst Wien“ heißt, dann muss auch alles, was der Begriff „Musik“ umfasst, zugelassen werden können. Diese Konzerte oder Workshops, schaffen ein plurales Musikverständnis, das gewisse Menschengruppen nicht ausschließt, und erinnern daran, dass es auch eine Welt außerhalb Österreichs, außerhalb der großen Konzerthäuser oder außerhalb Europas gibt. Im Prinzip geht es darum, anzuerkennen, was die Welt alles hat. Und es ist in der derzeitigen politischen Situation wichtig zu verstehen, dass es nicht nur uns selbst gibt, sondern dass wir in einer Welt leben, in der verschiedene Menschen mit verschiedenen Backgrounds, Wünschen und Bedürfnissen koexistieren. Sei es jetzt im kleinen Bereich oder aus einem globalen weltpolitischen Blickwinkel betrachtet.

Welchen Herausforderungen muss sich das Institut in den kommenden Jahren stellen?
MK: Wir hatten dazu einen Roundtable im Rahmen unseres 60-Jahre-Jubiläums-Symposium, wo wir die Frage gestellt haben: Was bedeutet dieser Fachbereich angesichts der autoritären Wende, die wir heute erleben? Traditionelle Musikstile bzw. Musikstile, die irgendwie mit Identität gekoppelt sind, werden sehr oft missbraucht. Das sehen wir in verschiedenen Regionen der Welt. Sie werden für nationalistische Bestrebungen instrumentalisiert und manchmal als Leitkultur definiert, um andere kulturelle Ausdrucksformen auszuschließen. Unser Fachbereich steht aber genau dafür: Musik antirassistisch und dekolonial zu verstehen und musikalische und kulturelle Vielfalt sowie Transkulturalität ins Zentrum zu rücken. Das widerspricht vielen Postulaten von rechtskonservativen politischen Strömungen, die in Europa und weltweit immer stärker wachsen. Insofern muss sich unser Institut hier überlegen, wie man sich da gut positioniert. Das ist die übergeordnete politische Ebene. Auf Universitätsebene finde ich, wäre es total wichtig, dass unser Fachbereich in der Lehre noch stärker verankert wird – in anderen Curricula, aber zum Beispiel auch als eigenes Bachelorstudium. Das ist ein langfristiger Prozess, aber natürlich braucht es ein Bachelorstudium. – Und warum nicht auch ein künstlerisch ausgerichtetes? Ich denke wir sind 2025 an einem Zeitpunkt von gesellschaftlichen Debatten und Entwicklungen angekommen, wo kulturelle Vielfalt nicht mehr irgendeine seltsame Nischenforderung ist, sondern als Realität akzeptiert wird.

Es geht aber in Zukunft auch um Stellennachbesetzungen, Nachwuchsförderung und damit eng verknüpft die Weiterentwicklung von Forschungsbereichen. Diese Weiterentwicklung ist ein zentrales Thema, das sehr stark in der Verantwortung der handelnden Personen liegt. Da bin ich wirklich sehr froh, dass diese am Institut international sehr gut aufgestellt, gut vernetzt und anerkannt sind und in ihren Fachbereichen geschätzt werden.

Trägt die mdw aufgrund der politischen Herausforderungen unserer Zeit eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?
MK: Absolut. Als Beispiel: Meine Habilitationsforschung beschäftigt sich mit afghanischer Musik im Exil und damit auch mit dem Musikverbot, das die Taliban verhängt haben und mit dem alle Musikausbildungsinstitutionen verboten wurden. Im Kontext dieser Forschung haben 2024 Studierende des jetzt geschlossenen Music Department der Kabul University an der mdw zu studieren begonnen – möglich wurde dies durch die engagierte Unterstützung des Rektorats. Ich sehe hier eine ganz große Verantwortung. Denn Räume wie die mdw gewinnen enorm an Bedeutung, wenn sie ein Exil-Ort für eine verbotene Musikkultur werden. Es gibt keinen globalen Plan, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden soll, daher kann unser Institut und die mdw plötzlich in wichtige Verantwortungen gelangen, die langfristig auch historisch bedeutend sind. Es öffnen sich also immer wieder politische Verantwortlichkeiten in unserem Fach, einfach weil sich dieses mit der musikalischen Vielfalt der Welt beschäftigt.

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